: „Berlin ist einzigartig“
Henning Harnisch, Manager von Basketball-Bundesligist Alba Berlin, über eine Liga, deren Hallen nicht mehr nach Mattenschweiß riechen und in der sich immer weniger deutsche Spieler finden
INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER UND MARKUS VÖLKER
taz: Herr Harnisch, Alba Berlin hat zum zweiten Mal hintereinander nach einer verpassten Meisterschaft ein beinahe völlig neues Team zusammengestellt. Den Gedanken vom kontinuierlichen Aufbau scheint es nicht mehr zu geben – übrigens nicht nur in Berlin.
Henning Harnisch: Ich sehe da zwei Phasen. Einmal gab es bei Alba eine bestimmte Gruppe, die zusammengespielt, die aber einfach nicht mehr funktioniert hat. Und dann gab es einen fehlgeschlagenen Versuch, den Umbruch zu gestalten. Jetzt gibt es einen neuen Trainer [Henrik Rödl; die Redaktion], der seine Vorstellungen hat und der bestimmte Spieler sucht. Das Ziel ist immer noch, Mannschaften aufzubauen. Es gibt weiterhin die Spieler, die wir längerfristig an uns binden und ausbilden wollen. Wir glauben daran, dass das unsere einzige Chance ist, in ein paar Jahren international mitzuspielen.
Das viel beschworene Alba-Konzept.
Ja, da hilft uns unsere eigene Geschichte. Das war letztlich immer Basis unserer Arbeit. Die Verbindung von sehr guten deutschen Spielern, sogar Berliner Spielern, mit zwei, drei, vier Ausländern. Eine Stadt wie Berlin ist einzigartig in Deutschland. Wir müssen das Potenzial nur besser nutzen.
Könnte eine höhere Pflichtquote dem deutschen Nachwuchs helfen?
Es gibt einfach im Moment nicht viel mehr gute deutsche Spieler. Wenn man die Quote so hoch ansetzt wie in Spanien und Italien, würde das keinen Sinn machen. Dort gibt es viel mehr Topspieler als hierzulande.
Man braucht also gar keine Quote?
Im Augenblick ist die Quote mit einem deutschen Spieler für einige Vereine genau richtig. Aber die Quote ist schon wichtig, um Klubs sukzessive zur Verpflichtung deutscher Talente zu bringen. Die müssen in ein paar Jahren vier deutsche Spieler haben. Das wird schwer genug – und es birgt die Gefahr, dass die Vereine wie früher anfangen mit Deutschkanadiern beziehungsweise nach dem deutschen Pass der Großmutter fahnden. Letztlich soll es natürlich um den eigenen Nachwuchs gehen.
Davon wird derzeit viel gesprochen.
Ja, alle sind total am Ausbilden.
Nur eine Behauptung?
Das frage ich mich auch. Selbst in Litauen wird nicht mehr richtig ausgebildet. Dann hört man vom Modell in Treviso. Die bilden auch nicht selbst aus, sondern holen sich 16-Jährige aus der ganzen Welt zusammen, geben ihnen lange Verträge und lassen die Jungs auf Leihbasis da und dort in Europa spielen.
In der Bundesliga spielen letztlich zusammengekaufte Teams.
Jeder Verein muss selber für den Nachwuchs sorgen und sollte dann noch Spieler haben, die nicht nach dem Motto arbeiten: Dieses Jahr Montage in Berlin, nächstes Jahr Montage in Russland, weil es da 100.000 Dollar mehr gibt. Auf diesem Feld kämpfen wir auch gegen allerhand Agenten. Denen ist es relativ schnuppe, ob Berlin eine gute Stadt ist, ob der Verein gut läuft. Nur selten hat man es mit einem Spieler zu tun, der nicht nur das Geld sieht: dem mündigen Profi.
Also einem Basketballer, der gern auch mal länger bleibt.
Es ist einfach sehr schwer, Mannschaften zusammenzuhalten. Obwohl das jeder Klub will. Wir verfolgen nicht die Ideologie, dass wir jedes Jahr neues Futter brauchen, weil wir über das alte Team sagen: Scheiße, die haben’s nicht gebracht, jetzt holen wir die nächsten sieben Europa-Cracks oder Amis.
Wenn Sie mit Ihrem Team auf Reisen gehen, was erwartet Sie in Basketball-Deutschland?
Wenn ich das jetzt mal mit anderen Sportarten vergleichen darf. Bamberg – das ist Eishockey. Sehr, sehr eigen. Quakenbrück hat sehr spezielle Zuschauer; du fühlst, dass da etwas ist. In Bonn ist alles positiv verstrahlt, es gibt eine sehr starke Identität, das ist ganz tief verwachsen. Köln ringt da zurzeit ein bisschen drum. Frankfurt behauptet viel, kämpft aber auch um Zuschauer. Basketball lässt sich da nicht so richtig einfügen. Ganz anders als in Gießen. Die haben gerade 40 Jahre erste deutsche Meisterschaft gefeiert – und alle waren da.
Sind die kleinen Bundesligastandorte nicht ein Bremsklotz auf dem Weg zum Großstadtbasketball in den Arenen?
Ich weiß gar nicht, ob dies das Ziel sein muss. Ich war sechs Jahre weg, und als ich das letzte Jahr die Runde durch die Städte mitgemacht habe, habe ich gemerkt, dass sich sehr viel verändert hat. Diese Schulturnhallen, wo du noch richtig diesen Mattenschweiß riechst, die gibt es nicht mehr. In Trier steht dann auf einmal so eine Veranstaltungshalle, da passen 5.000 Leute rein. In Braunschweig ist es nicht mehr die Halle „Alte Waage“. In Bamberg dasselbe. Da spielt man nicht mehr in der, äh, wie hieß die noch mal? Das war halt auch eine Turnhalle. Jetzt ist es eben so ein Ding, das 5.000 Leute fasst. Und wenn solche Städte das schaffen, warum sollte man als Ami da nicht spielen wollen?
Hat der Basketball etwas verloren dadurch, dass es nicht mehr nach Mattenschweiß riecht?
Nee! Er hat gar nichts verloren. Nur gewonnen.
Das Publikum verändert sich mit den neuen Hallen. Der Mittelstand wird angelockt, der Flaneur und nicht der Fan.
In Bamberg zum Beispiel sehe ich das nicht so. Da hat sich der derbe Eishockeymensch ein bisschen multipliziert. In Frankfurt hätten sie wohl gern den Banker, der auf dem Nachhauseweg in den Taunus noch mal kurz in Hoechst vorbeischaut. Ob die Hallengröße grundsätzlich etwas über den Zuschauertypus aussagt, weiß ich nicht.
Inwieweit diktiert das Fernsehen diese Veränderungen?
Sehr stark. All die Veränderungen hätte die Liga in dieser Radikalität niemals selber durchziehen können; sie brauchte den Fernsehvertrag, in dem gewisse Standards gefordert wurden.
Die Liga wird im Fernsehen vom Bezahlsender Premiere präsentiert. Erreicht Basketball nicht viel zu wenige Menschen?
Ja, viel zu wenige. Aber die machen es ganz gut. Es gibt immer Kleinigkeiten, die man kritisieren kann, zum Beispiel wie Interviews geführt werden. Das geht mich jetzt selber an, etwa bei der Frage: Wie kann man eigentlich im Fernsehen seine Würde bewahren?
Und?
Geht nicht, man ist verloren.
Laufkundschaft kann über den Abo-Kanal kaum angesprochen werden.
Ja, das bleibt wahrscheinlich alles in der Familie. Aber vorher, mit dieser Sat.1-Geschichte, da hat man zwar vielleicht mehr Leute angesprochen, doch das lief mehr auf einer Zeitgeistschiene. Dass das wirklich die Sportart so viel weitergebracht hat, glaube ich nicht.
Was bringt Basketball weiter? Der zweite Platz des DBB-Teams bei der Europameisterschaft?
Ich glaube, es ist derzeit sehr viel Energie da in der Liga, produktive Energie. Man kann sich relativ leicht einigen auf ziemlich viele Standards. Und man hat das Gefühl, dass die Vereine ähnliche Ziele haben. Wie Alba im Jahre 2010 gegen die Russen bestehen kann, wo Milliardäre Millionen reinpumpen, mit Guerillataktiken vielleicht, das soll heute nicht mein Problem sein.
Was ist Ihr Problem?
Wie man den eigenen Nachwuchs pflegt – das ist eines meiner Themen.