: „Ich will Frau Hauptmann sein“
UNIFORM Diana-Lydia Wade ist eine der höchstrangigen Frauen in der Bundeswehr. Ein Gespräch über Hierarchien in der Ehe und High Heels in Armenien
■ Die Frau: Wade wurde am 27. August 1981 in Riesa in Sachsen geboren. Im Juli 2001 trat sie in die Bundeswehr ein. Seit September 2011 ist Wade in Elternzeit. Zuvor hatte die diplomierte Wirtschaftspädagogin (Abschlussnote: 1,0) als Hauptmann und Kompaniechefin 124 Soldatinnen und Soldaten unter sich. Sie lebt getrennt von ihrem Ehemann und hat einen neuen Partner.
■ Das Gesetz: Nach dem Grundgesetz sollten Frauen ursprünglich vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen bleiben. Seit 1988 dürfen sie auch in den Sanitäts- und Militärmusikdienst. Seit 2001 stehen ihnen in der Bundeswehr alle Karrieren offen. Heute sind dort rund 18.000 Soldatinnen – das ist ein Anteil von knapp 10 Prozent.
GESPRÄCH ALEM GRABOVAC FOTO SVEN DÖRING
Die Organisation funktioniert reibungslos: Am Hauptbahnhof in Dresden warten um Punkt 10.52 Uhr auf Gleis 3 Oberstleutnant Geier, zuständig für die Presse, und Frau Hauptmann Wade. Mit einem Dienstfahrzeug der Bundeswehr fahren wir zur Offizierschule des Heeres in Dresden. Nach zwanzig Minuten erreichen wir die Kaserne. Oberstleutnant Geier hat einen Besprechungsraum mit Kaffee und Kuchen vorbereitet.
sonntaz: Frau Hauptmann Wade, im Vorgespräch haben Sie mir einen schönen Dienstschluss gewünscht.
Hauptmann Wade: Das ist mir auch sofort aufgefallen. Es gab ja auch eine Pause, bevor sie mir einen schönen Abend gewünscht haben.
Passiert so etwas öfter mit Zivilisten?
Eigentlich nicht. Ich kann ganz gut abschalten, und wenn ich in meiner Freizeit Fremden begegne und irgendwann sage, dass ich Hauptmann in der Bundeswehr bin, sind diese Personen immer ganz überrascht.
Wollten Sie schon als Kind Soldatin werden?
Als Kind haben mich bereits Uniformen fasziniert, und nach dem Abitur wollte ich zur Bundespolizei gehen. Aber gerade zu dem Zeitpunkt kam 2001 das Urteil, dass Frauen in die Bundeswehr dürfen. Und fragen Sie mich nicht, warum, aber ich fand den Beruf des Soldaten einfach noch reizvoller als den einer Polizistin.
Weshalb gefielen Ihnen die Uniformen?
Die Männer in Uniform waren immer sehr höflich, sehr zuvorkommend, haben Macht ausgestrahlt. Diese Autorität hat mich schon als kleines Mädchen beeindruckt.
Und Sie wollten dann an dieser Macht teilhaben?
Ich habe noch eine ältere und eine jüngere Schwester. Wir waren also drei Schwestern. Ich hatte eine Aversion gegen Puppen – und Kleider anziehen und Zöpfe flechten fand ich langweilig. Ich war für meinen Vater wahrscheinlich der Junge, den er nie hatte. Und vielleicht hat mich das so sehr geprägt, dass ich später einmal einen männlichen Machtberuf in Uniform ausüben wollte.
Sie sind im Juni 2001 als eine der ersten Frauen Soldatin geworden. Wie haben die Männer damals auf Sie reagiert?
Man muss das differenziert betrachten. Die Soldaten, die schon bei der Bundeswehr waren, haben es als Herausforderung angesehen, Frauen zu integrieren. Die Kameraden, die zeitgleich mit mir eingezogen wurden, erlebten das von Anfang an als völlig normal. Aber bei den älteren Soldaten war da eine gewisse Distanz, ein Beobachten, bis hin zu Anfeindungen.
Was für Anfeindungen?
Hinter vorgehaltener Hand wurde gesagt: Wie soll die kleine, zierliche Frau ihr Gepäck tragen – ich werde ihre Waffe jedenfalls nicht aufschultern. Es gab Vorurteile über das angeblich schwache Geschlecht bis hin zu öffentlichen Kommentaren wie: Frauen gehören an den Herd.
Hat sich dieses Bild in den vergangenen zwölf Jahren verändert?
Auf jeden Fall. Die Kameraden, die zunächst skeptisch waren, haben inzwischen auch die Vorteile erkannt: Der Umgangston hat sich nachweislich verbessert, die Kooperation ist größer geworden. Es gibt mehr Ideenreichtum, Flexibilität und Verständnis füreinander.
