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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Angst hatte ich keine“

Vogelwartin auf der Insel Trischen sein: Das war für die Biologin Janina Spalke ein ferner Traum. Dann wurde sie es selbstALLEIN ODER EINSAM Sieben Monate war Janina Spalke Vogelwartin auf der Insel Trischen – um überrascht zu merken, wie gut sie mit dem Alleinsein zurechtkommt. Und dass es lohnt, sich über Bedenken hinwegzusetzen

Janina Spalke, 29

■ ist Biologin und verbrachte die letzten sieben Monate als Vogelwartin auf der Insel Trischen im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Dort hat sie die Brut- und Rastvögel, Vegetation und Morphologie der Insel erfasst. Außerdem überwachte sie die Einhaltung der Schutzgebietskriterien. Ihr Vertrag mit dem Nabu, dem Naturschutzbund Deutschland, läuft bis Januar 2010, bis dahin wird sie ihren letzten Bericht schreiben. Foto: S. Schrader

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: War das Alleinsein auf der Insel Anreiz oder Abschreckung, sieben Monate dort zu verbringen?

Janina Spalke: Ich dachte, es wird einsam sein, aber ich mache mich trotzdem auf. Ich wollte es auf jeden Fall tun und dazu gehörte es eben, zum größten Teil alleine zu sein. Und das, was ich hier erleben durfte, hat es auf jeden Fall ausgeglichen.

Ist Besuch erlaubt?

Ja, schließlich soll man hier ja nicht in Isolationshaft sein. Es soll aber so wenig wie möglich auf der Insel gestört werden, deswegen gibt es die Auflage, dass nur der Vogelwart und eine andere Person gleichzeitig dort sein dürfen. Meine Familie ist dann einzeln mal mit herüber gefahren, mein Freund war auch mal zwei Wochen am Stück da.

Haben sich eher Frauen oder eher Männer auf diese Herausforderung eingelassen?

Es gab hier zwanzig Jahre lang einen Vogelwart, danach wurde es ein-bis zweijährig vergeben. Zuerst waren es Männer, dann hat eine Vogelwartin zwei Saisons gemacht und damit den Damm gebrochen. Mir erzählte eine Mitarbeiterin, dass sie damals schluckte: Eine Frau alleine auf der Insel – können wir das verantworten? Es gab ein großes Medienecho mit Bild-Zeitung und allem Drum und Dran, aber sie hat es ziemlich tough durchgestanden, und nächstes Jahr wird es wieder eine Frau sein.

Hatten Sie Angst auf der Insel?

Ich halte mich eigentlich nicht für eine besonders mutige Person, aber Angst hatte ich nicht. Früher konnte man einfach so auf die Insel rüberlaufen, aber inzwischen hat sich das Watt so verändert, dass das nicht mehr so einfach geht. Und gerade in den dunklen Nächten, wo es stürmisch und regnerisch war, und ich mich tatsächlich mal gegruselt habe, war mir eigentlich klar: bei dem Wetter kommt sowieso keiner. Am Anfang habe ich mich allerdings nicht getraut, Krimis zu lesen, aber nach drei Monaten ging das dann auch.

Was war das Schöne auf der Insel?

Es ist das Draußen-und-mitten-drin-Sein. Ohne Deich, ohne irgendwelche Befestigung mit der Hütte mitten in den Salzwiesen zu stehen. Die Flussseeschwalben haben fast direkt an der Hütte gebrütet und als vor anderthalb Wochen eine Sturmflut kam und ich gemerkt habe, das Wasser steht unter der Hütte, ich bin so richtig den Elementen ausgesetzt: das war wirklich Wahnsinn.

Wie groß ist die Insel?

Die Insel ist ungefähr 180 Hektar groß, von der Hütte bis zur Nordspitze fünf Kilometer, und von der Süd- bis zur Nordspitze läuft man sieben Kilometer.

Und wie groß ist die Hütte?

Die Hütte ist nur 15 Quadratmeter groß, sie hat aber eine umlaufende Veranda mit Bänken in allen Richtungen und auch Fenster in alle Richtungen. Ich habe mich darin nie eingesperrt gefühlt.

Wie komfortabel ist es drinnen?

Es ist eine Blockhütte mit einem Raum, einem Holzofen zum Heizen und einem Gasherd. In einer Ecke steht ein Hochbett, und es gibt einen großen Schreibtisch. Es ist alles drin, was man braucht, aber es ist nicht gerade luxuriös.

Gibt es Strom?

Es gibt eine Solaranlage auf dem Dach.

Vorbildlich.

Ich fand es super, ich habe hier sieben Monate im Grunde bis auf das Gas CO2-frei gelebt. Das Holz, das ich verheize, ist Treibholz, und wenn die Sonne scheint, ist es egal, ob ich das Radio laufen lasse oder nicht – diese Unabhängigkeit war total schön. Klar, sie war nicht vollständig: Der Inselversorger bringt mir Trinkwasser und Lebensmittel.

War das Vogelbeobachten schon vor Trischen Ihr Hauptinteresse?

Es war nie ein Schwerpunkt in meinem Studium, sondern ein Hobby daneben. Es war eigentlich eher ein Traum. Ich habe das Projekt hier auf Trischen immer verfolgt und als die erste Frau hier war, dachte ich, das muss eine tolle Frau sein, aber das hatte nie etwas mit mir zu tun. Es war etwas, von dem ich dachte, ich sei ihm nicht gewachsen.

