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Archiv-Artikel

Versöhnung ohne Kitsch

Der Wahlausgang in Polen irritiert Europa. Doch auch ein Präsident Kaczyński muss seinen Provinzialismus überwinden

AUS WARSCHAU KLAUS BACHMANN

Jahrelang waren nette, europataugliche Politiker in Warschau an der Staats- und Regierungsspitze, deutsche Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberale konnten mit Leuten reden, die sich als Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberale verkauften, auch wenn sie eher postkommunistisch, klerikal oder neoliberal waren. Jetzt kommt da plötzlich einer, der das alles nicht mehr sein will und all diejenigen vertritt, die dem deutsch-polnischen Dialog auf höchster intellektueller Ebene immer frustriert als Außenseiter zugesehen haben. Einer, der in nationalen, manchmal geradezu völkischen Kategorien denkt und solche Unworte benutzt wie „Staatsräson“ und „nationales Interesse“. Lech Kaczyński, Polens neuer Präsident, hat eine Karriere hinter sich, die mit der von Jörg Haider viel gemeinsam hat.

Niemand wird deshalb Polen boykottieren. Dafür ist das Land zu groß, dafür hat die EU seit dem Österreich-Boykott zu viel dazugelernt, dafür haben Parteien wie „Recht und Gerechtigkeit“ inzwischen von Italien bis Skandinavien zu viel Zuwachs verzeichnet. Und sind Politiker, die in kollektiven und kollektivistischen Kategorien denken, in Polen nicht eigentlich Auslaufmodelle? Wer hätte geglaubt, dass ein Politiker wie Donald Tusk, relativ jung, enorm liberal, proeuropäisch, individualistisch und doch politisch eher rechts, einmal soweit kommen könnte? Junge Stadtbürger mit guter Ausbildung haben ihn gewählt, Kaczynski dagegen versammelte Landbevölkerung, wenig gebildete und ältere Wähler hinter sich. Klar, wem da die Zukunft gehört – Bildungsboom, EU-Integration, Modernisierung, Verstädterung und zunehmende Individualisierung werden bald eher Politikern wie Tusk als Kaczyński Wähler zutreiben.

Sollte man Kaczyński samt Partei also in Deutschland einfach aussitzen? Keinesfalls. Man hat ja gesehen, wohin der gehobene deutsch-polnische Versöhnungskitsch, lange dominant auf höchster Ebene, schließlich führte: zu atavistischen Reparationsforderungen des Sejm an Deutschland, auf die prompt die üblichen Nationalismusvorwürfe in umgekehrter Richtung folgten. Wut herrschte in Polen, als Schröder und Putin feierlich den Bau einer Gaspipeline verkündeten, die Polen und seine Nachbarn links liegen ließ. Kaczyński machte beides zum Wahlkampfthema: Er verkündete, Deutschland sei dabei, sich von einer Täter- zu einer Opfernation des Weltkriegs umzuwerten, als Stadtpräsident von Warschau ließ er Reparationslisten für die Zerstörung der Stadt aufstellen, um damit deutschen Vertriebenen und Erika Steinbachs „Zentrum gegen Vertreibungen“ zu Leibe zu rücken. Und er verkündete, stolz darauf zu sein, keine Kontakte zur CDU zu haben.

Die vorbildlichen Kontakte deutscher und polnischer Schöngeister konnten das ebenso wenig verhindern wie feindliche Parlamentsresolutionen und das Auseinanderdriften der beiden Öffentlichkeiten in Sachen Irakkrieg, EU-Budget und EU-Verfassungsvertrag. Dabei geht’s nicht nur um unterschiedliche Sicherheitsinteressen des EU- und Nato-Kernstaats Deutschland, der nur von Verbündeten umgeben ist, und des Randstaats Polen, der so unberechenbare Nachbarn wie Aleksander Lukaschenko hat. Es geht auch um unterschiedliche Wertvorstellungen. Jene stille Revolution, die Deutschland und Westeuropa in den 70ern durchmachten, bahnt sich in Polen erst seit einigen Jahren infolge der Marktöffnung und EU-Integration ihren Weg: der Ersatz von altbackenen bürgerlichen Tugenden durch individualistischere, auf Selbstverwirklichung, Kreativität, Flexibilität, Emanzipation – aber auch Zukunftsangst und Technikfeindlichkeit – gerichtete Vorstellungen.

Keine Illusionen: Wie Westeuropa wird Polen deshalb nicht werten. Nichts deutet darauf hin, dass wirtschaftliche Modernisierung zu Säkularisierung führen wird, und auch die Rolle der Familie wird wohl stärker bleiben als etwa in Frankreich. In Deutschland sollte man daran erinnern, dass ohne die nationalen Aufwallungen, die an Polen so häufig irritieren, auch nicht der Eiserne Vorhang gefallen wäre. Der Wahlausgang ist deshalb auch eine Chance, ins Gespräch zu kommen mit Polen, über das an deutsch-polnischen und europäischen Tischen immer geredet wurde, ohne es zu Wort kommen zu lassen. Und für Kaczyński und seine Mannen ist die Zeit vorbei, da sie den eigenen Provinzialismus als Tugend verkaufen konnten.

Der Autor ist Professor für Politologie am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau