: Der Buddha auf Chinesisch
LESARTEN Eine Ausstellung in Wedel bei Hamburg zeigt chinesische Gegenwartskunst. Die ist zwar allenfalls subtil politisch, erzählt dafür aber sehr fein von den Verflechtungen von Tradition und Moderne
Scherenschnitt hat Tradition in China. Doch die menschenartige rote Papierfigur im Koffer im Erdgeschoss des Wedeler Barlach-Museums ist eine sehr unheimliche Interpretation der meist dekorativen chinesischen Volkskunst. Dort läuft derzeit die Ausstellung „Based in China – Gegenwartskunst und Tradition“. Mit der erwähnten Papierarbeit wendet sich Lu Shengzhong von westlichen Einflüssen ab und der eigenen Volkskunst zu.
Aber Tradition zeigt die Ausstellung chinesischer Kunst in Wedel trotz des Untertitels bestenfalls implizit. Denn zu sehen sind nur modernere Werke – etwa die Performancekunst der neunziger Jahre. Da gab es etwa den Tag, an dem sich der Zhang Huan mit Honig beschmierte und Stunden auf einer öffentlichen Latrine saß. Er wollte damit auf den wegen Unbotmäßigkeit zum Kloputzen verurteilten Vater von Ai Weiwei hinweisen. Eines der 36 Fotos von Rong Rong, die diese Protestkunst dokumentieren, zeigt den Künstler von Fliegen übersät, die sich damals auf ihn stürzten.
Die Werkauswahl zeigt vor allem, dass Konfuzianismus und Taoismus, Maoismus und Kapitalismus die chinesischen Kunst gleichermaßen prägen. Alle Bilder haben mehrere Kontexte, und wie kompliziert das werden kann, zeigen die Foto-Stillleben von Kexin Zang. Da stehen Hummer und Seil, Rad und blaue Tinte für den Fall der Berliner Mauer. Die Künstlerin berechnet wichtige Geschichtsdaten nach den magischen Prinzipien des alten I-Ging-Orakels neu und ordnet die Zahlen dann Gegenständen zu. Das funktioniert über die Lautgleichheit der chinesische Schriftzeichen: Yu für Fisch zum Beispiel bedeutet, anders ausgesprochen, „Reichtum“.
Hung Liu wiederum deutet sozialistische Propagandakunst um. Ihre Frauenfiguren sehen aus wie Heldinnen des Befreiungskrieges. Nur, dass sie sich bei Hung Liu die Ohren zuhalten.
Chinesische Traditionen noch chinesischer machen will Yang Maoyuan: Ihm erscheint auch die alte Porträtplastik zu westlich. Und so schleift er Buddhas Kopf in eine ihm asiatischer erscheinende runde Form um. Das kann aber auch als Kritik an der Vereinheitlichung durch Politik und Ökonomie gelesen werden.
Trickreich sind auch die oft bewusst gesetzten Fehldeutungen: Dem Westen erscheinen die Schriftbilder von Chen Guangwu sehr chinesisch. Doch der asiatische Schriftkundige sieht, dass es bloß schriftähnliche Zeichen sind – Ornamente.
Solche Formalisierung ist ein deutlich westlicher Zugang. Das ist konsequent, denn der Ausstellungstitel bedeutet ja nicht, dass die beteiligten Künstler nicht etwa in Berlin oder Los Angeles lebten. Trotzdem kommt die Kultur Chinas in jedem der Werke vor. So gibt es auch stets zwei Zugänge: Man kann diese Kunstwerke als das betrachten, was sie zu sein scheinen. Oder man liest die Schrifttafeln und ergründet die wahren Zusammenhänge.
Mit einem Zitat kommt dann auch der ansonsten nicht vertretene Ai Weiwei ins Spiel: „Exponate, die bei solchen Gelegenheiten gezeigt werden, erinnern an Strandgut, das die See an einen in der Sonne leuchtenden Strand gespült hat, doch wer vermag schon zu ermessen, welch schreckliche Katastrophen sich in den Tiefen jenes Ozeans abgespielt haben?“ Ein bisschen trifft das auch auf diese Ausstellung zu. Derzeit verfolgte Künstler und aktuelle Probleme kommen dort allerdings nicht vor. Das irritiert. HAJO SCHIFF
Ernst Barlach Museum Wedel, bis 23. 9.
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