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Archiv-Artikel

„Menschen stehen im Vordergrund“

Umweltminister Jürgen Trittin weist Lambsdorffs Antiamerikanismus-Vorwurf zurück

taz: Graf-Lambsdorff wirft Ihnen Antiamerikanismus, Gerda Hasselfeldt Pietätlosigkeit vor. FDP und CDU fordern Ihren Rücktritt. Treten Sie zurück?

Jürgen Trittin: Lambsdorff und Frau Hasselfeldt kochen ihr Süppchen. Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, worum es geht. Ich bin am Montag gebeten worden, einen Kommentar über den klimapolitischen Zusammenhang des Hurrikans zu schreiben. Da war niemandem das verheerende Ausmaß der Katastrophe klar. Ich habe darauf hingewesen, dass ein solch singuläres Ereignis wie „Katrina“ nicht ursächlich und eindeutig dem Klimawandel zuzuschreiben ist. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die menschgemachte Klimaerwärmung dazu führt, dass sich solche Wetterereignisse in Häufigkeit und Heftigkeit verstärken werden. Und ich schrieb, dass wir den USA die Hand für mehr Klimaschutz reichen wollen. Was ist daran antiamerikanisch?

Vielleicht weiß das der Kanzler?

Gerhard Schröder hat die Angriffe der Opposition gegen mich zurückgewiesen und gesagt, dass die Bedingungen von entscheidender Bedeutung sind, unter denen politische Fragen gestellt und debattiert werden. Dem stimme ich absolut zu. Als ich den Kommentar schrieb, ging alle Welt nach der Nachrichtenlage davon aus, dass das Schlimmste an New Orleans vorbeigegangen sei. Auf Grundlage dieser Nachrichtenlage haben alle Zeitungen den Zusammenhang zwischen Hurrikan und Klimaschutz kommentiert – und ich auch. Als klar wurde, dass es sich um eine der schlimmsten Naturkatastrophen handelt, standen die Menschen im Vordergrund. Die Grünen waren die Ersten, die zu Spenden aufgerufen haben, lange bevor Angela Merkel und die Bild-Zeitung das zum Thema ihrer Benzinpreis-Kampagne gemacht haben.

Der gestern ein gewisser Erfolg beschieden war: Schröder könnte die Ölreserven freigeben.

Diese Kampagne ist tatsächlich gut für die Grünen. Denn die einzige Partei, die Benzin, Strom und Heizöl künftig verteuern will, ist die Union.

Sollten wegen „Katrina“ und Klimaschutz nicht die Grünen über Energieverteuerung nachdenken?

Solange diese Katastrophe läuft, müssen alle den USA, dem Gouverneur, dem Oberbürgermeister, den Rettungskräften unter die Arme greifen. Im Mittelpunkt steht zurzeit, dass es keine weiteren Toten gibt, dass die Lage unter Kontrolle kommt, dass das Wasser aus der Stadt gedrängt wird und die Menschen in ihre Heimat zurückkönnen. Wenn das geschehen ist, geht es um die Frage, wie man künftig die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse weltweit minimieren kann. Ungeachtet der deutlichen Unterschiede beim Kioto-Protokoll hat diese Bundesregierung auch Gemeinsamkeiten mit der Bush-Administration. Erst im Sommer haben wir ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet, das neue, klimaschonende Technologien hervorbringen soll.

Im Herbst ist die nächste Klimakonferenz. Gesetzt den Fall, der Umweltminister heißt dann noch Jürgen Trittin: Was hat er im Gepäck?

Wir haben diesen Vorschlag europaweit abgestimmt. Das Ziel lautet: 30 Prozent weniger CO2 bis zum Jahr 2020.

INTERVIEW: NICK REIMER