: Gerechtes Wirtschaftswunder
Aktivisten erheben auf der ersten Fair-Handels-Messe in NRW schwere Vorwürfe gegen den Bayer-Konzern: Indische Zulieferer sollen noch immer Kinder auf Baumwollfeldern schuften lassen
aus NEUSSMIRIAM BUNJES
Die Bücher der Wanne-Eickeler Eine-Welt-Initiative bestehen aus handgeschöpftem Elefantendung. Die Lederhandtaschen daneben wurden garantiert nicht von Kindern in finsteren Hinterhöfen genäht und vom Erlös dieser Kaffeebohnen können die kolumbianischen LandwirtInnen ihre Kinder problemlos zur Schule schicken: Mehr als 53 Eine-Welt-Initiativen aus ganz Nordrhein-Westfalen stellen zur Zeit in Neuss auf der ersten Fairhandelsmesse ihre Produkte aus.
Zwischen Menschen mit handgestrickten Pullis drängen sich heute auch einige Anzugträger. „Fairer Handel wird langsam zum Marketingprodukt“, sagt Martin Müller von der Gelsenkirchener Eine-Welt-Basis. „Wir dringen auch in konventionelle Gefilde vor.“ Seine Kaffeebohnen strahlen im blauen Plastiklook und dürften zumindest im Raum Dortmund wohl kein Kassenschlager werden: Sie werden vom Bundesligist Schalke beworben und sind in Gelsenkirchen inzwischen „legendär“, wirbt der Händler.
Der Markt für fair gehandelte Produkte wächst in NRW rasant: Inzwischen machen Eine-Welt-Läden rund 57,5 Millionen Euro Umsatz, schätzt der Dachverband, das Eine-Welt-Netz NRW. Der Gewinn ist allein im vergangenen Jahr um 13 Prozent gestiegen. „Nordrhein-Westfalen positioniert sich als Nord-Süd-Land“, sagt deshalb auch Integrationsminister Armin Laschet (CDU) nach einem Messerundgang. „Das will diese Landesregierung weiter fördern.“
Mittel kürzen müsse man den Initiativen vielleicht trotz dieses Vorsatzes, sagt er später im taz-Gespräch. „Man kann ja stattdessen andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Förderung entwickeln.“ Im Mittelpunkt der Messe stehen jedoch nicht nur Werbestrategien und Handelsbilanzen. Zentrales Thema der im Rahmen der Messe stattfindenden Landesentwicklungskonferenz sind vor allem die Schattenseiten des Welthandels – exemplarisch dargestellt und diskutiert an der Arbeitsweise des Leverkusener Konzerns Bayer in Indien.
Dort arbeiten mehr als 250.000 Kinder, hauptsächlich Mädchen zwischen sieben und 14 Jahren auf endlosen Baumwollfeldern. Sie schuften mindestens zwölf Stunden täglich, stehen bis zu den Hüften in den mit Pestiziden eingesprühten Baumwoll-Büschen, ermittelte der indische Soziologe Davuluri Venkatewarlu in einer repräsentativen Studie für das Eine Welt Netz NRW. Pikantes Detail der Studie: Im Jahr 2004 arbeiteten fast 2.000 Kinder und Jugendliche für einen Zuliefererbetrieb des Leverkusener Bayer-Konzerns. „Auch dort wurden gesundheitsschädliche Pestizide eingesetzt“, sagt Udo Schlüter, Geschäftsführer des Eine-Welt-Netzwerkes. Der Fall Bayer soll am heutigen Samstag ausführlich diskutiert werden – ohne einen Vertreter des Konzerns. „Der eingeladene Bayer-Mann hat kurzfristig abgesagt“, sagt Schlüter. Dabei hat Bayer den Aktivisten der unterschiedlichen Nichtregierungsorganisationen inzwischen sogar etwas entgegenzusetzen – zumindest theoretisch. Auf Druck zahlreicher lokaler und internationaler Initiativen wurde ein Aktionsplan gegen Kinderarbeit entwickelt: Zulieferer sollen künftig stärker kontrolliert werden, wer trotzdem Kinder beschäftigt, bekommt weniger Geld von Bayer und verliert schlimmstenfalls den Auftrag. Allerdings: „Bislang wurde mehr geredet als gemacht“, sagt Davuluri Venkatewarlu. „Ich weiß, dass die Kinder immer noch für Bayer arbeiten, ich habe es selbst gesehen.“
Dieses Problem kennen die nordrhein-westfälischen Initiativen gut: Inzwischen haben einige Konzerne Sozialcharten und Selbstverpflichtungen für bessere Arbeitsbedingungen in Zuliefererbetrieben vorzuweisen. „Oft sind das nicht mehr als gute Worte“, sagt Jens Elmer vom Eine-Welt-Netz. Wie unabhängige Kontrolle organisiert und finanziert werden kann, ist daher ein zentrales Thema der Landeskonferenz.
Auf drei weiteren Foren wird mit Ministeriumsvertretern über mögliche Bildungsarbeit von Eine-Welt-Organisationen an den neu entstehenden Ganztagsschulen, über Bioenergie als Entwicklungschance und um regionale und lokale Möglichkeiten zur Armutsbekämpfung in den so genannten Entwicklungsländern diskutiert.
„Mit mehr als 300 angemeldeten Besuchern ist die Messe jetzt schon ein Erfolg und wird nicht die letzte bleiben“, sagt Udo Schlüter. „Wir wollen demnächst auch in den Supermärkten eine größere Nische besetzen.“