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Archiv-Artikel

Im Stall zu Eißel

KRIPPENSPIEL Ein Stall in Norddeutschland, einer ohne Messias. Statt Ochsen stehen hier Milchkühe. Johanna Böse-Hartje kämpft dafür, dass das so bleibt

Der Stall zu Eißel liegt zwischen Verden und Bremen. Ein Neugeborenes hier? Weil Bethlehem überall ist?

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Die feuchte Kälte dringt durch den Pullover, und nur träge reizen die Aromen jetzt die Nase, obwohl Kuhmist sonst wuchtig riecht, erdig, milchig, auch streng. „Kühe können Kälte gut ab“, sagt Johanna Böse-Hartje, knetet die Finger, steckt die Hände in die Hosentaschen. „Anders als wir so.“

Der Stall zu Eißel liegt zwischen Verden und Bremen im Weserbogen. Ein Neugeborenes hier? Weil Bethlehem überall ist? Weil, würde Jesus heute in einem Stall zur Welt kommen, es dieser gut gelüftete sein könnte in Norddeutschland? Es ist ein großer Schuppen, hell, trotz eines trüben Dezembertags. Das Licht strömt durchs transparente Dach, ein dicker Teppich aus Stroh bedeckt grüngraugolden den Boden. Die Kühe darauf wie schwarz-weiße Statuen, unbewegt, still, bis auf jenes zutiefst friedliche Kaugeräusch: Sie arbeiten in aller Ruhe das Frühstück noch mal durch. Aber Frieden, Freude, Weihnachten, nee, Böse-Hartje war skeptisch, „also für Kinderkram ist keine Zeit“, hatte sie am Telefon gesagt. „Dafür ist mir die Lage zu ernst.“

Nämlich: Im März entscheidet sich, ob eine bäuerliche Milchviehhaltung eine Zukunft hat in Europa, so sieht sie das. Die Milchquote läuft 2015 aus – was dann kommt, wird in Brüssel beraten. Böse-Hartje ist niedersächsische Landesvorsitzende vom Bund deutscher Milchviehhalter. Die wollen Angebot und Nachfrage aufeinander abstimmen, um den Preis für Milch stabil zu halten. Im Herbst hatten über tausend Bauern für dieses Konzept vor dem Europaparlament demonstriert, mit Treckern, mit Hängern, mit zu Milchwerfern umgerüsteten Gülletanks, Böse-Hartje dabei.

Die Gegenseite arbeitet leiser: Die großen Molkereien wie Danone, wie Nestlé wollen eine Entregulierung nach Schweizer Modell, wo die Quote seit 2010 weg ist. Dort zahlen die Verarbeiter 56 Rappen pro Liter Milch, 30 Prozent weniger als 2002. Die Produktionskosten: gut ein Franke. Die Bauern zahlen drauf. Der Ladenpreis ist fast nicht gesunken. Den Gewinn streichen die Großunternehmen ein.

Nein, alles nicht so kuschlig. Aber wo Idylle scheint, ist eh Misstrauen am Platz. Gerade auch diese olle Weihnachts-Stallgeschichte: Wo sie mithilfe folkloristischer Ausschmückungen ins Süßliche abdriftet, kaschiert das oft nur Aggressionen. So sind Ochs und Esel polemische Figuren. Die stehen nur bei der Krippe, um zu illustrieren, wie dumm doch die Juden sind. Im Gegensatz zum Rindvieh erkennen die nämlich nicht, dass da der Messias in der Krippe liegt.

Aber im Stall von Eißel stehen ja Kühe und keine Ochsen. Kühe sind in Ordnung, Kühe oder Schafe, oder, zum Beispiel beim Jungfrauensohn Zeus, da war’s eine Ziege, die ihn säugte in der Geburtshöhle im Berge Aigaion, die Ziege Amaltheia.

In Eißel heißt die Leitkuh Pallas Athene, und sie hat sich in ein Extragelass zurückgezogen, würdevoll, mit einer anderen, die Soraya heißt. Aber nicht alle Namen passen so gut: „Fairness“ zum Beispiel drängelt beim Futter, anlasslos, „du Biest“, raunzt Böse-Hartje sie an. Und das Kalb „Gretel“ ist dann doch ein Jungstier, „ich hab gestern gedacht, wo pinkelt denn die“, sagt Elisabeth Böse, Johannas Schwester. Es war so eisig in der Nacht bei der Geburt gewesen, „da ist einem der Arm fast abgefroren“. Sie winkelt den rechten Arm an, Geburtshilfe beim Rind. Sie fröstelt und ärgert sich trotzdem über die Verwechslung, jetzt muss sie den ganzen Papierkram noch mal von vorne machen. Lästig. Elisabeth Böse ist Tierärztin, 1976 promoviert über die Schnüffelkrankheit der Schweine, war dann in Bayern, ist aber vor zehn Jahren wieder auf den elterlichen Hof gezogen, den die Schwester da schon übernommen hatte mit ihrem Mann Joachim, einem Landwirt.

Eine Kuh steht auf, tritt an einen Pfosten, drückt dort einen Schalter und nun rotiert eine gelbe Riesenbürste über ihren Rücken. Am Morgen bläst ein Gerät das Stroh über die Herde hinweg in den Stall. Ein paar Halme bleiben immer hängen. Und diese Bürste macht das Jucken weg.

Komplett auf Bio umzustellen, war Johanna Böse-Hartjes Entscheidung gewesen. Die lässt sich datieren: 1986, „wegen Tschernobyl“. Damals hatten sie zwei Kühe, und die „eine haben wir das ganze Jahr mit Heu gefüttert“, sagt sie, also: bloß nicht rauslassen auf die Weide wegen des radioaktiven Regens. „Das arme Tier“, sagt Joachim Hartje, der jetzt auch reinschaut. „Das ging nicht anders“, sagt sie, „die Kuh oder wir.“ Sie lacht, ein tiefes Lachen. Sie lacht gern.

Geburt im Stall ist eine alltägliche Sache: Man will ja Milch haben, also verdoppelt man die Herde jedes Jahr, macht bei rund 60 Kühen gut eine Geburt pro Woche: Deutscher Milchbauern-Durchschnittswert. Ein paar Landwirte haben sich in letzter Zeit aber explosiv vergrößert, Ställe mit 500 Kühen, Ställe mit 800 Kühen, Ställe mit mehr als 1.000 Kühen, „das sind mehr als zwei Kälber pro Tag“, sagt Hartje.

3.000 Rinder sollen übrigens in Augias’ Stall gestanden haben. Der Archäologe Yizhar Hirschfeld hat in Ramat Hanadiv antike Stallungen von entsprechenden Dimensionen ausgegraben, sie nehmen die gesamte Ostseite ein vom Palast des Herodes.

So was einzurichten kostet heute mehrere Millionen Euro, und das Milchgeschäft lief nicht gut in den vergangenen Jahren. Offen spricht aber kaum jemand über die Finanzierung solcher Megakuhställe: Wachsen oder weichen, heißt eine Doktrin, die noch immer gelehrt wird, an Landwirtschaftsschulen. Viele Höfe haben sich hoch verschuldet beim Wachsen. Die begeben sich „in die Abhängigkeit“, sagt Böse-Hartje. Sie vermutet eine Strategie: „Die Milchbauern sollen runter vom Land.“ Die Agrarindustrie hat sich so schon die Fleischproduktion angeeignet, bei Schweinen, erst recht beim Geflügel. Fehlt noch die Milch. Die Milchbauern sieht sie als letztes Bollwerk gegen das Imperium. Wenn die fallen, kommt der Genmais, glaubt Böse-Hartje.

Sie hofft auf den Sohn, der Karsten heißt, der hat Biolandwirt gelernt. „Wir haben das große Glück, dass er weitermachen will“, sagt Böse-Hartje, „das ist selten.“ Längst sind sie der letzte Hof mit Kühen im Ort, mitten im Weserbogen, in den Flussniederungen – saftiges Grünland. Die Kollegin, mit der Elisabeth Böse eine Praxisgemeinschaft bildet, sattelt um auf Kleintiere. Und an der Hauptstraße: immer mehr Discounter.