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Archiv-Artikel

„Ich lag in meinem Grab und weinte vor Glück …“

Ein Nachruf auf den am vergangenen Freitag verstorbenen Zeichner, Dramatiker, Hochkomiker und Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“ Friedrich Karl Waechter. Von F. W. Bernstein

Dem Tod hat F. K. Waechter viele Auftritte in Bild und Text gestattet. Oft ist der Tod der Depp, wie hier in „Manfred Helmes“:

„Manfred Helmes sitzt an seinem Tisch und trinkt sein Bier. Es klopft.

Manfred Helmes: Herein.

(Der mit einer Sense bewaffnete Tod tritt ein. Manfreds Haare richten sich vor Entsetzen auf. Der Tod tritt immer näher. Manfred Helmes schaut wie gelähmt auf ihn. Der Tod greift nach Manfred Helmes’ Bierglas, trinkt es aus und versucht mit kühnem Sensenschwung den Kopf von Manfred Helmes’ Leib zu trennen. Manfred Helmes duckt sich zur rechten Zeit, so daß ihm der Tod nur sein zu Berge stehendes Haar abmäht.)

(Manfred Helmes erhebt sich): Mein Bier aussaufen, meine Haare abmähen – das macht man nicht mit einem Manfred Helmes. Da ist die Tür.

(Der Tod geht und schließt die Tür hinter sich.)

Manfred Helmes: Ist doch wahr.“

Der Autor ist nicht so prima davongekommen. Der Tod, der Depp, versteht keinen Spaß. Am Freitag, den 16. September, ist F. K. Waechter gestorben. Und nun?

Viele werden das tun, was viele schon immer wieder getan haben seit Jahrzehnten: Wir erzählen uns Waechter-Cartoons. Diese Stücke aus seinem „Papiertheater“, wie’s Wilhelm Busch genannt hat, erzielen, anders als der „Kennen Se den?“-Witz ihre selig machende Wirkung, wenn alle sie kennen und das Bild uns aufscheint. Den von den beiden an der Straßenecke: Sagt der eine: „Alles klar?“; sagt der andere: „Ne – wieso?“ Oder den von der Wiese, die ist „über und über mit Blumen bewachsen“. Oder: „Bauer, dein Huhn hat Fieber“. Oder: „Kasperle, Kasperle, was machst du mit mir?“ Noch ein Evergreen? Den: „Welch ein erhabener Anblick: Der König der Eichhörnchen wechselt den Baum.“ Ach, und den: „Auf geht’s! Einem ungewissen Schicksal entgegen, gutes altes Salzfass.“ Oft genügt unter uns ein Stichwort: „Sauhaufen!“ Er hat unsere innere Schatzkammer angefüllt.

In seinem großen Sammelband „Mich wundert, daß ich fröhlich bin“ von 1991 finden wir zehn Seiten „Mein Lebenslauf“. Ich darf einige Stellen zitieren:

„1937 werde ich am 3. November in Danzig geboren. Mein Vater ist Volksschullehrer. Wir leben in der Kleinstadt Tiegenhof im Weichselschwemmland.

1941 bläst mir eine Tante ein, daß ich gut zeichnen könne. Ich spüre, wie schön es ist, ihr zu glauben, und zeichne viel …

1944 … sehe ich durch den Bahnhofszaun eine Frau in einem grell geblümten Kleid aus der Luke eines Güterwagens schreien: „Erschießt mich nicht.“ Auf dem Bahnsteig geht ein Soldat mit geschultertem Gewehr auf und ab …

1944/45 um die Jahreswende, fliehen wir auf der Anita Najado, Netzleger Nr. 4, in 15 Tagen über die verminte Ostsee bis Warnemünde. Es gibt nur Feldpostpapier zum Zeichnen …

1946 errege ich zum ersten Mal Heiterkeit mit einer Zeichnung, die Gott in Gummistiefeln bartlos und mit Jägerhütchen zeigt, wie er Moses auf dem Berge Sinai die Gesetzestafeln überreicht. Ich bin sehr gekränkt …

