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Archiv-Artikel

strafplanet erde: südlich der mitte von nirgendwo von DIETRICH ZUR NEDDEN

Niemand kommt hier lebend weg, hämmerte es ostinat in meinem Hirn, seitdem wir die felsige Küste erklommen hatten. Irgendwann wurde das Gemurmel laut genug und meine Begleiterin korrigierte kaltblütig: „Nicht lebend und nicht tot.“ Wir hatten wirklich keine Chance. Die unbewohnte Insel war von einem Eismantel bedeckt bis auf den Streifen im Westen, wohin es uns verschlagen hatte. Trotz Thermo-Janker zitterten wir, der grimmige Wind schnitt ins Gesicht.

Zermürbt vom Schicksalswahlspektakel hatten wir Deutschland den Rücken gekehrt und Reißaus genommen. Einigermaßen komisch war noch das Gerede um den fiesen Bierdeckel-Trick gewesen. Ist es etwa erlaubt, dass Parteien, zu deren Mitgliedern reichlich Steuerberater, Fiskaljuristen und Finanzbeamte zählen, die Steuererklärung vereinfachen? Ein Brüller. Außerdem unsozial. Dann hatten wir den Claim der ehemaligen Dreipunktepartei veredelt. Mit drei Punkten: „Zukunft. Neu. Denken.“ Das hatte so viel Schwung wie die vier Seeelefanten, die grazil einen entfernt gelegenen Abhang hinab in den Südatlantik glitten. Zur SPD und zur Linkspartei fielen uns – kaum zu glauben – noch weitaus schwächere Scherze ein, ein Plakat der Grünen gab uns den Rest: „Kinderbetreuung für alle“. Genau! Für alle 80 Millionen. Via Radio und TV, die jetzt schon wenig andres machen. Und mit Hauruck-Gedengel und Tschingderassabäng spielen dazu ausgewählte Orchester von Arschgeigen auf. – Nichts wie weg.

Zur Strafe für unser verantwortungsethisch fragwürdiges und staatsbürgerlich ungenügendes Fluchtverhalten hatten wir auf unserm Segeltörn von Tristan da Cunha aus Schiffbruch erlitten. ‚Die da oben, wir hier unten‘ – die vertikale Wirtshausweisheit war vergletschert zu einer geografischen Position.

Ein Eiland der abscheulichsten Sorte nahm uns auf, eine der einsamsten und schwersterreichbaren Inseln der Welt war der Endpunkt unserer Odyssee. „Bitte wie? ‚Schwersterreichbar‘? Uns ist es geglückt!“, brüllte ich in irrem Gelächter. Sie blieb gefasst, klimperte weiter auf dem Notebook herum, das sie gerettet hatte. Der 30-Jahre-Akku funktionierte. Die Netzverbindung auch. Die computergesteuerte Wetterstation am Nordwestende der Insel war über Satellit mit der Zivilisation verbunden. Nur das E-Mail-Programm hakte.

„Die Insel, deren mittlere Jahrestemperatur minus 1,5 Grad Celsius beträgt, ist der Gipfel eines Basaltvulkans, der sich aus Tiefen von 2.000 Metern bis an die Meeresoberfläche erhebt.“ Gleich wurde uns wärmer, trauliche Behaglichkeit machte sich breit, die Liebste rückte näher ran.

Beim Energieriegel danach hellte die Zukunft auf, strahlte sogar. Geht der Vorrat zur Neige, gibt es Flechten und Moose. Außerdem können wir jederzeit eine Pelzrobbe erschlagen oder eine Taube erwürgen. Wasser? Schnee fällt genug. Ein Rundum-sorglos-Exil also. Kein Stress, keine Staus, keine Termine, keine Kompromisse. Besuch ist gelegentlich eventuell willkommen. Vorweg die dringende Warnung: Anlegemanöver sind nur bei Ostwind möglich. Unsere Adresse: 54° 26’ Süd, 3° 24’ Ost, südwestlich vom Kap der Guten Hoffnung. Mehr kann man nun wirklich nicht verlangen.