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Archiv-Artikel

Metro-Schock

War die Schweizer 80er-Revolte womöglich kein Protest gegen Modernisierung, sondern die Sehnsucht nach Stadterfahrung und Global City? Antworten auf die Frage kann der neu auf DVD wieder aufgelegte Bewegungsklassiker „Züri brännt“ liefern

von JOCHEN BECKER

Diese Stadt ist schon merkwürdig. ZUERICH, in der Typografie der Schweizer Bundesbahnen prangte das Schild lange Zeit bei der Einfahrt zum Hauptbahnhof, welcher so etwas wie das metropolitane Herz dieser „kleinen Großstadt“ bildet. Hier fällt die Provinz ein. Und wohnt doch lieber in der zersiedelten Landschaft. Generationen haben ihre Stadterfahrung im Urlaub gemacht.

In Wirklichkeit, so sagen die aus der Bewegung kommenden Zürcher Stadtaktivisten des internationalen Netzwerks Inura, war die Schweizer 80er-Revolte keineswegs Protest gegen die Modernisierung, sondern die Sehnsucht nach Stadterfahrung und Global City. Verwirklicht hat sich das auf dem Finanzsektor, weshalb auch die Europazentrale von General Motors nicht etwa in Rüsselsheim, sondern zwischen dem Bankenzentrum Bahnhofstraße und dem Flughafen liegt. Zürich möge „Downtown Switzerland“ werden, fordern heutzutage Einrichtungen, die sich „Greater Zurich Area“ oder „Avenir Suisse“ nennen und vor allem Belange der Wirtschaft im Blick haben. Wollten das die AktivistInnen vor 25 Jahren?

Der nun auf DVD herausgebrachte Bewegungsklassiker „Züri brännt“ vom Videoladen Zürich gibt den Blick frei auf die Mischung aus Punk, Autonomie, Randale und Dada, welche die Stadt zwischen Sihl, See und Limmat dann auch an die Häuserkämpfe von Freiburg bis Westberlin anschloss, weswegen eine rege Reisetätigkeit zwischen den Städten entstand. „Das restaurierte Kultvideo der Zürcher Jugendunruhen erstmals als DVD mit interessantem Bonusmaterial. Das 25-jährige Jubiläum des Opernhauskrawalls hat der Videoladen zum Anlass genommen, die vom Zahn der Zeit gezeichneten Videobänder zu restaurieren und in ihrer ursprünglich intendierten Fassung als DVD wieder zu veröffentlichen.“ Städtische, staatliche und private Stellen haben sie dabei unterstützt.

Die markante Kommentarspur – „Sandsturm in der Eiswüste“ oder „Supersicherheitsklotzgefängnis“ von Silvano Sperenza – sounds like Fehlfarben, durchzogen von Anti-Hollywood, Atombomben-Apokalypse und klanglichem Grauschleier. „Es dauerte lange, bis Zürich brannte. Und als es endlich Feuer gefangen hatte, fand dieses keine Nahrung. Denn Beton tönt hohl und will nicht brennen.“ Schwarzweiß ist die Videotechnik jener Zeit. Unter den Fernsehbildern von Flugzeugträgern und Godzilla liegen hineingemischt Bilder der Stadt. Immer wieder fährt die Kamera durch Tunnel, Autoschneisen und metropolitane Anmutungen, die zu finden in Zürich allerdings schwer fiel. Der zeitweise wavige Soundtrack ist ein scheppernder Schlagzeugbeat und immer wieder nur das eine Gitarrenriff. Aber auch Walgesang – der wurde zu jener Zeit von Zweitausendeins verschickt – sowie Fotos von Indianerzelten und orientalischen Siedlungen zwischen Eisflächen markieren den Zeitgeist.

Zürich wird als spätmoderne Stadt vorgeführt, die im Laufe der Straßenschlachten und Häuserkämpfe immer mehr vermüllt. Um das Autonome Jugendzentrum sammeln sich Freaks, Junkies, Alkies, Bastler, Trommler, Hunde. Der Abfall wird abgefackelt, überall liegt Schutt. Das analoge Videomaterial verschmiert die Kontraste ins Pastose. Schrift oder Sprechblasen werden eingestanzt und Dokumentarmaterial mit punkigen Fanzines oder Wandschriften unterlegt. „++++ zueri braennt ++++“ heißt der telegrammartige Filmtitel im Vorspann, das DVD-Cover collagiert „Züri“ aus der Frakturschrift der feindlichen Neuen Zürcher Zeitung mit „brännt“ im Erpresserbriefstil, während ein Graffito im Video das ä im Anarcho-Kreis zeigt.

