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Archiv-Artikel

der rechte rand Heiden in der Heide

Der Findling ist nicht groß. Nur der Name „Wilhelm Tietjen“ und die Runen mit den Bedeutungen für „Leben“ und „Tod“ und den Daten 2.5.1903 und 24.1.2002 zieren den Stein. Er ist nicht der einzige. Etliche Findlinge mit den Namen von verstorbenen Altnazis liegen zwischen den Bäumen und Heidekräutern auf dem Waldfriedhof nahe der Gemeinde Varel bei Oldenburg. Christliche Symbole finden sich auf keinem Grabstein, auch Pastoren sind auf der 1958 gegründeten „Ahnenstätte Conneforde“, wie Neonazis den Friedhof nennen, unerwünscht. Die Damen und Herren, die hier bestattet sind oder darauf hoffen, hier einmal ihre letzte Ruhestätte zu finden, lehnen das Christentum als „artfremde“ Religion ab.

„Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Germaniens Dom“, verkündete die völkische Bewegung schon 1871. Sie suchte nach einer „europäischen Glaubensalternative“ und stieß auf heidnische Religionen und germanische Mythen, die sie zu einer „ureigenen Religion“ verdichten. Mit den historischen Fakten haben diese religiösen Konstruktionen oft wenig gemein. Das vermeintliche Heiden- und Germanentum dient vielmehr der religiösen Begründung der politischen Ideen.

So auch bei Jürgen Rieger, einem Hamburger Anwalt und Neonazi, der mit dem geerbten Vermögen des verstorbenen Bremer Nazis Tietjen eine ehemalige Militäranlage bei Verden gekauft hat und sich bemüht, es zum Neonazi-Zentrum „Heisenhof“ auszubauen. Rieger bekennt sich zur selbst gebastelten Religion „Heidentum“. Seit Jahren leitet er die 1951 in Göttingen gegründete „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“, deren Mitglieder auch schon auf dem „Heisenhof“ zu Gast waren.

In einer Selbstdarstellung präzisieren die Mitglieder ihr Gemeindeleben: „Die Artgemeinschaft ist kein ‚Schönwetterverein‘, der friedlich bei Kaffee und Kuchen ein wenig von der Vergangenheit schwärmt.“ Der in Hamburg eingetragene Verein sei vielmehr „gezwungen, ein Kampfverbund“ zu sein. Denn, so heißt es in ihrer vierteljährlich erscheinenden „Nordischen Zeitung“: „Eine politische Befreiung des Landes sei möglich. Voraussetzung […] ist zuerst die Befreiung des Geistes […] des uns aufgezwungenen Orientalismus“. Schließlich hätten Juden- und Christentum den arischen Menschen von seinen Göttern und seiner arteigenen Lebensweise entfremdet.

Diese Entfremdung will die Germanische Glaubensgemeinschaft aufheben: „Das Sittengesetz in uns gebietet die gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder“. So soll das „Blut“ rein bleiben und der Geist durch germanische Kulte wiedererweckt werden. Der elitäre Kreis richtet mit seinen angeblich 500 Anhängern regelmäßig Sonnenwendfeiern und Julfeste aus. Eine Aussteigerin, die verstorben ist, berichtete von einer Wintersonnenwendfeier im Ostharz. An die 150 Anhänger waren in einem Gasthof zusammengekommen, erzählte sie. Im Saal empfing damals Florentine Rost von Tonningen die Gläubigen. „Eine Ehre“, sagte die Aussteigerin, den von Tonningen war eng mit dem Reichsführer der SS Heinrich Himmler befreundet. Im Garten hatte schon der Kessel mit Met bereit gestanden. Als Zeremonienmeister eröffnete Rieger das Fest mit dem dreimaligen Leeren eines Methorns. Ein Auftanz der Anhänger, die in groben Kluften und Trachten kamen, folgte.

Bisher finden die heidnisch-rechten Gruppen, wie auch der Armanen-Orden, ihre Anhänger und Anhängerinnen in der Neonazi-Szene, denen damit ein religiöses Sinnangebot für die eigene Identität und das eigene Handeln gemacht wird. Der „neurechte“ Theoretiker Karlheinz Weißmann erwartet, dass „völkisch-religiöse Ideologien“ langsam in alternative, okkulte und neuheidnische Vorstellungen einsickern. Erste Anzeichen dafür gibt es: In einigen Esoterik-Buchhandlungen finden sich immer wieder Bücher zum Heiden- und Germanentum aus rechten Verlagen. Andreas Speit