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Archiv-Artikel

Wasser-Poker

Wasser ist ein öffentliches Gut. Dachte sich wohl auch der Stuttgarter Gemeinderat, der das kostbare Nass von der EnBW zurückhaben will. Doch der Konzern pokert, erhöht erst mal die Preise und will für den Verkauf viel mehr Geld, als die Stadt zahlen will. Der Krimi um die Rekommunalisierung der Strom-, Gas-, Wasser- und Fernwärmeversorgung geht weiter.

Von Dietrich Heißenbüttel (Text) und Joachim E. Röttgers (Fotos)

Mit überwältigender Mehrheit hat der Stuttgarter Gemeinderat am 17. Juni 2010 beschlossen, die Wasserversorgung der Landeshauptstadt, die 2002 an die EnBW verkauft worden war, wieder in die Hände der Stadt zu legen. Der Gemeinderat folgte damit einem Bürgerbegehren, für welches das Stuttgarter Wasserforum 27000 Unterschriften gesammelt hatte. Nun hat der Noch-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster am 9. Juli 2012 Wolfgang Bruder, den Vorsitzenden der EnBW Regional AG, aufgefordert, nicht nur die Anlagen, Einrichtungen und Rechte zum 1. 1. 2014 auf die Landeshauptstadt zu übertragen und dafür einen angemessenen Preis „auf Basis des Ertragswerts“ zu nennen.

Schuster hat Bruder außerdem daran erinnert, dass sich die EnBW bei mündlichen Gesprächen im Juni bereit erklärt habe, „für einen Zeitraum von wenigstens drei Jahren technische Dienstleistungen ,im Rahmen einer vollumfänglichen, den jetzigen Qualitäts- und Umfangsstand abdeckenden Betriebsführung‘ auf der Basis eines Kostenersatzes von 30,65 Mio. Euro (2014) anzubieten bzw. zu erbringen“.

„Betrieb der Wasserversorgung ist doch kein Hexenwerk“

Wie ist das zu verstehen? Als Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Privatisierung? Wenn die EnBW nur die Anlagen verkauft, die Netze aber weiter betreibt, was bleibt dann noch vom städtischen Eigenbetrieb? „Der Betreiber hat als Einziger die Kontrolle – die Rohre allein nützen nichts“, sagt dazu Barbara Kern vom Wasserforum. Das Argument, die Stadt sei auf das technische Know-how der EnBW angewiesen, lässt ihr Mitstreiter Ulrich Jochimsen nicht gelten: „Völliger Blödsinn“, so Jochimsens Kommentar, „der Betrieb einer kommunalen Wasserversorgung ist doch kein Hexenwerk.“ Seit 2002 beschäftigen sich engagierte Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit der Rekommunalisiserung der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Die längste Zeit der Geschichte sahen sich die Technischen Werke der Stadt Stuttgart (TWS) mit der Wasserversorgung nicht vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt. Jahrhundertelang war die einzige Sorge gewesen, der Stadt eine ausreichende Menge Wasser zur Verfügung zu stellen. „Ein großer Mangel für die Residenz war es“, schreibt Walter Mayer-König 1979 in „Stuttgart und das Wasser“, einer Publikation der TWS, „dass die Stadt an keinem Wasserlauf lag. Der kümmerlich fließende Nesenbach konnte kaum als solcher bezeichnet werden.“

Die geniale Idee Herzog Christophs und seiner Ingenieure, die Glems im Sumpfgebiet der Pfaffenwiese aufzustauen und ihr Wasser sowie später auch das des Bärenbachs, des Steinbachs und des Katzenbachs über einen Stollen dem Nesenbach zuzuführen, sicherte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die Versorgung der Stadt. Ohne das Seewasserwerk Hasenberg, dem das Wasser der Parkseen ab 1874 direkt zugeführt wurde, hätte der Stuttgarter Westen niemals so dicht bebaut werden können. Innerhalb von 30 Jahren ab 1874 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von 100000 auf 200000. Das Reservoir am Hasenberg, das auch den Feuersee versorgte, war dazu ebenso notwendige Voraussetzung wie das Neckarwasserwerk, das ab 1882 das gefilterte Flusswasser zu Wassertürmen und -speichern auf die Höhen hinaufpumpte.

