: Zukunft aus der Discokugel
THEATER Das Jahr 1999 verbrachten junge Belgrader und Berliner in dunklen Kellern. In dem Stück „Frösche im heißen Wasser“ lassen grandiose Schauspieler im Club Horst Krzbrg diesen Ausnahmezustand spürbar werden
VON DORIS AKRAP
Im Frühjahr 1999 steckten viele junge Leute um die 20 in der Krise. Wie immer und überall auf der Welt. In Belgrad steckten viele von ihnen dabei zeitweise im Keller, damit ihnen keine Nato-Bombe auf den Kopf fällt. In Berlin steckten ebenfalls viele von ihnen in Kellern, damit ihnen die WG-Zimmerdecke nicht auf den Kopf fällt, und weil Berliner Clubs oft unterirdisch waren. „Party ohne Ende“ ist allerdings auch eine Aussage, mit der viele junge Belgrader ihr Frühjahr 1999 beschreiben.
„Wie wir Partys und Bomben überlebten und was aus unseren Plänen von damals wurde“ lautet der Untertitel einer Theaterperformance, die derzeit im Horst Krzbrg zu sehen ist. Die Berliner Theatergruppe „spreeagenten“ hat dafür Interviews mit Belgrader und Berliner Mittdreißigjährigen geführt und sie nach ihren Erinnerungen an das Frühjahr 1999 gefragt. Aus diesen Antworten haben die Berliner Regisseurin Susanna Chrudina in Kollaboration mit dem Belgrader Theaterfestival Bitef, der Belgrader Filmemacherin Branka Pavlovic und dem Dramaturgen Filip Vujosevic das Stück „Frösche im heißen Wasser“ gemacht.
Vereinte Partygeneration
Im Berlin von 1999 ist die Partygeneration, die sich das vereinigte Berlin auf ihre Weise erobert hat, längst eingerichtet und fast schon ermüdet, während die gleichaltrigen Belgrader das letzte Jahr des 20. Jahrhunderts als letzten Akt des jugoslawischen Dramas erleben und nicht wissen, wie und ob sie das 21. erleben werden. Die unterschiedlichen Perspektiven auf den ersten Krieg in Europa nach 1945, der auch mit deutscher Beteiligung geführt wurde, werden in „Frösche im heißen Wasser“ zu einer gemeinsamen Erzählung, die erstaunlich gut funktioniert. Oft weiß man nicht, ob da gerade Belgrader oder Berliner reden, durchdrehen, saufen, Musik hören, Angst haben, rumhängen, vögeln oder sich für das, was sie tun und nicht tun, rechtfertigen.
Der Stoff, aus dem die Inszenierung gemacht ist, besteht vollständig aus Dokumaterial, die Interviews sind dabei nur ein Teil, der Rest sind an die Wände projizierte deutsche und serbische Nachrichtensendungen, Reden des serbischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic und des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder. Die Schauspieler, Serben und Deutsche, sind durchweg überzeugend, sogar die permanenten Sprachwechsel zwischen Deutsch, Serbisch und Englisch nerven überhaupt nicht. Der Club wird komplett bespielt, Bar und Tanzfläche sind Bar und Tanzfläche, aber auch der Tisch, an dem die Nachrichtensprecherin sitzt und der WG-Fußboden, auf dem sich die internationalen Bewohner Berlins auf ihre Magisterprüfung vorbereiten.
Die Discokugel ist omnipräsent: Ständig ist sie die Fläche, auf der sich das Leben abspielt (riesige silberglitzernde Pappfetzen werden durch den Club getragen), in den Discokugeln begegnen die jungen Leute der Welt in Form von elektronischer Musik und aus den Discokugeln versuchen sie, ihre Zukunft zu lesen. „Ausgehen ist politische Praxis“ – darauf können sich Belgrader und Berliner 1999 einigen.
Die Feststellung, dass die Partys während eines Krieges immer die ausschweifendsten sind, ist nicht neu. Auch dass viele Belgrader den Ausnahmezustand in guter Erinnerung haben, ist keine ganz neue Erkenntnis. Das Stück bewegt trotzdem, da es durch seine dynamische Inszenierung und die überragenden Schauspieler das Gefühl von 1999 spürbar werden lässt.
Premiere hatte „Frösche im heißen Wasser“ übrigens auf dem 46. internationalen Theaterfestival Bitef im September in Belgrad. Das Bitef-Festival findet seit 1967 statt. Die Listen der Namen und Gruppen, die dort gastierten, liest sich deshalb wie eine kurze Geschichte des Theaters – von der Dekonstruktion dramatischer Formen in den 1960er und 1970er Jahren über die postmodernen Tanztheater der 1980er Jahre zum Cybertheater. In Belgrad spielten die „Frösche“ in der Beogradjanka, einem hässlichen Hochhaus in der City mit Blick über die ganze Stadt. In Kreuzberg jedoch ist der Ort, den sich die Macher des Stücks ausgesucht haben, eng und dunkel. Es riecht nach Klo, Alkohol und Zigaretten. Mitten in der Aufführung schallt vom Tempelhofer Ufer hysterisches Gelächter. Es ist eine kleine Gruppe junger Leute, die darauf wartet, dass die Partynacht endlich anfängt, das Horst Krzbrg sich wieder in einen normalen Club und die Belgradberliner Partyzombies sich in normale Clubgänger verwandeln. Das, was dann im weiteren Verlauf des Abends gesprochen wurde, dürfte sich aber von den Dialogen im Jahr 1999 kaum unterschieden haben.
■ Weitere Aufführungen: 24.–26. Oktober, jeweils 20 Uhr, Diskussion am 24. Oktober, Horst Krzbrg, Tempelhofer Ufer 1, www.ballhausost.de