1948 ernte ich bei Dorfjungen einige Anerkennung mit der Behauptung, alles zeichnen zu können, sogar Motorräder … Hinter der Scheune zeichne ich mit Ilse Bork Vermutungen in den Sand, wie es beim anderen zwischen den Beinen aussieht. Ilses Formulierung ist neu für mich und sehr beeindruckend …

1950 komme ich auf die Lauenburgische Gelehrtenschule nach Ratzeburg … bei meinen Mitschülern kann ich mit witzigen Männchen Anerkennung ernten. Sie schieben mir ihre Hefte zu, damit ich ihnen etwas Komisches hineinzeichne. Dieter Bach und Gernot Kera haben sogar nur für meine Männchen Hefte angelegt …

1954 Mein erster Zeichenauftrag: Dieter Bach, ein Klassenkamerad, möchte eine nackte Frau. Ich führe diesen Auftrag aus, obwohl ich noch nie eine gesehen habe …

1956 … mein Banknachbar Wulf Rowedder muss über eine Zeichnung, die ich ihm rübergeschoben habe, lachen und wird dafür vom Biologielehrer geohrfeigt …“

1950 trägt er noch ein: „Mein Berufswunsch heißt nur noch Zeichner.“ Er wird der Beste, den wir haben und die Ratzeburger Erfolge sind erst der Anfang. Ausbildung zum „Gebrauchsgraphiker“ an der Kunstschule Alsterdamm Hamburg; ein Jahr Praxis bei der Oberbadischen Annoncenexpedition (Obanex) in Freiburg. Dann ab dem Jahr 1962 ist er Chefgrafiker bei der neu erscheinenden Satirezeitschrift Pardon. Das geht, so lang es geht, und Ende der Sechzigerjahre wird F. K. Waechter freier Autor und Zeichner.

Es ist nun aber so, dass seit sagen wir 200 Jahren die Musik den Wettstreit der Künste gewonnen hat. Wär die Zeichnerei die Nummer eins, oder wär Waechter Musiker – längst wär er der Megastar, wär in der Hall of Fame zu Haus und weltweit leuchtet sein Ruhm. Nein – verkannt ist er auch als Cartoonist, Jugendbuchmacher und Stückeschreiber nicht. Aber mir scheint, es wächst eine von allen guten Geistern verlassene Generation heran, für die F. K. Waechter allenfalls irgend so ein Klassiker ist. Ist dem so? Vielleicht sind diese jungen Leute noch zu retten, gerade jetzt seit Waechter nicht mehr sterblich ist. Und hoffentlich können sie dann bald mitreden, wenn es wieder heißt:

„Er sieht zwar nicht gut aus, aber er küsst wie eine gesengte Sau“; oder den: „Lass doch die Bücher weg und spiel ein wenig mit deiner Mutter.“ Oder das lange Stück, das er als Comic auf Papier und auf der richtigen Bühne inszeniert hat: „Gott ist dran …“

Waechter hat viele seiner Comics und Cartoons – ja, gerade auch die Cartoons! – fürs Theater bearbeitet, als Solonummern für Lesungen oder auf den Brettern, und sie schließlich auch als Buch veröffentlicht, wie „Die letzten Dinge“ (Verlag der Autoren, Frankfurt, 1992).

Es ist aber an dem, dass eben schon seine Cartoons und erst recht seine Comics und Bilderzählungen Theater sind, Inszenierungen, wo auf einem Bild das Davor, das Drumherum und – wenn nicht gerade eine Pointe explodiert, auch das Danach drauf ist. Waechter wird – und zwar von mir – der „Mozart des Cartoons“ genannt, seiner Ensembleszenen wegen, wie ich sie sonst nur aus den Finales der Mozartopern kenne – Beispiel „Ralfi“. Unterzeile: „Im Alter mussten wir Ralfi einäschern, weil er sein Wasser nicht mehr halten konnte.“ Auf der Bühne sieben Personen, Familienmitglieder, die sieben Arten von Verzweiflung, Wut und Trauer, Angst, Entsetzen, Neugier und falsches Pathos vorführen – entzückend.