EnBW ist größter Grundbesitzer der Stadt Stuttgart

Als nach zahlreichen Eingemeindungen 1950 die Einwohnerzahl auf 500000 gewachsen war, reichte das lokal verfügbare Wasser nicht mehr aus. 1954 gründete sich der Zweckverband Bodenseewasserversorgung. 1968 bis 1971 wurde ein Stollen durch die Schwäbische Alb gegraben, an dem seither der größere Teil Stuttgarts sowie zahlreiche weitere Gemeinden hängen. Die östlichen Stadtteile von Zazenhausen bis Hedelfingen beziehen ihr Wasser von der Landeswasserversorgung aus dem Donauried. Seit 1998 dient das Wasser der Parkseen nur noch der Notversorgung. Zu dieser Zeit begann der Ausverkauf der kommunalen Dienste.

1997 fusionierten die TWS mit den Neckarwerken aus Esslingen zur NWS und die Energieversorgung Schwaben in Stuttgart mit den Badenwerken in Karlsruhe zur EnBW. 2003 verkaufte das Land seine Anteile an der EnBW an Electricité de France (EdF), drei Jahre später die Stadt ihre NWS-Anteile an die EnBW. „Das hat keine andere Großstadt so gemacht“, sagt Barbara Kern. Mit Betriebswohnungen und allem, was dazugehört, ist die EnBW seither größter Grundbesitzer der Stadt.

Zur selben Zeit begann Stuttgart mit dem Cross-Border-Leasing (CBL). Zunächst wurden Stadtbahnwagen und Klärwerke an amerikanische Gesellschaften vermietet und wieder zurückgemietet, dann 2001/02 die Bodenseewasserversorgung, die Landeswasserversorgung und das Abwasserkanalsystem. Erst als die Versicherungsgesellschaft AIG, ein Partner des amerikanischen Trusts, im Zuge der Finanzkrise 2008 ins Trudeln geriet und von den Ratingagenturen herabgestuft wurde, konnte der CBL-Vertrag über die Zweckverbände 2009 vorzeitig beendet werden, bei einem Verlust von etwas mehr als 13 Millionen Euro. Stadtbahnwagen, Klärwerke und Abwasserkanalsystem befinden sich immer noch in der Hand amerikanischer Investoren.

Schuster pflegte einen Politikstil der mündlichen Vorabsprache

Es gibt allen Grund, Schuster gegenüber misstrauisch zu sein. Der langjährige Stuttgarter OB hat die Gemeinderäte mit vorbereiteten Gutachten in die Cross-Border-Leasing-„Geschäfte“ und den Verkauf der NWS-Anteile hineingeredet, was zumindest Grüne und SPD heute bereuen. Vorab mündliche Gespräche zu führen, dabei bereits Entgegenkommen zu signalisieren, sich die Abmachungen dann schriftlich bestätigen zu lassen, die der Gemeinderat dann nur noch abhaken soll: dies ist der Politikstil, den der OB immer gepflegt hat und der häufig erst im Nachhinein, wenn es bereits zu spät war, Kritiker auf den Plan gerufen hat.

Aber die Rekommunalisierung hat ihre Tücken: 600 Millionen Euro möchte die EnBW für die Rückgabe der Wasserleitungen haben. Nach Ansicht der Stadt ist dies viel zu viel, 110, bestenfalls 150 Millionen sei das Leitungsnetz wert. Nach Auskunft einer Beschlussvorlage von OB Schuster vom 17.3.2009 war die EnBW selbst damals noch von einem Gesamtwert von 160 Millionen ausgegangen. (Siehe das verlinkte PDF, Seite 8.) Zudem hat die EnBW am 1. August den Wasserpreis um 9,5 Prozent erhöht. Die Stadt hält dies in keiner Weise für gerechtfertigt und vermutet, dass der Energiekonzern damit den Verkaufspreis für das Leitungsnetz in die Höhe treiben will. Denn das Netz ist mehr wert, wenn sich damit mehr Geld verdienen lässt.

