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Archiv-Artikel

Mit wenigen Strichen zum Punkt

COMICS UND GRAPHIC NOVELS Das Comicfestival Hamburg widmet sich bis zum Sonntag mit Ausstellungen, Vorträgen, einer Messe und einer Party vor allem der Independent-Comic-Szene. Zu Gast ist unter anderem der Schotte Tom Gauld mit seiner Graphic Novel „Goliath“

Bei Gauld wird aus der Heldengeschichte eine Parabel über das absurde Kriegstreiben

VON ROBERT MATTHIES

Um zum Punkt zu kommen, braucht Tom Gauld nicht viele Bilder, nur wenige Striche und knappe Textzeilen. Mit reduzierten Bildern, minimalistischen Figuren, einfachen Formen, ein paar Kreuzschraffuren und lakonisch-trockenem Humor schafft der schottische Cartoonist und Illustrator dabei, eine ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Gaulds Comics sind genau beobachtete und präzise gezeichnete Miniaturen, deren vermeintliche Beiläufigkeit unaufdringlich zum Nachdenken anregt. Oder ganz schlicht zum lauthals Lachen. Wie der Comicstrip „Short Story“: Im ersten Bild steht der Titel, im zweiten fragt eine Figur: „Will you publish my short stories?“ Die Antwort: „No“. Das dritte Bild: „The End“.

In Großbritannien und auch in den USA ist der Mittdreißiger längst kein Unbekannter mehr. Etliche Buchcover hat er gestaltet, in Anthologien veröffentlicht, in Galerien ausgestellt. Gauld zeichnet für die Washington Post und die New York Times, seit ein paar Jahren erscheint einmal in der Woche einer seiner Comics auf der Leserbriefe-Seite des Feuilletons des Guardian. Der muss sich dabei irgendwie auf den Inhalt eines der Leserbriefe beziehen. Nicht selten ist deshalb Literatur im weitesten Sinne Gaulds Thema: eine Ankündigung für das Videospiel „Brontë Sisters“, William Shakespeare, der seinem Ensemble eröffnet, dass das Skript für „Romeo, Julia und Mister Wibbly-Wobbly“ gekürzt wurde – und das Wabbelwesen nun nicht mehr darin vorkommt.

So erzählt auch seine erste Graphic Novel „Goliath“, die nun im Reprodukt Verlag auch auf Deutsch erschienen ist (Reprodukt, 96 zweifarbige Seiten, 15 Euro), die biblische Geschichte vom Hebräer David und dem Philister Goliath – ganz anders allerdings, als man die Erzählung vom ungleichen Kampf bislang kannte. Denn Gauld schreibt und zeichnet seinen „Goliath“ aus der Perspektive des unprominenten Nebendarstellers. Aus dem brutalen, riesenhaften Krieger wird in dem dünnen Band ein friedfertiger und sanftmütiger, liebenswerter Kerl, der von seiner propagandistischen Rolle im Feldzug gegen die israelischen Stämme schlicht überfordert ist. Täglich droht er, wie befohlen, den Feinden. Aber widerwillig, denn viel lieber setzt er sich, ganz anders als all seine Kameraden, an seine Verwaltungsaufgaben. Und so wird bei Gauld aus dem Furcht erregenden Riesen ein sympathischer Antiheld und aus der kämpferischen Heldengeschichte eine humorvolle Parabel über das absurde Geschäft des Kriegtreibens.

Am Sonntag stellt Gauld seinen „Goliath“ im Rahmen des diesjährigen Comicfestivals Hamburg im Comic- und Graphic-Novel-Buchladen Strips & Stories vor und spricht über seine Arbeit. Im Hinterconti ist von Freitag bis Sonntag außerdem eine Ausstellung mit Comics und Zeichnungen Gaulds zu sehen.

Insgesamt präsentiert das Comicfestival von heute bis zum Sonntag internationale Comics und Graphic Novels in sechs Einzelausstellungen unter anderem mit der US-Amerikanerin Gabrielle Bell, die in der Affenfaust autofiktionale Kurzgeschichten zeigt und ebenfalls am Sonntag bei Strips & Stories ihr Buch „The Voyeurs“ (Consortium, 156 Seiten, 18,95 Euro) vorstellt, dem Finnen Marko Turunen, der vor elf Jahren den Wettbewerb des renommierten Internationalen Comix Festivals „Fumetto“ in Luzern gewonnen hat und dessen Band „Der Tod klebt an den Fersen“ nun beim Hamburger Mami Verlag erstmals auf Deutsch erscheint, und Nicolas Mahler, der unter anderem vor zwei Jahren mit dem Max-und-Moritz-Preis als „Bester deutschsprachiger Comicautor“ ausgezeichnet worden ist.

In einem Satelliten-Spaziergang sind heute Nachmittag außerdem Comics, Zeichnungen, Drucke und Animationsfilme von jungen Zeichner_innen an Orten zu sehen, an denen man sie vielleicht nicht erwartet hätte (Treffpunkt 17 Uhr, Die Gesellschaft, Karolinenstraße 16).

Zum ersten Mal widmen sich dieses Jahr schließlich auch Vorträge im Buttclub dem Thema. Mit der Comicserie „Love & Rockets“ der US-amerikanischen Zeichner Jaime und Gilbert Hernandez setzt sich etwa am Samstagnachmittag Karolin Reinhold in ihrem Vortrag „Mex-I-Can! Rethinking the Americas“ auseinander und fragt, inwiefern die bekannte Indie-Comic-Serie über Adoleszenz, Gegenkultur, Familienleben und Sexualität – die häufig in lateinamerikanischen Städten und Dörfern spielt, Latinas zu Protagonistinnen macht und nicht-heteronormatives Leben explizit schildert – Raum bietet, um Differenzen und Brüchen Ausdruck zu verleihen und Repräsentation transkultureller Erfahrung zu sein.

Am Samstagabend stellt sich dort dann der Mainzer Ventil Verlag vor. Jonas Engelmann diskutiert dabei die Dekonstruktion antisemitischer Stereotype bei Johann Sfar, Wolfgang Buechs widmet sich mit Ausschnitten aus seinem nun auch als Best-of-Buch erschienenen Webcomic „zuhause während der digitalen revolution“ (Ventil Verlag, 80 Seiten, 15 Euro) und Musikausschnitten dem urbanen Leben zwischen Arbeit und Subkultur, Technologie und Depression rund um die Nuller Jahre.

■ Do, 27. 9. bis So, 30. 9., diverse Orte, Infos und Programm: www.comicfestivalhamburg.de