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Archiv-Artikel

Ein Atlas des „Filternets“

ZENSUR Auf ihrem Kongress suchen Hacker nach „konstruktiven Alternativen“ zu Überwachung durch staatliche Organisationen und Firmen

Große chinesische Firewall

■ Die 500 Millionen Internetnutzer in China müssen sich künftig mit ihren echten Namen anmelden. Das neue Gesetz diene „dem besseren Schutz privater Informationen und der Sicherung öffentlicher Interessen“, so die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

■ Es sei eine Reaktion auf Fälle, in denen Internetnutzer „im Netz beleidigt oder verleumdet“ sowie digitale Informationen illegal genutzt worden seien, sagte ein Vertreter des Nationalen Volkskongresses. Menschen, die etwa korrupte Beamte anzeigen wollten, würden auch künftig geschützt.

■ China fährt einen harten Zensur-Kurs im Internet. Die Nutzer werden mit einer aufwendigen „großen chinesischen Firewall“ vor unerwünschten Informationen abgeschottet. Dazu werden unter anderem Filter eingesetzt, die auf bestimmte Worte reagieren. Tausende Zensoren sind im Einsatz, westliche Onlinedienste wie Facebook und Twitter sind blockiert. (dpa)

HAMBURG taz | Während die chinesische KP künftig jede Regung im Netz einer konkreten Person zuordnen können will (siehe Kasten), halten die Hacker des CCC bei ihrem Kongress in Hamburg das „Grundrecht auf Anonymität“ hoch. Ein Weg, es zu verteidigen, ist das Tor-Projekt, das eine Gruppe von US-Netzaktivisten entwickelt hat. Tor ist eine Abkürzung für „The Onion Router“, ein weltweites Netzwerk von Servern, die Daten so lange untereinander austauschen und verschlüsseln, bis nicht mehr nachvollziehbar ist, woher die ursprüngliche Anfrage kam.

Wer das Tor-Netzwerk nutzt, kann so zu einem gewissen Maße anonym surfen und auch Zensur umgehen. Sein Schöpfer, der Programmierer Jacob Appelbaum, arbeitet heute an einem Programm, das zeigen soll, wie die sich ausweitende Zensur im Netz durchgesetzt wird. „Das wird uns die Daten geben, um über konkrete Menschenrechtsverletzungen sprechen zu können“, sagt Appelbaum.

Ermöglichen soll das ein Programm namens OONI-Probe: Rechner, die das Programm ausführen, versuchen Internetadressen abzurufen oder Schlagworte zu versenden, die zensiert sein könnten. Sie wiederholen die Tests so lange, bis die zensierten Adressen und Wörter identifiziert sind. Wenn mehrere Rechner den Test durchführen, können sie identifizieren, wie Daten umgeleitet oder gar blockiert werden.

Ausgereift ist die Anti-Zensur-Software noch nicht: Wie erstellt man die bestmögliche Liste von Websites und Schlagwörtern, die blockiert werden könnten? Wie anonymisiert man die Datensätze, die öffentlich zugänglich gemacht werden sollen, um die Menschen zu schützen, die diese Tests durchführen? Auf diese Fragen haben die Aktivisten noch keine abschließende Antwort gefunden.Doch schon die jetzige Version verhilft Appelbaum und seinem Team zu neuen Erkenntnissen. „Als ich vor Kurzem in Birma war, habe ich OONI-Probe verwendet“, sagt Appelbaum auf dem CCC-Kongress. „Dadurch haben wir zufällig eine neue Methode entdeckt, um Zensur aufzuspüren.“

Anfang 2012 wurde OONI-Probe erfolgreich getestet. Appelbaum nutzte es beispielsweise, um den Jugendschutzfilter in dem vorinstallierten Browser von T-Mobile in den USA zu testen. Das Programm blockierte unter andern auch die Website des Cosmopolitan-Magazins, eine polnische Sportseite und – pikanterweise – die Website des Tor-Projekts. Der Browser wurde mit dem Filter und ohne eine Anleitung, ihn auszuschalten, geliefert, so dass unbedarfte Nutzer nur eine offenbar willkürlich zensierte Version des Internets abrufen konnten.

Aufsehenerregender war ein Test im Westjordanland, wo OONI-Probe zeigte, dass acht oppositionelle Websites von Netzanbietern blockiert wurden. Die Seiten waren bereits von Journalisten vor Ort identifiziert worden, doch der Test mit OONI-Probe zeigte, dass es die einzigen blockierten Seiten waren. Kurz darauf trat der palästinensiche Kommunikationsminister zurück und warf der Staatsanwaltschaft vor, die Zensur in Auftrag gegeben zu haben.LALON SANDER