Seit den Sechzigerjahren Veröffentlichungen in allen Medien. Sein erster Sammelband mit nix als Elefantencartoons: „Ich bin der Größte; Wesen und Seele der Dickhäuter“, im selben Jahr 1966 „Die Wahrheit über Arnold Hau“, das gemeinsame Bastelwerk von den leicht frustrierten Pardon-Redakteuren Waechter, Gernhardt und Bernstein; immer noch ist diese fiktive Biografie, die wir mit Zeichnungen und Texten aus unseren Schubladen ausgestattet haben, im Handel. Ja und gemeinsam haben wir auch die Nonsens-Beilage „Welt im Spiegel“ betreut. Dann aber er nun wieder: „Die Kronenklauer“, 1972 zusammen mit Bernd Eilert, der „Antistruwwelpeter“ 1970 Mehrere Kinderspielbücher, der erste Jugendbuchpreis 1974 für „Wir könnten noch viel zusammen machen“ 1973; bei der Gelegenheit die dokumentarische Groteske: sein Film „Jetzt bist du dran, Feilchen“ – wie er dem leibhaftigen Bundespräsidenten die Hand drückt – überhaupt die Filme der „Hau-Coop“: „Der Klauer“, „Milchkännchen und Fischstäbchen in der Antarktis“ und, und, und. Und seine Kinderstücke. „Schule mit Clowns“ 1975, „Kiebich und Dutz“ 1979 – und das war erst der Anfang. Oft hat er Text, Regie und Bühnenbild gemacht. Ja – 1992 hat er in einem Interview in der Titanic, wo er von Anfang an mit Cartoons und Titelblättern im Spiel war, seinen Abschied von der Zeichnerei genommen: 30 Jahre seien genug. Auf dem Theater sei mehr los als in der Einsamkeit am Tuschtisch.

Aber er kam dann wieder zurück zu seinem Hauptgeschäft, der komischen Grafik, und hat ein Buch nach dem andern gemacht – nochmals Jugendbuchpreis für „der Rote Wolf“ – perfekter Stilist, der er ist, hat er bei diesen letzten Büchern eine Stilart und Technik nach der andern perfekt – ach, und jetzt? Rasch weiterklappern, bevor uns die Trauer … – lieber noch ein Cartoon: „… und vor allem, Mathias, paß auf deine gepünktelte Strickjacke auf!“; und gleich noch einen: „Nicht so schräg, Schlampe, mein Schnaps rutscht.“

Ja, seine Ausstellungen. Die Namensgebung der „Neuen Frankfurter Schule“ anlässlich einer Ausstellung der Galerie Dartsch & Chariau in München, (Gernhardt, Traxler, Waechter) 1979; 1990 Ausstellung im Palast der Republik, Bofinger und ich mit Eröffnungsreden, noch zu DDR-Zeiten geplant. Und jetzt, nach Waechters Tod, wird der ruinierte Palast abgerissen.

„Neue Frankfurter Schule“ nochmals: Wie wir – wann war’s? – vor paar Jahren den Frankfurter Binding-Kulturpreis abgekriegt haben, im Kaisersaal des Römer überreicht durch Frau Oberbürgermeisterin, da hat es Chlodwig Poth – Gott hab ihn selig – erreicht, dass jener Balkon für uns aufgeschlossen wurde, auf den sonst nur die Fußballweltmeister raustreten. Und jetzt wir. Keiner hat fotografiert.

Einer geht noch: „Ich lag in meinem Grab und weinte vor Glück und sog den Duft der feuchten Erde ein und sah den Mädchen nach in ihren dunklen Pluderhosen und glaubte eine gut zu kennen aus meiner Zeit in Mölln. Sie wohnte in der Bismarckstraße und hatte damals lange blonde Haare, und einmal haben wir im dunklen Flur rumgeknutscht, weil sie mich offenbar für Manfred Holthoff hielt.“