Hier sehen Kern und Jochimsen vom Wasserforum auch das Problem: Solange die Kommune die Infrastruktur nach dem Selbstkostenprinzip unterhielt und nur für das Wasser selbst eine Gebühr erhob, wurde auf Gewinne aus dem Leitungsnetz weitgehend verzichtet. Deshalb lag der Preis beim Verkauf an die EnBW niedrig, während der Konzern jetzt als privatwirtschaftliches Unternehmen zu erwartende Gewinne in Rechnung stellt.

EnBW dementiert, dass Preiserhöhung mit dem Verkauf an die Stadt zu tun hat

Die EnBW bemüht sich, die Preiserhöhung gut zu begründen. Es sei die erste seit fünf Jahren, zurückzuführen vor allem auf erhöhte Kosten für den Bezug sowie auf Personalkosten, geringeren Verbrauch und Investitionen in die Infrastruktur. Dass die Preiserhöhung mit dem Verkauf an die Stadt zu tun habe, dementiert der Konzern: "Der Wert des Wassergeschäfts ändert sich übrigens durch die aktuelle Kalkulation aus Sicht der EnBW grundsätzlich nicht."

Tatsächlich ergibt eine Nachfrage bei der Bodenseewasserversorgung, dass die mittlere Umlage – also der durchschnittliche Preis, den der Zweckverband den Wasserversorgern in Rechnung stellt– zwischen 2008 und 2011 von 39 auf 43,8 Cent pro Kubikmeter gestiegen ist, also um rund 12 Prozent, während die EnBW eine Preissteigerung von 11,5 Prozent anführt. Allerdings beanstandet die Stadt, der Aufwand für Betrieb und Personal sei 2011 um 14 auf 64 Millionen Euro gesunken. Und auch das Bundeskartellamt moniert, dass bereits der alte Preis „schon sehr hoch“ und gemessen an den 38 größten deutschen Städten „weit über dem Durchschnitt“ liege.

Landeskartellamt prüft, ob Missbrauch vorliegt

Das Landeskartellamt prüft nun, ob ein Missbrauch vorliegt, denn mit der neuesten Preiserhöhung ist die EnBW unter den 83 privatrechtlich tätigen Wasserversorgern im Lande der Viertteuerste. Und der Oberbürgermeister kündigt im eingangs erwähnten Schreiben an den EnBW-Regionaldirektor Bruder an, dass er dem Gemeinderat empfehlen werde, „die Verwaltung mit der Vorbereitung einer Klageschrift zu beauftragen“.

Insgesamt gibt es mehr als 1000 Wasserversorger in Baden-Württemberg, von denen allerdings nur 83 unter die Aufsicht der Kartellämter fallen, weil sie ein privatrechtliches Entgelt und nicht Gebühren verlangen. Dies können auch kommunale Betriebe sein wie die Energie Calw, die zu 51 Prozent der Stadt und zu 49 Prozent der EnBW gehört und gegen die als teuerstes Unternehmen seit zwei Jahren ein Missbrauchsverfahren läuft. Zuletzt hat der Bundesgerichtshof gegen den vorangegangenen Beschluss des Oberlandesgerichts entschieden, dass die Beschwerde des Landeskartellamts zulässig sei, und den Fall an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Wenn ein Missbrauch festgestellt wird, droht der Energie Calw, was zu viel berechnet wurde, rückwirkend an die Kunden zurückzahlen zu müssen.

