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Lehrer gehören auf die Schulbank

Das lebenslange Lernen wird ausgerechnet bei Lehrern vernachlässigt. Es fehlt trotz Pisa-Schock an Weiterbildungsangeboten und an Leitbildern

VON JEANNETTE GODDAR

Es hätte immer so weitergehen können: Fast 30 Jahre lang trat Manfred Müller seinen Dienst an und machte alles genau so, wie er es um 1968 gelernt hatte. Er stellte sich vor seine Klasse und unterrichtete. Meistens frontal. Fast immer getreu dem Lehrplan. Immer in dem Glauben, dass seine Schüler am Ende der Stunde mehr von Mathe und Physik verstünden als zu Anfang. Als mit der internationalen Studie TIMSS das erste wissenschaftliche Dementi dieser These vorlag, ging er in sich: So wenig sollte bei seinen Schülern ankommen? Geplättet trommelte er Kollegen zusammen und meldete die Truppe zur Fortbildung an. Seither vergeht kein Jahr, in dem sich nicht mindestens jeder dritte Lehrer an seinem Gymnasium auf die Suche nach neuen Erkenntnissen über Unterrichtsformen macht.

Dass der 53-Jährige den Drive zur Weiterbildung hatte, ist löblich. Nötig war es nämlich überhaupt nicht. Aller Einsicht in die Dringlichkeit der Professionalisierung des Lehrberufs zum Trotz müssen die fast 800.000 Lehrer in Deutschland bis ans Ende ihres Berufslebens nichts verändern. Zwar schreiben die meisten Schulgesetze Fortbildung fest. Meist handelt es sich aber um einen schlichten Appell, und es bleibt jedem überlassen, ob und in welchem Umfang er sich weiterbildet.

Wer sich fortbilden möchte, findet häufig kaum Angebote: Dass ein Institut wie das Berliner Lisum laut Berechnungen der Lehrergewerkschaft GEW inzwischen drei von vier Stellen einbüßen musste, mag ein Extremfall sein – Federn lassen musste die Lehrerbildung aber in den meisten Bundesländern. „Das lebenslange Lernen in der Schule wird sträflich vernachlässigt“, kommentiert der Münsteraner Experte für Lehrerbildung, Ewald Terhart, „auch die Schule muss endlich eine lernende Organisation werden.“

Das fordert auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Ende 2004 den ersten weltweiten Vergleich der Lehrerbildung präsentierte. „Teachers Matter“ lautet der ebenso simple wie einleuchtende Titel – „Auf die Lehrer kommt es an“. Auf ihrer Weltreise notierte die OECD in Deutschland eine „einzigartige“ Besonderheit: Nirgendwo sonst werden Lehrer so lange aus- und so wenig fortgebildet. „Sie investieren enorme Summen, bevor ein Lehrer in die Schule kommt – und nichts mehr, wenn er drin ist“, kritisierte der Verantwortliche der OECD-Studie, Paulo Santiago, bei der Vorstellung in Deutschland. Dass es anders geht, beweisen die notorischen Pisa-Sieger aus Skandinavien, aber auch ein Land mit einem ähnlichen Schulsystem wie Deutschland, das beim jüngsten Vergleich der Schulleistungen blendend abschnitt: die Niederlande. Dort absolvieren Lehrer 19 Prozent ihrer Arbeitszeit – 169 Stunden pro Jahr – als Schüler: Sie lernen.

Seit die Kultusministerkonferenz Ende 2001 die Professionalisierung des Lehrberufs als „prioritär“ fixiert hat, versucht man es mancherorts mit etwas Druck: In Bayern, Hamburg und Hessen müssen Lehrer ihre Fortbildungen jetzt nachweisen. In Hessen wurde ein „Portfolio“ eingeführt, das einschlägige Aktivitäten dokumentiert. Im Prinzip setzt man zwar weiterhin darauf, dass Lehrer sich freiwillig fortbilden. Tun sie das nicht, kann die Schulleitung sie „zur Wahrnehmung bestimmter Maßnahmen verpflichten“.

Auch das neue Hamburger Schulgesetz stellt die Schulleitungen in den Mittelpunkt: Fortbildung wird als Mittel der Schul- und Personalentwicklung betrachtet, für deren Durchführung die Leitung einer Schule verantwortlich zeichnet. In einem neuen Arbeitszeitmodell wird die Fortbildungsverpflichtung in der unterrichtsfreien Zeit auf 30 Stunden pro Jahr festgelegt. „Viele Lehrer bilden sich gerne und oft fort“, sagt Peter Daschner, Leiter des Hamburger Instituts für Lehrerbildung, „aber wir müssen auch die erreichen, die das nicht tun.“ Um dafür zu sorgen, dass allen Schulen passgenaue Angebote gemacht werden, wird der Bedarf an Fortbildung an den Schulen erhoben und nachgefragt.

Dass die wenigen Kurse für Pädagogen oft an der Realität vorbeigehen, kritisiert auch die GEW: „Lehrer sind nicht unwillig zu lernen“, sagt Marianne Demmer, GEW-Sprecherin für Schulfragen, „wenn das Angebot gut ist, ist auch das Interesse groß.“ Dass es sich zu wenig an der Nachfrage orientiere, sagt auch Manfred Prenzel, Leiter des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel. Vor allem fehle es an schulinternen Angeboten, sagt Prenzel. Terhart assistiert: „Lehrer müssen sich doch freuen, wenn ihnen der Weg zu einem effektiveren Unterricht geebnet wird.“

Da aber liegt der Hase schon wieder im Pfeffer: Die deutsche Schulforschung weiß nämlich gar nicht, wie jemand sein sollte, der den Klassenraum nicht immer wieder verlässt, ohne dass seine Schüler etwas davon hatten. „Genau genommen“, sagt der Hamburger Experte für Lehrerbildung und Staatsrat a. D. Hermann Lange, „wissen wir weder, welche Eigenschaften ein guter Lehrer haben sollte – noch, wie man diese fördert.“ Im Jahr vier nach Pisa ist das wenig.

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