piwik no script img

Archiv-Artikel

Wasser tropft, Geld fließt

„Wir beraten nur, verantwortlich ist die Regierung“

AUS EL ALTO GERHARD DILGER

„An die Magenschmerzen, die dieses Wasser auslöst, haben wir uns schon gewöhnt,“ sagt Teófilo Conde. „Aber das aus dem Zisternenwagen ist uns zu teuer geworden.“ Mit einem Plastikeimer schöpft der schmächtige Mann eine gelbliche Brühe aus einem Loch, das durch ein Autowrack und eine rostige Klappe vor Verunreinigungen geschützt werden soll. Weitläufige Wiesen wechseln sich mit einstöckigen Abdobehäusern ab. Im Hintergrund erhebt sich majestätisch der schneebedeckte Sechstausender Huayna Potosí.

Vor fünf Jahren ist Conde mit seiner achtköpfigen Familie aus dem tropischen Yungas-Tiefland auf die bolivianische Andenhochebene gezogen, in den Außenbezirk Sieben der 800.000-Einwohner-Stadt El Alto. Dort winkten eine feste Anstellung als Fahrer und eine Schulausbildung für die Kinder.

Ähnlich desolat wie Conde, ohne sauberes Wasser und Abwasserversorgung, wohnt immer noch ein knappes Viertel der Alteños – obwohl mit der Privatisierung der städtischen Wasserwerke 1997 alles besser werden sollte. Der von der Weltbank miterzwungene und mitverfasste Konzessionsvertrag von 1997 garantierte dem französischen Wassermulti Suez zwar eine 13-prozentige Rendite, aber zu einer flächendeckenden Versorgung verpflichtete er ihn nicht. Ende 2004 wuchsen sich die gelegentlichen Proteste unter der Führung der über 400 Stadtteilkomitees zu einer Massenbewegung aus. Als Suez sich weigerte, den Vertrag nachzuverhandeln, zückte die Regierung die rote Karte.

Die Empörung bei den Vertretern der „internationalen Gemeinschaft“ war groß. „Bolivien ist kein Modellland mehr“, wetterte der deutsche Wirtschaftsattaché Johannes Lehne vor der Presse. Schuld daran seien „radikale Gruppen“; Bolivien stehe hingegen durch 22 internationale Investitionsschutzabkommen in der Pflicht. Vertreter der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der bundesdeutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der Gesellschaft für Technischen Zusammenarbeit (GTZ) und andere Geldgeber nahmen die Regierung so lange ins Gebet, bis sie öffentlich für eine öffentlich-private Nachfolgegesellschaft eintrat.

Die vehemente Reaktion der Gebergemeinschaft, die in dem hoch verschuldeten 9-Millionen-Land mit ihren Krediten die allernötigsten Ausgaben in der Sozialpolitik garantiert, erklärt sich aus den Veränderungen der letzten Jahre. Galt Bolivien vor zehn Jahren noch als neoliberales Versuchslabor par excellence, so bestimmen seit ein paar Jahren die sozialen Bewegungen die politische Agenda. Sie fordern einen gerechten Anteil an den Profiten aus dem Erdgasexport, die nach der Privatisierungswelle der 90er-Jahre mehr denn je die Kassen der Ölkonzerne füllen.

In El Alto traf ein ganz ähnlicher Zorn den Global Player Suez – und seine Helfershelfer wie die deutschen Entwicklungsagenturen. Denn in einer Erklärung verknüpfte ausgerechnet die deutsche Botschaft einen 15-Millionen-Euro-Kredit der KfW für die Wasserversorgung in El Alto öffentlich mit einer „gütlichen Einigung“ mit den Franzosen über die Gründung eines „effizienten und nachhaltigen“ Wasserwerks mit Privatbeteiligung und die Achtung der Sektorpolitik für Wasser und Abwasser. Pikant dabei: Um die Erklärung, die die Handschrift der GTZ trug, hatte die bolivianische Regierung gebeten, die gegenüber den Stadtteilkomitees in Erklärungsnotstand geraten war.