Sie haben schon mit 28 Jahren im Nato-Hauptquartier in Heidelberg eine internationale Transporteinheit kommandiert.
Ich habe dort als junger Offizier verschiedene Nationen geführt. Das war eine große Herausforderung.
Inwiefern?
Wir waren zum Beispiel zwei Monate auf einer internationalen Nato-Übung in Armenien. Man muss ein Gespür für die unterschiedlichen Charaktere und Nationen entwickeln, um diese dann führen zu können. Die Griechen waren sehr stolz, haben viel männliche Ehre gezeigt, haben nie nur eine Aufgabe erfüllt. Da ging es auch immer um Leidenschaft und Prestige. Die tschechischen Kameraden waren dagegen sehr diplomatisch, überaus fleißig und kooperativ.
Wie hat das in Armenien funktioniert, für Sie als Soldatin?
In der armenischen Armee gab es keine Frauen. Dort wurde ich zu Beginn wirklich angefeindet. Man hat mich total abgelehnt, aber ich habe mir in Tag- und Nachtschichten mit nur zwei Stunden Schlaf den Respekt erarbeitet und klargemacht, dass ich den Befehl erteile. Nach wenigen Tagen hat man mich so sehr respektiert und geschätzt, dass man Frauen organisiert und ihnen Uniformen übergezogen hat. Der armenische General hat dann ganz stolz seine Soldatinnen präsentiert und gesagt: „Frau Wade, Sie machen das so gut, dass wir jetzt auch Soldatinnen haben wollen.“ Und dann standen da Frauen mit rot lackierten Fingernägeln und roten High Heels, die noch niemals zuvor eine Uniform getragen hatten. Das war natürlich ein amüsanter Moment.
Sie haben sehr schnell Karriere gemacht. 2009 waren Sie bundesweit eine der ersten Frauen, die Kompaniechefin geworden ist. 124 Soldaten unterstanden Ihrem Kommando. Hatten Sie jemals das Gefühl, eine Quotenfrau zu sein?
Viele männliche Kameraden würden mir jetzt elementar widersprechen. Aber ich habe wirklich viele Vorgesetzte gehabt, die mir deutlich zu verstehen gegeben haben, dass sie kein Befürworter von Frauen in den deutschen Streitkräften sind. Man hat mir viele Steine in den Weg gelegt, ich musste mich beweisen, ich musste die gleichen und sogar noch mehr Leistung bringen als die Männer. Ich habe alles allein durch Eignung, Fleiß, Disziplin und Leistung geschafft.
Hatten Sie als Frau einen anderen Führungsstil als Ihre männlichen Kollegen?
Der Mann sieht gerade in der Bundeswehr die Hierarchien von einer breiten Basis zu einer schmalen Spitze. Diese Pyramidenform ist für den Mann omnipräsent. Er denkt von unten nach oben. Als Frau – und das war für viele erst mal befremdlich – hatte ich nicht dieses hierarchische Denken. In diesem Sinne führe ich als Frau anders: Ich schaue nach links, rechts, horizontal, vertikal. Ich schaue also nach Ideen, nach Kompetenzen und nicht nach Strukturen.
Können Sie das etwas genauer erklären?
Es gibt zum Beispiel eine Aufgabe zu verteilen, sagen wir die Organisation einer Veranstaltung. Die Männer überlegen sich, ob sich das überhaupt lohnt. Bedeutet: Wie viel Prestige kann ich durch die Lösung dieser Aufgabe erhalten? Sie entscheiden dann knallhart aufgrund pragmatischer Überlegungen. Ich als Frau denke an die Kompetenzen meiner Kompanie: Können wir die Aufgabe bewältigen, passt das in unser Zeitmanagement, würde das meinen Soldaten Spaß machen?
Gehen Frauen anders mit Macht um als Männer?
Der Mann, nach erfüllter Aufgabe, brüstet sich damit und sagt: Das war mein Verdienst. Bei Frauen habe ich öfters beobachtet, dass man sich für seinen Erfolg zu schämen scheint. Die sagen: Das hat die Mannschaft, das hat das Team geschafft. Der Mann kann sich besser und mehr präsentieren. Die Frauen sind zurückhaltender. Dann gibt es da noch das Netzwerkverhalten.
Bedeutet?
Männer nutzen Netzwerke. Sie suchen sich ihre Partner danach aus: Was nutzt mir diese Person? Viele Frauen schauen eher danach, ob ihnen die Person sympathisch ist.
