: Im Dienste der Creative City
Gängeviertel Hamburg streitet heftig über Gentrifizierung
Hamburg kommt nicht zur Ruhe. Vorigen Donnerstag präsentierten einige Kulturschaffende, darunter Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, Schauspieler Peter Lohmeyer und Melissa Logan von der Band Chicks on Speed, im besetzten Gängeviertel das Manifest „Not in our name“. Die Verfasser wollen sich nicht länger vor den Karren eines Senats spannen lassen, der Hamburg als „Creative City“ verkauft, Kulturschaffende aber nicht genügend unterstützt: „Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen.“ Das Manifest setzt nicht nur die Fragen „Wie wollen wir leben?“ und „Was ist Stadt?“ auf die Agenda, sondern ist eine Solidaritätsadresse an alle, die sich derzeit gegen den Ausverkauf städtischen Grunds an Investoren wehren. Über 2.000 Leute haben den Text schon unterzeichnet.
Doch gibt es einige adornitische Wächter der Moral in der Hansestadt, die den linken Popkünstlern ein lautes „Es gibt kein richtiges Musizieren im Falschen“ entgegenschmettern. „Scheinheilig“ findet der GAL-Abgeordnete Farid Müller die Intitiative und wettert, die darin enthaltene Kritik grenze an „bornierten Kultursozialismus“. Schließlich lautet ein bekanntes Argument der Gentrifizierungsdebatte, Künstler bereiteten durch ihren Einzug in heruntergekommene Viertel selbst den Boden für deren Veredlung. So ist es seit Jahren das Mantra von Rote-Flora-Aktiven, sie hätten mit ihrem Stadtteilzentrum das Schanzenviertel erst interessant gemacht für die Medienfuzzis, die jetzt vis-à-vis des völlig fertigen Gebäudes Caffè Latte schlürfen.
Und so wurde in der taz nord vom Freitag bei Ted Gaier nicht nur ein Seidentüchlein, ein rosa Hemd und ein elegantes Sakko ausgemacht. Der Text klärte über die „Vereinnahmungslogik“ auf: „Das ist das Kreuz der Subkultur: Sie lebt von der Andersartigkeit, die sie als Ware verkauft – und zur Mode macht.“ Zwar hatten die Goldenen Zitronen schon 2006 Ole von Beusts Besuch auf einem Tocotronic-Konzert besungen, um solche Vereinnahmungsversuche anzuprangern. Das hielt den Autor des Artikels aber nicht davon ab, den Hamburger Kulturschaffenden vorzuwerfen, sie hätten „mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zuletzt bombe gut leben können“. Wie sangen doch die Zitronen einst: „Immer diese Widersprüche, ich bin mindestens ein Schurkenstaat und zwei Schuldmaschinen und eine Telefonzelle voller H&M people.“
CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK