: Vertrauen war der Anfang von allem
Wie derzeit aus Vertrauensbeweisen eine allgemeine Kultur des Misstrauens entsteht – eine Wortspielerei
Der Bundestagswahlkampf stand ganz im Zeichen des Vertrauens. Am Anfang stand die Vertrauensfrage im Bundestag. Wie überall sonst schon im Land hatten die Wähler in Nordrhein-Westfalen der rot-grünen Regierung das Vertrauen entzogen, und allmählich verlor auch der Bundeskanzler das Vertrauen in seine Mehrheit im Bundestag. Die Grünen wussten vorher von nichts und hätten daher beinahe das Vertrauen in ihren Koalitionspartner verloren. Die Opposition fand, dass Rot-Grün das Vertrauen der Wähler ohnehin verloren habe. Dieses Vertrauen solle der CDU/CSU und der FDP lieber direkt zukommen. Auch von Angela Merkel hieß es, dass sie in der CDU nicht viel Vertrauen genieße. Deshalb sprachen die CDU-Ministerpräsidenten ihrer ostdeutschen Parteigenossin das volle Vertrauen aus. Mit dem Vertrauen der Partei für ihre Kandidatin meinte man auch auf das Vertrauen der Wähler vertrauen zu können. Auch Schröder hatte inzwischen wieder das volle Vertrauen seiner Partei, der er vorher misstraut hatte. Denn inzwischen gab es ja auch die Linkspartei mit Oskar Lafontaine, der vor Jahren schon das Vertrauen seiner Wähler und seiner Partei verloren hatte.
Doch so viel Vertrauen war am Ende doch nicht da: Die Wähler vertrauten weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb. Die Bayern haben Edmund Stoiber Vertrauen entzogen, obwohl er aus Bayern ist. Um das verlorene Vertrauen nicht zu verspielen, kann jetzt keiner regieren. Die drei kleinen Parteien wollen alle in die Opposition gehen, um weiter als vertrauenswürdig zu gelten. Die Linkspartei hatte ohnehin versprochen, keinesfalls regieren zu wollen. Ihr ist das Vertrauen der Wähler sicher. Nur nicht das Vertrauen der anderen Parteien. Alle anderen hatten ohnehin bei ihren Wählern damit um Vertrauen geworben, keinesfalls mit der Linkspartei regieren zu wollen. Die FDP will auch nicht mit ihrem Erzgegner Rot-Grün regieren, um das Vertrauen bei ihren Wählern nicht zu verspielen. Vor allem nicht bei den CDU-Wählern, die im Vertrauen auf Schwarz-Gelb die FDP gewählt haben, damit die CDU, deren Kandidatin man nicht ganz vertraute, trotzdem regieren kann. Die Grünen wollen aber auch nicht in einer Jamaika-Koalition mitregieren. Dem politischen System Jamaikas vertrauen sie vielleicht doch nicht. Und die großen Parteien wollen beide regieren. Das schulden sie dem Vertrauen ihrer Wähler. Nur, um das Vertrauen ihrer Wähler nicht zu verlieren, keinesfalls miteinander. JAN-HENDRIK WULF