Die Männer betonen bei der Bundeswehr immer die besondere Kameradschaft. Ist das bei den Frauen auch so?
Kameradschaft unter Frauen ist anders. Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich mit männlicher Konkurrenz viel besser als mit weiblicher umgehen kann.
Warum?
Ich habe mir meinen Posten als Frau sehr hart erarbeitet. Wenn man einmal an dieser Stelle angekommen ist, betrachtet man Frauen bewusster. Das heißt, ich schaue mehr danach, ob sie den Ansprüchen als Soldatin gerecht werden.
Sie beurteilen also Frauen kritischer als Männer?
Das muss ich leider eingestehen. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich bei Frauen einen höheren Maßstab anlege. Ich glaube, dass dieses Konkurrenzdenken der Frauen untereinander durch die Sozialisation größer ist. Frauen sind überall Konkurrenten, in der Berufswelt, auf der Partnersuche, in der Mode. Man nimmt einfach den gleichen Geschlechtstyp mehr ins Visier als den männlichen Kameraden.
Aber Männer konkurrieren doch auch untereinander.
Ich glaube einfach, dass Männer loyaler als Frauen miteinander umgehen.
Frau Hauptmann. Frau Hauptfrau. Wie wollen Sie eigentlich angesprochen werden?
Frau Hauptfrau erinnert mich an den Orient mit seinem Harem, in dem ein Scheich zwölf Frauen hat und eine ist seine Hauptfrau. Ich halte nichts davon, irgendwelche Formen zu verweiblichen.
Wieso nicht?
Das sind historische Begriffe, die gewachsen sind. Ich möchte also die Frau Hauptmann und später vielleicht einmal die Frau Major sein. Ich bin dann integriert und akzeptiert, wenn man mich als Kameraden und Soldaten bezeichnet. Das „In“ am Ende ist für mich zum Teil schon eine Diskriminierung meiner Person in der Kameradschaft. Von daher mag ich dieses „In“ nicht.
Ich habe KollegInnen, die im fehlenden „In“ die männlichen Herrschaftsstrukturen in der Sprache widergespiegelt sehen. Was entgegnen Sie ihnen?
Man kann es mit dem Gendering auch übertreiben. Ich finde einen Text, in dem steht, der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin, den Kollegen, die Kollegin und so weiter, einfach übertrieben. Ich persönlich lehne das „In“ ab.
Stichwort Doppelkarriere. Ihr Mann, mit dem Sie elf Jahre verheiratet waren und momentan in Scheidung leben, war Ihnen als Hauptfeldwebel in der Bundeswehr vom Rang her unterstellt. War Ihr Erfolg ein Problem für ihn, vielleicht gar eine der Ursachen für die Trennung?
Das ist genau der Punkt. Als ich in der Bundeswehr begonnen habe, war er Unteroffizier, und ich war Schütze. Bis ich Oberfähnrich geworden bin, war er derjenige, der den höheren Dienstgrad innehatte. Bis zu dem Zeitpunkt war alles noch in Ordnung. Er war stolz auf seine Frau, hat beobachtet, wie sie militärisch heranwächst und die Aufgaben meistert. Und dann kam der Knackpunkt: Ich schlug eine höherwertige Laufbahn ein und verdiente mehr Geld. Dieser Punkt hat meines Erachtens meinen Mann sehr beschäftigt.
Ihr neuer Lebenspartner ist auch bei der Bundeswehr. Haben Sie keine Angst, dass dies wieder zum Problem wird?
Ich hoffe nein.
Im Dezember 2011 sind Sie Mutter einer Tochter geworden. Familie, Freunde, Beruf und Karriere. Wie schafft man das alles gleichzeitig?
Mit Spaß, Motivation, Disziplin und sehr viel Willenskraft. Mein Tagesablauf ist strukturiert wie ein Dienstplan. Ich plane: Wann muss meine Tochter in die Kita, wann kann ich Sport machen, wann kann ich einkaufen. Und dieser Tagesablauf und Dienstplan ist dann diszipliniert einzuhalten.
Steht in diesem Dienstplan auch: von 20 bis 22 Uhr Gespräch mit meinem Mann führen?
Das nicht. Aber es hat sich eingeschlichen, dass ein- oder zweimal im Monat eine kleine Familienbesprechung stattfindet. Denn natürlich muss man sich abstimmen: Wer hat wo seinen Dienst oder seinen Lehrgang, wer muss die Kinderbetreuung übernehmen? Diese Familienbesprechung ist fester Bestandteil unseres Monatsplans.
Nochmals zur vorherigen Frage: Sie sind Hauptmann, wollen weiter nach oben kommen und haben jetzt ein kleines Kind. Können Sie sich einen Nine-to-five-Job leisten?
Ich war bisher der Typus, der um fünf Uhr morgens mit der Arbeit angefangen und diese erst um 22 Uhr beendet hat, und das auch am Wochenende. Ich bin selbst gespannt, wie ich in Zukunft meine ambitionierten Karriereziele mit meiner Familie vereinbaren kann. Ich habe jetzt einen Partner, der mir den Rücken stärkt und mich in jeder Lebenslage unterstützt.
Wie denn?
Ich werde zum Beispiel nächsten April einen dreimonatigen Lehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg absolvieren und dann nur von Freitagabend bis Sonntagnachmittag bei meiner Tochter, bei meinem Lebenspartner sein können. Neben dem Herzen, das für den Beruf des Soldaten in meiner Brust schlägt, ist auch das Familien- und Mutterherz da, und ich weiß noch nicht, ob ich es schaffen werde, beides in einem gesunden Maße miteinander zu vereinen, ohne dabei zu verbrennen.
Sie haben jetzt eine Tochter. Wächst da bei Ihnen nicht die Angst, dass Sie einmal in einen Auslandseinsatz geschickt werden? Sie könnten ja verwundet werden oder sterben.
Für mich ist das Soldatensein jetzt wichtiger und richtiger denn je. Schauen Sie sich die Nachrichten an: die arabischen Revolutionen, die Kämpfe in Gaza und Israel. Ich bin so froh, dass wir in einer befriedeten Region leben, dass meine Tochter keine Bombenanschläge und keinen Krieg vor ihrer Haustür erleben muss. Ich bin der persönlichen Überzeugung, dass die Bundeswehr durch ihre Stabilisierungsoperationen, ihre humanitäre Hilfe und all ihre anderen Aufgaben einen wesentlichen Beitrag zu diesem stabilen Umfeld leistet.
Sie schützen als Soldat Ihre Tochter?
Definitiv. Seit ich meine Tochter habe, stehe ich sogar noch mehr zu diesem Beruf.
Was ist schwerer: eine Kompanie zu führen oder die Mutter eines Babys zu sein?
Spontan würde ich sagen, die Mutter eines Babys zu sein. Ein Kind ist unberechenbar, ein einzelnes Kind kann tollere Dinge verursachen als eine ganze Kompanie mit 120 Soldaten.
Sind Sie stolz darauf, der Bundesrepublik Deutschland zu dienen?
Für mich ist der Beruf des Soldaten eine Berufung, eine Bereicherung, eine Erfüllung. Ich bin stolz darauf, meine Uniform tragen zu dürfen und den Staatsbürgern der Bundesrepublik Deutschland zu dienen. Was ich an dieser Stelle noch anmerken möchte: Ich finde es schade, dass man in Deutschland in Uniform nicht immer positiv wahrgenommen wird.
Wie meinen Sie das?
Ich würde gern viel häufiger mit der Deutschen Bahn oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Uniform reisen. Aber ich bin es inzwischen schon leid, mir gewisse Anfeindungen von Bürgern anhören zu müssen. Oft bekommt man ablehnende Blicke oder es fallen so dumme Sätze wie: „Alle Soldaten sind Mörder“. Ich würde mich darüber freuen, wenn die Solidarität und die Anerkennung für unsere Soldaten in der Bevölkerung höher wären.
Welche Zukunftspläne haben Sie in der Bundeswehr?
Ich möchte so viel erreichen wie nur möglich. Ich liebe diesen Beruf, bin mit Leib und Seele Soldat. Im kommenden Frühjahr möchte ich meinen Stabsoffizierlehrgang an der Führungsakademie in Hamburg mit bestmöglichem Ergebnis abschließen, um für die Generalstabslaufbahn zugelassen zu werden. Aber sollte ich das nicht schaffen, wird für mich deswegen mein Leben nicht beendet sein.
Doch Sie hätten nichts dagegen, wenn es irgendwann heißt, Frau Wade wurde gestern als eine der ersten Frauen zum General ernannt?
Definitiv hätte ich nichts dagegen einzuwenden.
Nach dem Termin schreibt Hauptmann Wade an ihren Vorgesetzten: „Sehr geehrter Herr Major Werres, auf diesem Weg möchte ich Sie darüber informieren, dass der heutige Interviewtermin erfolgreich absolviert wurde. Es war mir eine außerordentliche Freude, mit Oberstleutnant Geier, mit Herrn Grabovac und mit Herrn Döring (Fotograf) zusammenzuarbeiten. Mit kameradschaftlichem Gruß Hauptmann Wade.“
■ Alem Grabovac, 38, sonntaz-Autor, hat als kleiner Junge Männer in Uniform bewundert