Der Streit ums Altnazi-Kabinett

In Wien verärgerte Wiesenthal Präsident Kreisky, als er seine halbe Regierung enttarnte

WIEN taz ■ Simon Wiesenthal hat sich in Wien selten einer größeren Öffentlichkeit gezeigt. Einer der letzten Auftritte in Österreich musste in seiner Wiener Wohnung stattfinden: Im Juni hängte ihm Bundespräsident Heinz Fischer das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik um. Für den Geehrten eine späte Genugtuung, für Fischer auch ein Akt der Wiedergutmachung. In den 70er-Jahren hatte der damalige SPÖ-Klubobmann – erfolglos – einen Untersuchungsausschuss gegen Wiesenthal verlangt.

Der Nazi-Jäger hatte sich bei der vom Sozialdemokraten Bruno Kreisky geführten Regierung unbeliebt gemacht, weil er die Berufung von vier ehemaligen Nationalsozialisten ins Kabinett kritisiert hatte. Den Ministern für Inneres, Verkehr, Bauten und Landwirtschaft hielt er ihre Vergangenheit vor und belegte seine Vorwürfe mit ihren NS-Mitgliedsnummern. Kreisky, der bei seinem ersten Wahlsieg 1970 die absolute Mehrheit noch verfehlt hatte, war auf die Duldung durch die kleine FPÖ angewiesen, die damals von Friedrich Peter angeführt wurde. Diesem warf Wiesenthal vor, als Mitglied der Waffen-SS an Gräueltaten beteiligt gewesen zu sein. Kreisky, der nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich als Jude selbst ins Exil getrieben wurde, war verärgert. Er glaube Peters Unschuldsbeteuerungen und unterstellte dem Enthüller unlautere Motive. Jahre später warf er Wiesenthal selbst ein „ungeklärtes Verhältnis zur Gestapo“ vor. Beweise blieb er schuldig. Wie der Historiker Oliver Rathkolb in seinem jüngst erschienenen Buch „Die paradoxe Republik“ belegt, war der Kanzler einer gezielten Falschinformation von Ost-Geheimdiensten aufgesessen. Die Regimes in Warschau und Ost-Berlin hassten Wiesenthal, weil er die Judenhetze in Polen und die Kollaboration der DDR mit Ex-Nazis angeprangert hatte. RALF LEONHARD