Das Bundeskartellamt hat kürzlich gefordert, auch die kommunalen Betriebe, die Gebühren erheben, unter seine Aufsicht zu stellen. Tatsächlich gibt es einige kommunale Betriebe, die noch mehr verlangen als Calw. Aber im Landesdurchschnitt liegen die kommunalen Betriebe eher günstiger. Ein direkter Preisvergleich ist schwer möglich, weil der Aufwand zur Bereitstellung des Wassers sehr unterschiedlich ausfällt, es außerdem kein einheitliches Abrechnungsverfahren gibt und die einen beim Frischwasser, die anderen beim Abwasser kräftig zulangen. Folglich gibt es auch keine Garantie, dass die Wasserversorgung unter städtischer Obhut tatsächlich besser oder billiger wird.

Übt der Stuttgarter Gemeinderat die Kontrolle wirklich aus?

Während aber die EnBW als börsennotierte Aktiengesellschaft dem Shareholder-Value der Anleger verpflichtet ist, hat im Falle eines städtischen Betriebs der Gemeinderat die Kontrolle. Aber übt er die auch aus? Erst im Juli dieses Jahres hat der Stuttgarter Gemeinderat mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen, die Konzessionen für Strom, Gas und Fernwärme neu auszuschreiben. Damit folgt er der Auffassung der Kartellämter, eine Ausschreibung sei zwingend notwendig, und stellt sich damit indirekt auf die Seite OB Schusters, der ein zweites Bürgerbegehren für die vollständige Übernahme der Strom-, Gas- und Wasserversorgung durch einen kommunalen Betrieb mit abermals 27000 Unterschriften, die am 14. Februar dieses Jahres dem Rathaus übergeben wurden, wieder einmal für rechtlich unzulässig erklärt.

Die Initiatoren des Stuttgarter Manifests, Barbara Kern und ihre Mitstreiter, sehen das anders. Sie berufen sich auf Artikel 28 (2) der Grundgesetzes, der da lautet: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Sie sind entschlossen, diese Auffassung bis in die höchstrichterliche Instanz durchzufechten. Denn Stuttgart ist kein Einzelfall. Andere Gemeinden würden sehr genau beobachten, was in der Landeshauptstadt passiert, meint Barbara Kern, die einen Dammbruch für die Privatisierung befürchtet.

Neues Ungemach droht zudem zum Jahreswechsel 2037/38, wenn die Wasserrechte neu vergeben werden. Befinden sich Bodenseewasserversorgung und Landeswasserversorgung dann noch zum Teil in privater Hand, müssen sie europaweit neu ausgeschrieben werden – nur wenn sie sich ausschließlich im Besitz der Kommunen befinden, muss dies nicht geschehen. Die Kommunen müssten bis dahin alle ihre Anteile zurückkaufen, und wenn Stuttgart nun ein umgekehrtes Signal sendet, wird es kleineren Gemeinden schwerfallen, sich anders zu entscheiden.

Die Wasserversorgung ist ein bombensicheres Geschäft. Ohne Wasser kann niemand leben. Unternehmen, die bei einer Ausschreibung den Zuschlag erhalten, können ihren Anlegern die Verzinsung des Kapitals garantieren. Warum lassen sich aber die Kommunen dieses Geschäft entgehen? „Die Politik will Privatisierung, weil es Pöstchen gibt“, meint dazu der Mitbegründer des Wasserforums, Jens Loewe. Bisher hat jedenfalls noch kein einziger Stuttgarter Stadtrat gegen Schusters Angebot an die EnBW protestiert, den Betrieb – entgegen dem Gemeinderatsbeschluss von 2010 – erneut zu übernehmen.

Die Antwort auf Schusters Schreiben steht übrigens noch aus. Wolfgang Schuster hatte die EnBW Regional aufgefordert, bis zum 31. August dieses Jahres verbindliche Angebote vorzulegen. Eine Nachfrage im Rathaus ergibt: es liegt bisher „keine umfassende Antwort“ vor. Man „koordiniert gemeinsam“ einen neuen Gesprächstermin. Auf die Frage, wann der denn sein solle, heißt es nur: „Möglichst bald.“