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Archiv-Artikel

Auf, auf zum fröhlichen Jagen

Als die Hamburger Polizei vor zwei Wochen Terroristen jagte, gingen ihr auch drei Italiener ins Netz. Verdächtig waren sie eigentlich nicht. Für eine Festnahme reichten ihr südländisches Äußeres und fehlende Demut. Eine Komödie in drei Akten

Von Jan Freitag

„Am Ende ist es nur eine gute Geschichte.“ Sie ist knapp zwei Wochen alt und Enzo erzählt sie, halb deutsch, halb englisch, bei Cola und Sonnenschein in einem Campus-Café. Am Ende, fügt er hinzu, „hat man was Tolles zu erzählen“. In der Tat – Enzo war Terrorist, zumindest ein potenzieller, drei Stunden lang. Und das wird man heute in Hamburg schnell, als Anlass reicht ein irgendwie ungermanisches Äußeres. Wenn es überhaupt einen braucht. Enzo lacht: „Als sähe ich aus wie Araber.“ Nein, Enzo ist zweifellos Italiener und bis zum 25. August hätte er nichts dagegen gehabt, seinen vollen Namen in der Zeitung zu lesen.

Warum auch. Der 28-Jährige ist die Arglosigkeit in Person, lebt in Siena, studiert für ein paar Monate Linguistik an der Uni Hamburg und hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Doch seit jenem Donnerstag mag es Enzo eher anonymer und wenn sich ein Polizist nähert, kriegt er keine Angstzustände, aber ein zartes Gefühl der Beklommenheit. Obwohl, Enzo zögert und guckt, was selten passiert, bierernst: „Ich hab gehört, die Polizei gibt einem hier Brechmittel, wenn er mit Drogen zu tun haben soll.“ Mit ihr sei also nicht zu spaßen. Zwölf Tage zuvor wäre ihm wohl einiges erspart geblieben, hätte er um die Humorlosigkeit hanseatischer Beamter gewusst.

Erster Akt: Die Straßensperre

„Stop! Sofort!“ Als ihm einer von 1.071 Teilnehmern der Terrorgroßfahndung brüllend die Kelle vors Auto hält, ahnt Enzo nichts Böses. Polizeikontrollen kommen auch in Italien vor. Und er hat ja nichts verbrochen, sondern nur einen Freund vom Flughafen abgeholt. Dass dessen erster Kontakt mit Deutschland vor Waffen, Handschellen und Befehlen nur so strotzt, wird auch Michele nach dem ersten Schrecken zu einer wirklich guten Geschichte verhelfen.

Minuten, nachdem sie und ein weiterer Landsmann Fuhlsbüttel verlassen haben, landen sie also in einer der vielen Sperren, die stadtweit nach Terrorverdächtigen suchen. Nur – davon wissen die drei nichts. Und so reißen sie fleißig Witze, als ihre Ausweise kontrolliert werden. Enzo, Michele und Francesco scherzen auch noch, als man ihnen mitteilt, Personen zu suchen, die aussehen wie sie. „Ich hab auf einen älteren, blonden Deutschen gezeigt und gefragt, ob sie so was meinen“, erinnert sich Enzo. Wieder ging der Witz in die Hose. Die Zahl der Beamten steigt, ihr Ton wird rauer, das Kima gereizter. Sie sollten etwas ruhiger sein, rät eine Polizistin gütig. Ihre Kollegen seien nervös genug. „Deutsche werden bei Späßen nervös“, argwöhnt Enzo später. Langsam wird auch er zappelig. Zumal nach einer Stunde erstmals das Wort Terroristen fällt. Da war die Zahl der Kontrolleure bereits beträchtlich, gut Englisch, geschweige denn Italienisch sprach von ihnen keiner, dafür ruhten ihre Hände stets am Halfter. Als Enzo ans Handy geht, wird er rüde zum Auflegen genötigt und der Griff zum Colt fester.

Zweiter Akt: Der Abtransport

Enzo spricht gestenreich, berichtet er von damals. Er steht auf, um den Polizeigriff zu demonstrieren, der plötzlich bei ihm angesetzt wird. Er breitet die Beine zur Simulation der Leibesvisitation mit Latexhandschuhen aus. Er kreuzt die Hände hinterm Rücken und ahmt den entsetzten Blick seines Freundes nach, als der mit 165 Zentimetern Körpergröße von zwei baumlangen Polizisten gefesselt und abgeführt wird – die Bebilderung all seiner Vorurteile über Deutsche, erzählt Enzo und führt vor, wie er im Transporter von fünf Beamten fixiert wird.

Unsere Scherze haben irgendwie nicht funktioniert, sagt er fröhlich und erzählt den besten der Gegenseite: „Bevor sie uns Handschellen angelegt hatten, meinte eine Polizistin: Vielleicht sind das wirklich Italiener!“ Ach was, denkt Enzo. Schade, dass ihm das Lachen vergangen ist. Auch, als einer der Staatsschützer zur nächsten Comedyeinlage ansetzt: Ob sie überhaupt Aufenthaltsrecht besäßen? Dass sich Italiener theoretisch auf seine Stelle bewerben können, scheint dem Beamten entgangen zu sein.

Dritter Akt: Das Polizeirevier

Humor, müssen die drei mutmaßen, ist in Deutschland ambivalenter Natur. Zum Beweis der nächste Sketch, in der Zelle, vermutlich auf Wache 17, Sedanstraße. Das Protokoll eines Anrufes beim Autobesitzer, O-Ton Polizei: „Haben Sie Ihren Wagen verliehen?“ Antwort: „Ja, an Enzo.“ Falsch, zischt der Beamte, verschwörerisch wie Graf Zahl: Vincenzo. Zu dumm, dass die Buchstaben E-N-Z-O darin nicht vorkommen. Der Nachname? Keine Ahnung (was in WG-Kreisen vorkommen kann). Aaaaha! Und wie viele Personen im Wagen seien? Zaghaft: zwei? „Falsch.“ Wieder der Tonfall aus dem Agentenleitfaden: „Es sind drei.“ Was das alles sollte, warum die drei nun freigelassen werden und ein Auto mit leerer Batterie zurückerhalten, ob der Einsatz verhältnismäßig war – darüber gibt die Polizei unter Verweis auf schwebende Verfahren keine Auskunft.

Es wäre auch wenig schmeichelhaft für deren Strategie. Keine arabischen Zitate von morgigen Begegnungen mit Allah, weder Bärte noch politische Auffälligkeiten, keinerlei Passprobleme, nicht mal ausreichend Rucksäcke – „das Ganze hätte in drei Minuten vorbei sein müssen“, wundert sich Enzo, der links denkt, aber nie agitiert, und für eine Beschwerde „zu faul“ ist. Er lächelt: „Ich dachte zwischendurch, Deutschland ist ein Polizeistaat.“

Das vielleicht noch nicht. Aber die Polizeigeschichten werden spannender.