berliner szenen : Ärger mit Stereotypen
Auf dem T-Shirt: Tel Aviv
Wenn Chaim in unsere Weddinger WG zu Besuch kommt, wird er von den libanesischen Bauarbeitern, die den Innenhof für einen Hungerlohn sanieren, immer mit „Saalam Aleikum!“ begrüßt. Da ist nett, doch er antwortet erfahrungsgemäß aus Vorsicht lieber doch nicht mit „Schalom!“.
In den öffentlichen Verkehrsmitteln Berlins hat Chaim seit geraumer Zeit noch ganz andere Probleme. Mit seinen schwarzen Locken sehen ihn die Fahrgäste immer öfter misstrauisch an, weil sie offenbar mutmaßen, er könne ein islamistischer Massenmörder sein. Und dann noch der verdächtig starke Bartwuchs – dabei ist dessen Beseitigung für den Hartz-IV-Empfänger zu allererst ein finanzielles Problem, weil ordentliche Rasierklingen bekanntlich teuer sind: „Zumindest die, bei deren alltäglicher Benutzung man nicht ständig Gefahr läuft, sich selbst einen Kopf kürzer zu machen.“
Deswegen fragte uns Chaim bereits verzweifelt, was wir von der alternativen Idee hielten, dass er sich für Bus und U-Bahn ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin kein Terrorist – sondern sehe nur so aus!“ fertige. Der WG-Rat, der davon zunächst abriet, zerbricht sich seither auch intern bis in die Puppen den Kopf: Die beispielsweise alternativ entworfene Aufschrift „Ich gehöre nicht zu al-Qaida, sondern komme aus Tel Aviv“ könnte ja zumindest in Neukölln, Kreuzberg und dem Wedding noch viel bedrohlichere Reaktionen der Passanten auslösen. Damit nicht genug, einer von uns hörte neulich die alteingesessenen Mieter aus dem ersten Stock über unseren Gast lästern: „Haben Sie gesehen, da oben geht jetzt ein Neger mit so einem Zopf ein und aus!“
Seither treffen wir uns nur noch bei Chaim, der uns immer mit Pils und billigen Schweinswürsten bewirtet. JAN SÜSELBECK