: „Die Türkei darf nicht die Bedingungen diktieren“
Der konservative Europaabgeordnete Jacques Toubon erklärt, warum Frankreich seine Position zu einem EU-Beitritt verändert hat
taz: Herr Toubon, heute treffen sich die EU-Außenminister, um über das Verhandlungsmandat mit der Türkei zu entscheiden. Erwarten Sie, dass der Gesprächsbeginn doch noch verschoben wird?
Jacques Toubon: Diese Sitzung ist entscheidend. Wir dürfen die Verhandlungen auf keinen Fall mit einem solch schwachen Mandat beginnen, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Sonst diktiert uns die Türkei die Bedingungen und nicht umgekehrt. Dabei ist die Zypernfrage substanziell. Ich gehe davon aus, dass die französische Regierung diese Position beim Treffen der Außenminister verteidigen wird. Auch einige andere Länder haben erhebliche Bedenken. Dazu gehören die Niederlande und Österreich. Das Problem ist, dass der Verhandlungsrahmen einstimmig beschlossen werden muss. Ein Veto ist dabei eine sehr extreme Position. Das traut sich so schnell keiner. Aber ich bin überzeugt, dass Frankreich diesmal mit einem klaren Mandat in die Verhandlungen geht: Es muss klar sein, dass die Zypernfrage in den Verhandlungen nicht untergehen wird.
Der französische Präsident und Ihr Parteifreund, Jacques Chirac, war noch bis vor kurzem ein Befürworter des Türkeibeitritts. Jetzt sagt er das Gegenteil. Dabei geht es doch nicht nur um die Anerkennung Zyperns, oder?
Nein. Die Zusatzerklärung der Türkei zum Ankara-Protokoll war für die französische Regierung eine willkommene Gelegenheit. Denn schon seit Monaten – und zwar nicht erst seit dem EU-Referendum im Mai – zweifelt man in Paris an dem Sinn des Türkeibeitritts. Es gibt keine Partei mehr, die diesen zu 100 Prozent verteidigt. Es ist immer ein „Ja, aber“ oder ein „Nein, wenn …“. Für mich ist es eine große Genugtuung, dass die Regierung endlich – Anfang August – ihre Meinung geändert hat. Wir, die Abgeordneten der UMP, waren schon immer gegen diesen Beitritt.
Hat Chirac dem Druck Ihrer Partei nachgegeben?
Der Einfluss der Partei, die sich schon 2004 gegen den Türkeibeitritt ausgesprochen hat, ist in den vergangenen Monaten sicherlich größer geworden. Diese Entwicklung hängt vor allem mit den Personalwechseln innerhalb der Regierung zusammen. Unser ehemaliger Außenminister, Michel Barnier, hat sich zum Beispiel – als ehemaliges Mitglied der EU-Kommission – sehr viel stärker für die Beitrittsverhandlungen eingesetzt. Das ist mit dem neuen Außenminister Douste-Blazy anders geworden. Die Regierung ist sensibler geworden. Und sie hört endlich auf die öffentliche Meinung. Die Mehrheit der Franzosen ist schließlich gegen diese Erweiterung. INTERVIEW: RUTH REICHSTEIN