: Gewalt im Sperrgebiet
In St. Georg, wo der gestern verurteilte „Würger“ eine Frau getötet hat, geht die Polizei verstärkt gegen Prostituierte und ihre Freier vor. Fachleute warnen aber, Repression erhöhe den Druck auf die Frauen und liefere diese der Gewalt der Freier aus
Von Elke Spanner
Der Prozess gegen den so genannten „Würger von St. Georg“ wirft ein Schlaglicht auf die Gewalt, der Prostituierte im Stadtteil rund um den Hauptbahnhof ausgesetzt sind. Vor dem Hamburger Landgericht hat der Angeklagte gestanden, im Juni 2001 eine junge Prostituierte in einem Stundenhotel erwürgt zu haben. Das Gericht verurteilte den 26-Jährigen gestern wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren.
Der Mann hat ausgesagt, dass er damals der drogensüchtigen 19-Jährigen zur Bezahlung ihrer sexuellen Dienste zwei Crack-Kügelchen angeboten habe. Sie seien darüber in Streit geraten, da habe er sie umgebracht. Ungeklärt ist nach wie vor der Mord an einer zweiten Frau, deren Leiche nur wenige Tage später in einem benachbarten Abrisshaus gefunden wurde. Auch sie hatte Würgemale am Hals. Die beiden Taten sind bekannt geworden, weil es Todesopfer gab. Von der Öffentlichkeit unbemerkt bleiben aber Misshandlungen, denen die Prostituierten im Stadtteil täglich ausgesetzt sind.
Es gibt in Hamburg zwei unterschiedliche Szenen: Rund um die Reeperbahn im Nachbarquartier St. Pauli wird Prostitution von der Polizei weitgehend geduldet. Dort bieten überwiegend Frauen ihre Dienste an, für die Prostitution zum Beruf oder Nebenjob geworden ist. In St. Georg hingegen sind es zumeist drogensüchtige Jugendliche, die ihren Körper verkaufen. Schon vor Jahren, als die Droge Crack nach Hamburg kam, haben Hilfseinrichtungen wie das „Café Sperrgebiet“ und „Ragazza“ aufgezeigt, dass die Mädchen konsumbedingt unter einem enormen Beschaffungsdruck stehen und durch den Zwang, täglich viel Geld für ihre Droge verdienen zu müssen, den Preisvorstellungen ihrer Freier und auch deren Gewaltphantasien oft wehrlos ausgeliefert sind.
Die Situation hat sich nach Aussagen von Anke Mohnert seit Beginn dieses Jahres noch weiter verschärft. Mohnert ist Leiterin des Café Sperrgebiet, einer Anlaufstelle für junge drogenabhängige Prostituierte. In den vergangenen Monaten sei offensichtlich geworden, dass die Polizei sich nicht länger nur dem Ziel verschrieben hat, den Drogenhandel im Stadtteil einzudämmen, sondern auch die damit einhergehende Prostitution. Erst Ende September hatte eine Razzia für Schlagzeilen gesorgt, bei der Beamte gezielt Freier abgefangen und auf die Illegalität der Prostitution hingewiesen hatten. Doch „alle repressiven Maßnahmen führen dazu, dass die Frauen und Mädchen noch stärker unter Druck geraten“, erklärt Mohnert. Hätten nun auch Freier Kontrollen zu fürchten, würde die Prostitution immer mehr an versteckte Orte verlagert – und damit der Kontrolle entzogen. „Für die Sicherheit der Frauen ist das kontraproduktiv.“
Das bestätigt auch „Ragazza“-Leiterin Gudrun Greb. Würden die Freier durch Polizeikontrollen abgeschreckt, würden nur noch diejenigen den Straßenstrich aufsuchen, die gar keine Skrupel mehr kennen. Die Mädchen seien auch gezwungen, noch schneller in deren Autos zu springen, und hätten durch die Eile weniger Gelegenheit, sich ein Bild von ihrem Kunden zu machen.
Auch die jungen Frauen selbst sind in verstärktem Maße Polizeimaßnahmen ausgesetzt. Kontrollen auf der Straße, Bußgelder und Platzverweise gehören für sie inzwischen zum täglichen Geschäft. Die Polizei bestätigt, dass die Einhaltung der Sperrgebietsverordnung „durch polizeiliche Maßnahmen überwacht wird“. Dadurch aber gebe es „keinen zunehmenden Druck“.
Mohnert hingegen berichtet, dass manche Mädchen durch die Kontrollen sogar Schwierigkeiten haben, Hilfsangebote aufzusuchen. Immer wieder berichteten Frauen, dass sie auf dem Weg zum Café Sperrgebiet von der Polizei abgegriffen würden. Vor allem nachts. Statt dann in einem Bett im Café zu übernachten, müssen die Mädchen die Nacht in einer Zelle verbringen.