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Archiv-Artikel

Ein Döner, mit alles

FASTFOOD Die Stadt Potsdam will einen Imbiss im Problemviertel Schlaatz loswerden. Die Bude soll Platz machen für einen Grünstreifen. Die Betreiber und viele Bewohner finden das Quatsch. Morgen demonstrieren sie dagegen

„Wir gehen nicht auf die Straße, wir gehen aufm Fußweg. Um elf Uhr geht’s los“

VON DAGMARA LUTOSLAWSKA UND JAN STERNBERG, POTSDAM

Der Imbiss. Ein kleines beleuchtetes Fenster zwischen fünfgeschossigen Plattenbauten. Dämmerung. Nieselregen. Drinnen ist es warm, drinnen riecht es nach Kaffee und Köfte, drinnen sitzt Saban Yilmaz neben dem Teekocher. Und im Licht des Fensters in der ersten Reihe steht Gritt Moser. Schwarzer Rolli, schwarze Haare, blaue Augen, blauer Lidschatten. Wenn der Imbiss ein Theater wäre, würde die 41-Jährige direkt an der Rampe stehen.

Vorhang auf. Potsdam besteht nicht nur aus Schlössern und Gärten, sondern hat ein ganz eigenes Getto. Das zeigt man natürlich nicht so gerne vor. Der Schlaatz ist ein Dreieck, an dessen Längsseite erstreckt sich der Sumpf der Nuthewiesen. 8.000 Menschen leben hier. Der Potsdamer Versuch einer sozialistischen Vorzeigesiedlung. Das ist lange her. Heute ist noch vieles unsaniert, die zentrale Kaufhalle steht leer, es gibt noch einen Supermarkt und zwei Imbisse. Das ist immer noch einer zu viel, findet die Stadt, und will einen davon zumachen. Saban Yilmaz und Gritt Moser hatten schon seit zwei Jahren nur noch Ausnahmegenehmigungen.

Jetzt ist es auch damit vorbei. Seit Ende Oktober stehen sie illegal hier. Die Stadt will an der Straße Bisamkiez zwischen Tramgleisen und Plattenbauten eine neue Grünfläche mit Bänken herrichten. Der Imbiss stört. Wohnungsbaugenossenschaften hatten sich über urinierende Kunden und Bierverkauf beschwert. Yilmaz und Moser aber finden, es gebe genügend ungepflegte Grünflächen in der Stadt, und es gehe wieder einmal gegen die Schlaatzer, denen ein weiteres Stück Identität genommen werden soll. Sie wollen nicht weichen. Innerhalb von zwei Wochen haben sie mehr als 700 Unterschriften gesammelt. Ungefähr so viele erwarten sie morgen auch zu einer Demonstration. Auch das ZDF will ein Fernsehteam schicken. Der Imbiss wird zum Symbol. Warum?

„Die sollen endlich wach werden“, schimpft Saban Yilmaz. Mit seinen grauen Schläfen und seiner sanften Stimme wirkt er auf den ersten Blick nicht wie ein Kämpfer. Aber er kann sich in Rage reden. „Wenn mein Deutsch besser wäre, hätte ich alle wach gemacht. Die Stadt achtet die Schlaatzer Menschen nicht. Wo sollen die hingehen? Ich will hier nicht mehr weg.“

Ein Kunde pflichtet ihm bei. Hatti, in roter Arbeitskluft, er steht jeden Tag hier. „Wo sollen wir denn sonst hin? Zum Bahnhof, mit der Straßenbahn? Das kostet auch Geld. Zur Tankstelle? Ich bin gerne hier.“ Sein Bier holt er jetzt bei Rewe, seitdem der Imbiss keins mehr verkaufen darf, wegen der Beschwerden.

Hatti ist Gärtner, er arbeitet in der historischen russischen Kolonie Alexandrowka. Wo auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs wohnt. Er hat ihn angesprochen, als der SPD-Politiker eines Morgens ins Auto stieg. „Warum schließen Sie unseren Imbiss?“ Der werde doch nur ein Stück nach hinten versetzt, habe Jakobs geantwortet. Aber ohne sie beide, befürchten Gritt Moser und Saban Yilmaz. Falls dieser Satz überhaupt stimmt. Der Stadt trauen sie nicht mehr.

Jetzt gehört der Fall allen Bewohnern des Schlaatz, es geht nicht mehr um die Befindlichkeiten Einzelner. Findet Saban Yilmaz. „Wenn ich gehe, sagen die Leute, du bist uncharakterischer Mensch. Entweder bleibe ich hier oder bleibe ich hier.“ Gritt Moser formuliert das noch mal um: „Ja oder ja.“ Sie lacht. Er guckt entschlossen. Dabei ist eigentlich sie es, die vorn steht. Die kämpft.

Liebe beim Kaffee

„Ich war auch mal Kundin hier, manchmal, zum Kaffeetrinken. Dann hat er immer rübergelächelt und so schön gezwinkert Und so hat sich’s entwickelt.“ Den Plan, das alte Ding zuzumachen und irgendwohin zu gehen, wo es schöner ist, hatten die beiden zu keiner Zeit. Saban, der in Potsdams Waldstadt wohnt, dem anderen großen Plattenbauviertel, fällt kein Ort ein, an dem er sonst leben wollte. Früher hat er bei der Post in Ankara gearbeitet. Mit 24 hat er sich für das Abenteuer Europa entschieden. 1988 kam er nach Westberlin, anderthalb Jahre lebte er illegal.