„In Bolivien ist die GTZ die Schaltzentrale der Wasserprivatisierung“, sagt Omar Fernández. Der langjährige Wasseraktivist und Bauerngewerkschafter aus Cochabamba weiß, wovon er spricht. „Jahrelang haben wir mit ihr gerungen, zum Beispiel um Trinkwassergesetze,“ erzählt er. „Sie hat auf der Regierungsseite mitgemischt, manchmal offen, aber meistens hintenherum“. Ihre Mitarbeiter seien oft qualifizierter als die Verantwortlichen in den Ministerien. 2002 habe die GTZ durch intensive Lobbyarbeit sogar ein Präsidentendekret erreicht, das „gemischte Aktiengesellschaften“ zur Wasserversorgung in Klein- und Mittelstädten erst ermöglicht hat.

In der Minenstadt Llallagua etwa hat die KfW 8,6 Millionen Euro als Schenkung bereitgestellt. Nach dem AG-Modell bleiben 30 Prozent der Anteile im Besitz der Kommune. Die übrigen 70 Prozent werden auf die Bevölkerung verteilt – jeder erwachsene Einwohner soll Teilhaber werden. Nur so könnten Effizienz und langfristige Tragfähigkeit gewährleistet werden, sagt die GTZ-Verantwortliche Cornelia Gerhardt in La Paz und fügt einen Satz hinzu, der aus einem ihrer Hochglanzprospekte stammen könnte: „Durch eine wirkliche Bürgerbeteiligung wird die soziale Kontrolle garantiert.“

Die Wirklichkeit sieht anders aus. In Llallagua, 300 Kilometer südlich von La Paz, ist sieben Jahre nach Beginn der Diskussion und drei Jahre nach Vertragsunterzeichnung noch nicht einmal der erste Spatenstich getan. Nur an jedem zweiten Tag gibt es für ein paar Stunden Wasser, und das ist von zweifelhafter Qualität. Sprecher der Stadtteilkomitees besetzten vor kurzem das Büro des von der GTZ beratenen Wasserwerks und forderten dessen Umwandlung in einen rein öffentlichen Betrieb. Sie bemängeln Vetternwirtschaft und das Fehlen von Transparenz, die die Betreiberorganisation bereits im Vorfeld des Großprojekts kennzeichneten. Mittelfristig, befürchten sie, könnten die Anteilhaber entmachtet werden: „Die Aktienanteile landen eines Tages in den Händen privater Firmen“, ist sich Bürgervertreterin Rosario Paco sicher. AGs unterliegen dem bolivianischen Handelsgesetzbuch. Damit ist der Verkauf der Anteile möglich und kann auch durch anders lautende Regionalregelungen nicht verhindert werden.

Für Gerhardt ist dieses Szenario dennoch „unwahrscheinlich“. Das privatrechtliche „Zweckverbandmodell“ sei nun mal am besten geeignet, die „Sektorprobleme nachhaltig zu lösen“, sagt die GTZ-Expertin. Das habe eine Analyse ergeben und an dieser Vertragsgrundlage für die Finanzierung werde man festhalten.

Für Fernández und seine Mitstreiter ist diese Organisationsform der sichtbarste Beweis für die „Privatisierungsideologie“ der GTZ. „Warum bestehen denn die Deutschen überall auf der Beteiligung der Privaten?“, fragt er. Reinhard von Brunn, der scheidende GTZ-Büroleiter in La Paz, bestreitet diese Prämisse rundweg. „Wir favorisieren kein bestimmtes Modell“, sagt er, ideologische Scheuklappen hätten dagegen die bolivianischen Globalisierungskritiker. Fest steht allerdings: Seit 1999 kommen alle Neufinanzierungen der KfW Gesellschaften nach dem AG-Modell zugute.

In der entwicklungspolitischen Community von La Paz gelten die Deutschen als besonders „dogmatisch“. Diplomatisch bezeichnet der Schweizer Experte Peter Tschumi die GTZ-Politik als „ambitiös“ und sagt im gleichen Atemzug: „Die Schweizer machen keine Lobby für Gesetze.“ Die Machtfülle mancher Experten sorgt auch selbst in Regierungskreisen für Irritationen. „Die GTZ ist ein Staat im Staate, sie hat zwei Vizeminister abgesägt und gegen alle intrigiert, die nicht auf ihrer Linie liegen“, so ein Regierungsfunktionär, der nicht namentlich genannt werden will.

