piwik no script img

Archiv-Artikel

Die größte Bremse liegt im Kopf

THEATER Fritz Katers Drama „Demenz, Depression und Revolution“ wurde am Maxim Gorki Theater Berlin uraufgeführt

Es ist ein Text voller knapper Metaphern über den Sinn des Vergessens

Eigentlich will er von einem Autofahrer erzählen, der etwas Entscheidendes übersehen hat, eine Frau auf seiner Windschutzscheibe nämlich, aber mitten im Text bröselt ein Wort weg, Buchstaben sind rausgefallen. Er stutzt, nimmt den Satz wieder von vorne auf, ein neuer Anlauf, der gleiche Riss, mitten im Sprachfluss. Peter Kurth spielt diese Szene im Gorki Theater Berlin und wie die anderen vier Darsteller des Kapitels „Demenz“ im neuen Stück von Fritz Kater hat er sich dazu eine graue Perücke aufgestülpt und den Körper künstlich aufgepolstert.

Sie stecken in Wülsten und Windeln fest, die Schrittchen klein, die Köpfe hängend – ein plakatives Bühnenalter. Da ist nicht mehr viel Spiel und Freiheit. Die größte Bremse aber liegt im Kopf, den gekappten Verbindungen, dem Vergessen von Bedeutungen, dem Nichterkennen von Ich und anderen.

„Demenz, Depression und Revolution“ heißt das neue Drama von Fritz Kater, das Armin Petras in seiner letzten Spielzeit als Intendant des Gorki-Theaters in Berlin dort uraufgeführt hat. Kater und Petras – sie sind eine Person. Und doch scheint der Autor manchmal mehr zu wissen als der Regisseur und manchmal der Regisseur ehrgeiziger zu sein als der Autor.

Das Altern der Körper mag platt dargestellt sein, das spielt kaum eine Rolle ob der Poesie und des Gedankenreichtums des Textes. Er ist aus kurzen Episoden zusammengewebt, Innen- und Außenansichten der Demenz. In Einwortsätzen erfährt man von Abstürzen aus einer Karriere oder der verzweifelten Tapferkeit der Angehörigen. Das sind nicht nur für das Theater äußerst dankbare Pointen, sondern es ist auch ein Text voller knapper Metaphern über den Sinn des Vergessens und die Konstruktion von Identität: „Jeden Tag sind wir ein anderer Mensch – wir wissen es nur nicht“.

Einmal spielen sie augenzwinkernd mit Theater als Therapieform. Lustig sei es gewesen und ein bisschen traurig auch, sagen die Patienten Arm in Arm. Diese schlichte Ansage passt auch zu diesem Theaterabend selbst, der zwar nacheinander drei Diskurse aufmacht, in jedem Kapitel aber eng bei einer Sache bleibt. So entsteht weniger ein Panorama gesellschaftlicher Ängste als vielmehr eine episodische Folge, die Punktlichter von unterschiedlicher Tiefe setzt.

Das Kapitel „Depression“ ist ein stringentes Kammerspiel, ein Profifußballer und seine junge Frau rasen mit einem Schnellzug durch ihr Leben. Die Stationen, nahe an der Biografie des Torwarts Robert Enke gestrickt, vermitteln zwar viel von der Seltsamkeit eines Lebens, das immer an der Karriere orientiert ist, viel und zu wenig soziale Kontakte hat – aber auch die Erzählung darüber bleibt schmal und unwirklich. Michael Klammer und Aenne Schwarz spielen das zwar berührend und spannend, der Musiker Miles Perkin greift den Schmerz des zwischen ihnen nicht Sagbaren mit schönen Songs auf. Und doch wirkt dieses Kapitel wie aus sicherem Abstand erzählt. Das Monster Depression hat hier bloß eine Tatze sehen lassen, nicht seine ungeheure Gefräßigkeit.

Sein Leben zu führen, es selbst in die Hände zu nehmen – Demenz und Depression verhindern das, sie nehmen die Stelle der schicksalsentscheidenden Götter in den Mythen ein. Das könnte ein Grund dafür sein, dass Fritz Kater sein Stück „drei Mythen der Gegenwart“ gewidmet hat, drei Themen mit einer eigenen Karriere in den Medien. Doch konkret spielt in seinem Text eine Kritik an der medialen Ausbeutung dieser Themen keine Rolle mehr.

Der dritte Topos, die Revolution, führt zurück in die 68er Jahre, nach Prag: Ein Künstler, ein Drehbuchautor, hadert mit seinem Stoff, seinen Liebschaften, seiner vielleicht wiederkehrenden Frau und bleibt bei der Revolution, die historische Filmaufnahmen im Hintergrund zeigen, nur Beobachter. Dass er mit Treue zu sich selbst auch der Revolution am meisten diene, davon vermag dieses Künstlerdrama nicht zu überzeugen. Das ist routiniert und skurril inszeniert, und doch bleibt das letzte Kapitel das schwächste an diesem Kater-Abend. So kommt es, dass die Erzählung über die Demenz, mit ihren sprachlich eindrucksvollen Bildern, auch die meiste Kraft auf dem Theater entwickelt hat.

KATRIN BETTINA MÜLLER