: „Glück kann gemessen werden“
WISSENSCHAFT Christian Kroll forscht nach Glück, Sozialkapital und Lebensqualität. In seiner neusten Studie versucht er zu ermitteln, welche Aktivitäten Frauen ausüben müssen, um einen perfekten Tag zu erleben
■ 31, Research Fellow in der Cognition, Values & Well-Being Group (CoWell) an der Jacobs University sowie Postdoctoral Fellow an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (Universität Bremen und Jacobs University).
■ Er promovierte an der London School of Economics (Titel der Arbeit: „Towards a Sociology of Happiness“), war an der Harvard University und Gastforscher an der Kennedy School of Government. An der Universität Hamburg hat er seinen Magister in Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft (mit Auszeichnung) gemacht.
taz: Herr Kroll, wie sieht für Sie persönlich ein „perfekter“ Tag aus?
Christian Kroll: Auf jeden Fall würde ich an so einem Tag viel Zeit mit meiner Familie verbringen.
Kann etwas so Subjektives wie Glück wirklich gemessen werden?
Ja. Mit der von uns angewendeten Methode können wir Glück – oder wie es in der Forschung heißt: subjektives Wohlbefinden – wissenschaftlich messen.
Wie sind Sie vorgegangen?
Gemeinsam mit meinem Kollegen Sebastian Pokutta habe ich Umfragedaten des Nobelpreisträgers und Psychologen Daniel Kahneman ausgewertet. 900 US-amerikanische Frauen wurden dabei gefragt, welchen Aktivitäten sie jeweils an einem bestimmten Tag nachgegangen sind und wie sie sich währenddessen gefühlt haben: wie sehr haben sie die Tätigkeit genossen und Ähnliches. Man spricht hier von der Tagesrekonstruktionsmethode.
Wie sieht er nun also aus, der perfekte Tag einer Frau?
Es hat sich in unserer Analyse gezeigt, dass den größten Raum erstens Zeit für Zweisamkeit mit dem Partner einnehmen würde, zweitens Zeit mit Freunden und drittens Entspannung. Mit Methoden der Optimierungsforschung konnten wir sogar minutengenaue Zahlen ermitteln – diese sind jedoch nur statistische Mittelwerte.
Ist ein solcher Tag in der Praxis denn überhaupt realisierbar?
Natürlich kann so gut wie niemand nur von den errechneten 36 Minuten Erwerbsarbeit pro Tag seinen Lebensunterhalt bestreiten. Es ist also sinnvoller, nur hin und wieder mal einen „perfekten Tag“ einzuschieben und die Akkus aufzuladen oder aber sich im Alltag bewusst Zeitinseln zu schaffen, in denen man eher glücksfördernden Tätigkeiten nachgeht.
Gibt es große Unterschiede zwischen dem perfekten Tag einer Frau und dem eines Mannes?
Wir haben keine gesonderten Daten nur für Männer ausgewertet – das wäre auch eine spannende Frage. Meine Vermutung aber wäre, dass die Vorlieben sich zwischen den Geschlechtern heutzutage weitgehend angeglichen haben.
Welches waren die größten Herausforderungen während der Ermittlungen der Studie?
Es gibt gewisse Tätigkeiten wie etwa Kindererziehung, Erwerbsarbeit oder auch soziales Engagement, von denen man womöglich nicht unbedingt die großen unmittelbaren Glücksgefühle bekommt, während man sie tut. Sie geben dafür aber eine langfristige, tiefere Erfüllung. Die Daten in unserer Studie bilden jedoch nur das erstgenannte, augenblickliche Glücksgefühl ab und untertreiben somit systematisch die Rolle der gerade genannten Tätigkeiten für das langfristige Glück.
Angenommen, ich halte mich nun strickt an den Zeitplan des „perfekten“ Tages, geht es mir automatisch auch besser?
Ich würde davon abraten, mit einer Stoppuhr den errechneten Tagesablauf Minute für Minute einhalten zu wollen. Das endet wohl eher in mehr Stress als in mehr Zufriedenheit. Aber das war auch nicht Sinn und Zweck der Studie.
Welche Erkenntnisse bringt Ihnen die Studie und wie wird das erlangte Wissen angewendet?
Die Studie gibt uns Aufschluss darüber, welche Prioritäten die befragten Frauen setzen würden, wenn sie die Freiheit hätten, ihren Tag frei zu gestalten. Das kann hilfreich sein für Entscheidungsträger, aber auch für jede(n) Einzelne(n). Denn die Studie kann zumindest zum Nachdenken anregen, wie man oder frau selbst die eigene Zeiteinteilung besser gestalten könnte. INTERVIEW: BENJAMIN EICHLER