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Archiv-Artikel

Wahre Schreibtische. Heute: Tom Wolf – oder Der gestrenge Blick des Abschweifungsverhinderers auf Goethes Schädel

Jeder Koch hat seine Mise en place, seine eigene Art, in der Küche den persönlichen Arbeitsplatz einzurichten mit Gewürzen und Kochgeräten und allerlei Dingen, die zum Gelingen eines Gerichts notwendig sind. Auch Autoren und Schriftsteller inszenieren ihre Schreibtische nach sehr eigenen Vorstellungen. Die Wahrheit hat sich an den Arbeitsplätzen ihrer Köche umgesehen – und manch Erstaunliches entdeckt.

Die klare und übersichtliche Anordnung der Dinge springt sofort ins Auge, geradezu pedantisch scheint alles einem wohldurchdachten Konzept zu folgen. Eben noch hat Tom Wolf, Bogenschütze und Wahrheit-Mann für alberne Sportarten, Nudelpackungsdichter und Autor fulminanter Preußenkrimis um Friedrich II. und seinen Leibkoch Langustier, zur Recherche ein paar Bände aus der Bücherei geholt (1). Der „linke Stapel“ (2) enthält wohl geordnet historische Literatur sowie Atlanten. Alles zu Preußen, denn in seinen Romanen muss alles hundertprozentig stimmen. Dazu gehören auch die ausrollbaren Storyboards (3), darauf ist minutiös verzeichnet, wer es wann mit wem treibt, wer mit wem verschwägert ist, wer wen wann und warum entleibt und wann und wie der Koch davon erfährt.

Das strengt an, da entspannt sich der Autor gelegentlich mit dem Aufspießen von Belegen (4), während sich Papagei Mola (5) auf dem Monitor niederlässt. Über allem wacht die Totenmaske des großen Friedrich (6), dessen gestrenger Blick schon manche Abschweifung verhindern half. Der „rechte Stapel“ (7) enthält Triviales: Suhrkamp-Schwarten, Kochbücher – kurz alles, was nicht dem Hauptthema des Autors zugeordnet werden kann. Die Aufteilung in zwei große Hauptstapel gestattet einen Index-sequenziellen Zugriff: Der Autor weiß stets sofort, wo er suchen muss. Wenn nicht, ist es in einem seiner Notizbücher (8) verzeichnet. Auch Beobachtungen hält darin fest. Egal, ob ein Vöglein vor dem Fenster zwitschert (nicht im Bild) oder der Nachbar wieder mal die Umwelt akustisch verschmutzt – es wird akribisch notiert.

Die Beretta (9) liegt für Notfälle bereit und ist auch als Hemingway-Lösung zu gebrauchen. Doch der Petite Rouge (10) hilft über manchen Unbill hinweg und schützt beim Schreiben vor dem Horror Vacui. Die Anordnung von allerlei Alltagsgegenständen im Nahfeld (11) ändert sich indes ständig, nur der Totenschädel (12) hat seinen festen Platz. Eine mit dem Autor befreundete forensische Pathologin aus Weimar will nun endgültig klären, ob es sich dabei wirklich um Goethes Schädel handelt. Des Autors erste Schuhe (13) halten die Erinnerung an die Kindheit wach, während unter dem Schreibtisch (14) alles verstaut ist, was oben keinen Platz mehr fand. 65 Zentimeter Beinfreiheit muss jedoch stets bleiben. Dieter Grönling