„Was wir nicht haben wollen, das sind diese amöbenhaften Gruppen“, spricht Stadtrat Max Koller. Die „Schmier“ (Bullen; Anm. d. Red.) nutzt Gummischrot oder ein Gas-Wasser-Gemisch als Distanzwaffe und trägt geflochtene Schilder. Sie werden ergänzt durch eine private Wach AG, welche über Funk die Polizei rufen kann. Die Polizei versucht mit gebündelten Handscheinwerfern die damals empfindlichen Videokameras zu zerstören, doch der Videoladen hat mit einer robusten Newicon vorgesorgt. „auf dem bellevue sieht man immer wieder herausgerissene filme“ heißt es im begleitenden Text und veranschaulicht die Pressefreiheit der Zeit. Nicht das Kapital, sondern Politiker und Polizei standen 1980 im Schussfeld.

Die Leute vom Videoladen sind schon bald der Bewegung vertraut. Sie dokumentieren endlose Plena mit und ohne Saalmikro, im Volkshaus, im Autonomen Jugendzentrum oder im besetzten Haus Hellmutstraße. Genauso folgen sie der Nacktdemo mit Wanderliedern und lautstarkem Schwimmen durch die Innenstadt. Ein Motorradkurier versorgt sie mit neuen Akkus und bringt die Bänder in Sicherheit. Funkgeräte halten Kontakt. Mit damals noch ganz ungewöhnlichen Videoprojektoren stellen sie hinterher ihre Zwischenergebnisse zur Diskussion. Sie filmen gegen die polizeiliche Identifikation mit weitem Winkel und aus der Perspektive der Bewegung. Das Material ist jederzeit verfügbar, so wie sie Fotos, Bildbände, Fernsehsendungen oder Videos anderer einbauen: „Fast blind geguckt haben wir uns.“ Die kollektive Montage diverser Materialien sowie die Arbeit am Trickmischer war nur auf Video machbar. Am 1. November 1980 wurde „Züri brännt“ in der Roten Fabrik uraufgeführt und zirkulierte in Szenen und als Filmkopie auch auf Festivals und im Kino. Schon im Video selbst wird spekuliert, wie der Kulturbetrieb die Bewegung verwursten wird.

„68 wird zum Begriff – und schläft wieder ein … Wir haben den Aufstand gerochen“, heißt es. Die 80er-Bewegung holte im Kampf gegen die Oper und für ein Kulturzentrum auf. Damals lag der Videoladen in der Tellstraße und machte noch 1979 sozialdemokratisches „Video uf de Gass“. Doch mit „Züri brännt“ kommen Video und Bewegung zusammen. Das zurechtgemachte Ehepaar Hans und Anna Müller fordert im öffentlich-rechtlichen ch-magazin härtere Polizeieinsätze und hält die Munition in die Kamera: Die Forderung nach Armee-Einsatz als affirmative Aktion. Rüstige Rentner und provinzielle Politiker blicken irritiert in Talkshowrunden voller Seifenblasen, Perücken und Sprechchören: „Wer sorgt im Fernsehen für Ordnung?“

„1 Lovesong“ ist der letzte beigefügte Beitrag. 1984 tanzen die Leute zu ElektroBoogie auf der Straße und maskieren sich mit spitzen Tüten, die sie wie Haifische oder Vögel ausschauen lassen. Die „um sich greifende Bauwut“ wird durch Pensionskassen befeuert, denn die müssen jährlich fünf Milliarden Franken investieren. Zum Schluss geht’s per found footage unter Wasser, wo antike Gebäude ein „Besetzt“ aufgestanzt bekommen. Das Ostberliner Besetzermagazin AK kraak hat wenige Jahre später diese Ästhetik aufgegriffen.

Die Zürcher Clubbewegung der 90er-Jahre lebte noch das urbane Leben der bald schon „sterbensmüden“ 80er-Bewegung. Nun sind sie selbst vom gentrifizierenden Boom überrollt worden. Das freie Radio LoRa gibt es jedoch immer noch. Und der Videoladen bietet Schnittplätze an und begründete eine Verleih- (Megaherz) und Produktionsgesellschaft (Dschoint Ventschr AG). Burn, Züri, Burn. Und sei es diese DVD.

Fünf Sprachfassungen (Schweizerdeutsch, Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch) sowie Untertitel in Hochdeutsch, Französisch, Italienisch, Englisch plus 6 Kurzvideos, Bookletund Downloads auf der DVD. absolutMEDIEN übernimmt den Vertrieb in Deutschland! www.absolutmedien.de, 190 Minuten, 19,90 € / 39 SFr