Dem Alleinsein nicht gewachsen?

Dem Alleinsein, aber auch dem Fachlichen – ob ich gut genug bin, die Verantwortung für eine ganze Insel zu übernehmen. Alleine zu arbeiten, alles termingerecht hinzukriegen, alles mitzubekommen und alle Arten zu finden. Im Studium war ich gewohnt, in Gruppen zu arbeiten und sich immer noch einmal absichern zu können. Ich habe dann aber viel mit meiner Vorgängerin gesprochen und die meinte, es sei keine Hexerei, weil man so nah dran ist.

Was genau mussten Sie denn mitbekommen?

Fragen wie: Wo fliegen die Vögel hin? Wo haben sie ihr Nest? Die meisten Arten kannte ich schon, aber ich hatte noch nicht viel Erfahrung damit, wie sie sich im Brutgeschäft verhalten. Die zweite große Aufgabe ist, die Rastvogelbestände zu erfassen, also die Vögel, die das Wattenmeer als Zwischenstopp nutzen.

Geht es bei den Zugvögeln auch um Veränderungen im Zuge des Klimawandels? So dass die Arbeit auch eine politische Dimension bekommt?

Das ist nicht unbedingt nur der Klimawandel. Alles, was ich hier erfasse, kann eine politische Dimension bekommen. Die Daten, die ich sammle, werden wattenmeerweit, also in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden zusammengefasst. Da gibt es regelmäßig Berichte, wie es den einzelnen Arten geht und darüber kann man zum Beispiel versuchen aufzuzeigen: Unsere Möwen sind nicht erfolgreich in der Brut – kann es sein, dass Futtermangel ein Problem ist, wie steht es mit dem Beifang der Fischer? Direkt in der Nachbarschaft von Trischen liegt die Mittelplate, die Ölbohrinsel im Nationalpark, wenn die etwas bauen, um die Insel zu sichern, muss festgestellt werden, was das für Auswirkungen hat.

In England hat Vogelbeobachtung eine lange Tradition, können Leute in Deutschland diese Faszination nachvollziehen?

Ich stehe dem Ganzen in England ein bisschen skeptisch gegenüber, weil es oft nur noch darum geht, eine neue Art für die Liste zu finden. Da bin ich bei manchen Leuten nicht sicher, ob es die Faszination für die Art oder eine Art Jagdfieber ist – aber das gibt es in Deutschland auf jeden Fall auch. Ich habe hier einerseits Rückmeldung von Leuten, die sagen: Wir haben dazu nicht viel Bezug, aber es bedeutet uns etwas, wenn wir etwas über die Insel lesen. Aber es gab auch Leute, die sagten: Was ist das für eine Spinnerei, sieben Monate auf eine einsame Insel für die Vögel, und das noch ohne Fernsehen.

Wenn Sie jetzt am Wochenende aufs Festland zurückkehren, ist das Schrecken oder Verheißung?

Ich habe ein bisschen Angst vor der großen Altbauwohnung, in der ich mit meinem Freund wohne. Es wird mir sicher auch fehlen, vor die Tür zu gehen und es riecht sofort nach Meer. Aber ich freue mich auch auf Kino und Cafés und darauf, mich in den Zug setzen zu können, um Freunde zu besuchen. Wenn jetzt der Winter kommt, muss ich auch nicht auf der Insel bleiben: draußen sind es jetzt drei Grad und in der Hütte neun.

Haben Sie sich manchmal gefragt, wie es der Vogelwart wohl aushielt, der 20 Jahre auf Trischen war?

Natürlich. Vor allem, weil er viel strikter mit Besuch war: Ab und zu kam seine Frau, aber ansonsten kam kaum jemand. Das war eine sehr spezielle Person, der Vogelwart, und je länger er hier war, desto stärker hatte er das Gefühl, dass es seine Insel war. Eindringlinge wurden nicht gerne gesehen.

Hat Sie Ihre Reaktion auf das Alleinsein überrascht?

Ich habe bei manchen Sachen viel emotionaler reagiert. Zum Beispiel, wenn sich Besuch angekündigt hatte und das Schiff wegen schlechten Wetters einen Tag später kam. Aber eigentlich war ich erstaunt, wie gut es ging, weil ich immer angenommen habe, dass ich ein sehr geselliger Mensch bin. Vorher dachte ich: Ein schönes Erlebnis ist für mich nur dann etwas wert, wenn ich es mit jemand anderem zusammen erlebe. Aber hier konnte ich schöne Momente ganz alleine für mich genießen.

Waren Sie allein oder einsam?

Einsam habe ich mich nur gefühlt, wenn das Schiff nicht kam. Ansonsten wusste ich, es sind Leute auf dem Festland, die an mich denken, bei jedem Sturm und jedem schlechten Wetter.

Sind Sie unabhängiger geworden?

Unabhängiger, ja, aber vor allem hat mir die Zeit viel Selbstvertrauen gegeben. Dass ich, wenn ich so eine Entscheidung treffe, darauf vertrauen kann, dass es gut funktioniert. Viele Leute, die mich gut kannten, haben vorher gesagt: Das ist doch nicht wirklich etwas für dich. Aber für mich fühlte es sich gleich richtig an.