„Ich bin hierhergekommen, dann will ich hier bleiben. Vor sieben Jahren, wie ich wieder zurück in der Türkei war, habe ich meinen Platz zurückgekriegt, also meinen Arbeitsplatz. Als Postbeamter. Von null musste ich wieder anfangen. Ich habe dort nichts aufgebaut. Ich kann mich nicht anpassen. Die Leute behandeln mich als Ausländer. Hier Ausländer, dort Ausländer.“

Heimat ist, wo wir verstanden werden. Gritt weiß immer ziemlich genau, was Saban gerade sagt. Sie weiß meistens sogar schon, was er gleich sagen wird. „Eigentlich wollte ich ja nischt von ihm. Aber er hat so eine charmante Art. Liebe kann man eh nicht beeinflussen. Wenn’s funkt, dann funkt’s. Er ist schon anders. Aber von der Art her, vom Wesen her, ticken wir beede gleich. Ich hab gelernt, wenn er sagt, er muss jetzt dahin, muss ich ihn gehen lassen. Er kommt eh wieder. Das ist das Schlimmste, was du machen kannst, dagegen kontern.“

Jemand geht vorbei von der Straßenbahn zu den Plattenbauten und wirft ein „Hallo, Mosi!“ rüber. Alle grüßen sie, sie grüßt alle. Auch mit den Rechten hier hat sie keine Probleme. „Solang sie mir freundlich entgegenkommen, kriegen sie freundlich zurück. Das gilt für jeden.“ Gritt Moser erzählt über ihren Schlaatz. „In Potsdam bin ich jetzt seit zehn Jahren. Vorher hab ich im Umland gewohnt. Bei Rewe hab ich auch schon mal gearbeitet. Von daher kannte mich schon der halbe Schlaatz, jetzt kennen se mich alle.“ Und dann erzählt sie über das Viertel. „Der Schlaatz, damals, wo er errichtet wurde, da war das doch das Prunkviertel. Ganz toll. Allet neu … 86, 87 wurde der ja hier gemacht, und jetzt auf einmal macht man hier gar nichts mehr so richtig. Wichtig ist nur, dass das Bild von der Straßenbahn schön aussieht, dahinter ist schon wieder alles egal.“

Foto vom Bürgermeister

Yilmaz und Moser finden, es gebe genug ungepflegte Parks und es gehe wieder mal gegen die Schlaatzer

Saban Yilmaz kommt aus ihrem Windschatten hervor. „Eigentlich steht mir der Imbiss bis hier. Ich hätte längst aufgehört. Einige haben Geld und ein dickes Auto. Was hat er mir gebracht? Einen uralten Seat.“ „Eigentlich“, sagt der 47-Jährige. Aber nun ist der Imbiss zum Politikum geworden. Jetzt bleibt er stur. Vor der Wahl hat er ein Bild von Jann Jakobs aufgehängt, hat auf die Politik gesetzt. Da waren sie noch geduldet. Seit Ende Oktober könnte jeder Tag der letzte sein.

Wenn es nach Gritt Moser ginge und der Imbiss nicht am Schlaatz wäre, dann wäre er in New York. „Vor vielen Jahren hab ich mal gesagt, wenn ich das Geld hätte und den Mut, würde ich nach New York gehen. Weil ich die Stadt gut finde. An jeder Ecke stehen sie morgens um fünfe auf, stellen sich hin und verkaufen Brötchen fürs Volk, weil die ja ständig in Bewegung sind. Ich brauch diesen Trubel.“

Was ist Glück für sie? Gritt Moser erzählt vom schönsten Tag ihres Lebens. „Das war letztes Silvester. Wir haben hier draußen gefeiert. Ich hab Lautsprecher rausgestellt. Meine Tochter war bei Freunden. Er war noch kurz nach Berlin gefahren. Wir haben hier draußen getanzt. War zwar arschkalt, aber dann zieht man halt eine warme Jacke an.“

Vielleicht ist in unseren unsicheren Zeiten ein Imbiss die perfekte Metapher für Heimat. Seit Saban Yilmaz in Deutschland ist, hat er immer in der Gastronomie gearbeitet. Jede Arbeit findet er besser, als vom Staat abhängig zu sein. Für seinen Imbiss würde er alles tun. Einmal brauchte er dringend viel Geld, saß dann drei Jahre im Knast. Einen großen Fehler nennt er es heute.

„Wir sind eigentlich Kinder der Stadt. Die Stadt ist unser Vater. Davon, was wir verdienen, geben wir was dem Finanzamt, also der Stadt. Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Der Bürgermeister ist doch unser Chef. Was ist der ohne uns? Er muss doch unsere Probleme sehen.“ Eigentlich.

Aber darauf verlassen sich Gritt und Saban nicht mehr. Morgen wird also demonstriert. „Wir gehen nicht auf die Straße, wir gehen aufm Fußweg. Ich habe bei der Polizei angerufen, die haben gesagt, das dürfen wir. Um elf geht’s los. Um zehn treffen wir uns hier. Und machen ganz große Plakate: ‚Existenzuntergang. Aber nicht mit uns‘.“