„Nach 27 Jahren im Wassersektor sind wir so etwas wie das institutionelle Gedächtnis“, räumt von Brunn mit einem gewissen Stolz ein. „Viele Projektakten finden sich nur bei uns, die Nachhaltigkeit der staatlichen Institutionen ist prekär.“ Aber den Vorwurf der Manipulation oder Bevormundung weist er weit von sich: „Wir beraten nur, verantwortlich ist die Regierung.“ Inhaltlich habe man sich nichts vorzuwerfen, betonen die deutschen Experten ebenso wie die Verantwortlichen im Bonner Entwicklungsministerium. Mit handfesten Informationen über ihre Rolle in der Wasserpolitik geizen sie. Projektberichte oder Analysen über ihre Aktivitäten dürfen sie „leider“ nicht herausgeben, namentlich zitiert werden wollen sie auch nicht.

„Die GTZ ist ein Staat im Staat“

Weniger zugeknöpft gibt sich die Weltbank. Auf ihrer Website findet sich ein Dokument über ein „Strukturanpassungskreditprogramm“ vom Mai 2004. Demnach entwarfen GTZ und KfW zusammen mit der Regierung die Reform des Wasser- und Abwassersektors. Es geht um die „Behebung institutioneller Engpässe“ und „struktureller Defizite“ wie der „Fragmentierung des Wassermarkts“ oder einer „mangelhaften finanziellen Basis der Wasserversorger“. Auf dieser Philosophie basiert auch das AG-Modell.

Als „Schlüsselmechanismus für die Umsetzung der neuen Finanzpolitik“ wird die neue Wasserstiftung Fundasab genannt, die Bauerngewerkschafter Fernández als GTZ-beherrschte, parastaatliche Einrichtung kritisiert: „Hier werden die internationalen Mittel für die Wasser- und Abwasserpolitik konzentriert, die Zivilgesellschaft ist überhaupt nicht vertreten, sondern nur Regierungsfunktionäre und Techniker.“

Als Kofinanziers spielen die Deutschen ebenfalls eine Hauptrolle: Während die Weltbank eine erste Tranche über 25 Millionen Dollar bereitstellte, legte die KfW noch einmal 20,3 Millionen Euro drauf. Was die Geber im Gegenzug erwarten, hat Expräsident Carlos Mesa einmal im Zusammenhang mit dem Streit um das Erdgasgesetz formuliert: „vernünftige“ Beziehungen, Gesetze, die für Investoren „akzeptabel“ sind. Sonst drohe der Wegfall von „Entwicklungshilfe“, womit wiederum die Gehälter von LehrerInnen, ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen auf dem Spiel stünden. Hinter den USA und Japan ist Deutschland der drittgrößte Geber.

Abel Mamani, Vorsitzender des Stadtteilkomitees von El Alto, betont: „Wir sind an Zusammenarbeit interessiert, auch mit unseren deutschen Freunden, und wir verstehen auch, dass sie Geschäfte machen wollen. Aber wenn sie sich in unsere Angelegenheiten einmischen, wehren wir uns.“

Selbstkritik üben die deutschen Experten nur in einem Punkt: Das öffentliche Vorpreschen der Botschaft sei „nicht glücklich gewesen“, sagen sie. In Bonn und Berlin, aber auch intern habe es Ärger verursacht. Seither legten sie ungewöhnliche Zurückhaltung an den Tag, heißt es aus bolivianischen NGOs. Doch der Grundkonflikt besteht unverändert weiter.

Insgesamt ist die Wasserfrage in den Schatten des bevorstehenden Wahlkampfs gerückt, der Basisaktivisten wie Traditionsparteien gleichermaßen in Anspruch nimmt. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Übergangspräsident Eduardo Rodríguez die Verhandlungen mit Suez zur Chefsache erklärt – wie das Tauziehen hinter den Kulissen ausgeht, ist völlig ungewiss.