: Rosskur gegen die Kirchturmmentalität
Das Land NRW will seine Regionen stärken. In den Büros der „Regionalen“ 2006 (Wuppertal), 2008 (Aachen) und 2010 (Köln) suchen Projektmitarbeiter nach Wegen einer gemeinsamer Vermarktung
VON SEBASTIAN SEDLMAYR
Eine „Regionale“ kann man nicht aus der Froschperspektive begreifen. Dazu braucht es Überblick, es gilt die großen Landkarten auszupacken. Seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2010 gipfeln die Regionalen in Nordrhein-Westfalen alle zwei Jahre in „Abschlusspräsentationen“ – das Ende eines meist zähen Prozesses. Die Idee hinter dem Regionale-Projekt: Kommunen, die sich sonst oft nicht grün sind, sollen an gemeinsamen Vorhaben basteln. „Regionale Entwicklung und Strukturförderung“ sind die Bürokratenschlagworte, die beschreiben sollen, was passiert. Übersetzt: Die Regionalen sind eine vom Land NRW 1997 verordnete Rosskur gegen die Kirchturmmentalität.
Die hat NRW nötig. Bekanntlich halten die Solinger die Remscheider für Wilde auf Hügeln, die Bonner trauen den Kölnern nicht über den Weg, Oberhausener legen besonderen Wert darauf, dass sie nicht im angrenzenden Essen geboren wurden und weder Barmener noch Elberfelder sind je ganz Wuppertaler geworden. Alles Klischees, selbstverständlich. Aber eben auch Identitätsmerkmale, die gerne und häufig appliziert werden. Irgendwo wollen die Menschen schließlich zu Hause sein und dazugehören. Nun soll mit den Regionalen der Durchmesser dieser Identitätszirkel vergrößert werden. Und zwar mit dem Ziel, im „Wettbewerb der europäischen Regionen bestehen zu können“. Schließlich soll, wo mehrere hundert Millionen Euro an privaten und öffentlichen Fördermitteln fließen, auch irgendwann Profit rauskommen.
Und weil das Land nicht genau weiß, was dabei rauskommt, und weil es sich eigentlich gar kein Strukturförderungsprogramm leisten kann, ist es bei der Mittelvergabe nicht gerade großzügig verfahren. Im Büro der Regionale 2008 in Aachen sieht man das ziemlich deutlich. Da gibt es für den Besucher keinen Hochglanzprospekt, keine Bildschirmpräsentation. „Was wir machen, ist reine Knochenarbeit“, sagt Arnd Gottschalk. Hinter der NRW-Landkarte an der sonst kahlen Wand kriecht ein Silberfischlein hervor. Hier scheint schon länger keine Konferenz mehr stattgefunden zu haben. „Wir können nur kleine Nadelstiche setzen“, betont der junge Sprecher der Regionale 2008 immer wieder. Acht Mitarbeiter hat die Agentur. Diese acht Leute sollen 3,7 Millionen Einwohner aus 65 Kommunen aus drei Staaten zusammen bringen – vom belgischen Limbourg bis ins niederrheinische Heinsberg, vom Eingang zur Eifel in Monschau bis in die niederländische Provinzhauptstadt Maastricht. Wegen der länderübergreifenden Kooperation hat sich das Projekt „Euregionale 2008“ getauft. „Wir haben extrem disparate Strukturen“, stellt Gottschalk fest. Dabei gebe es auch viel Gemeinsames: die hohe Mobilität, Landschaftsformen, Siedlungsstrukturen. „Da muss man eine gemeinsame Vermarktung finden.“ Eines der 14 zentralen Projekte wird deshalb die Vereinigung der bislang getrennten Touristenziele Eifel und Ardennen.
Auf solche Regionale-Projekte trifft man immer wieder: Was „gelabelt“ wird, ist eigentlich schon da. Beim nächsten Ausflug in die Eifel findet man vielleicht irgendwo eines der orangenen Logos und weiß dann: Hier war die Euregionale. Oder man wandert von Remscheid durch den Wald nach Wuppertal und stößt auf ein Zeichen der Regionale 2006. An den Bäumen ändert sich aber nichts.
In einem ehemaligen Handwerkerhof in der Wuppertaler Friedrich-Engels-Allee kümmert sich Anette Kolkau um die Regionale 2006. Hier, in dem Häuschen direkt neben der Wupper, das bergischer kaum sein könnte, stapeln sich die Flyer, Prospekte, Abrechnungen. Überall blinkt das orangene Logo der bergischen Regionale heraus. Ein Sessel ganz in Orange steht herum. Er ist gedacht für einen Ausflug zu einem der hoch gelegenen Parks auf den Bergen über dem Wuppertal. Da soll man sich hinsetzen und einfach mal den Ausblick und die Ruhe genießen.
Auf den Rücken einer Reihe Büroordner hat jemand „Presse-Artikel 2001“ geschrieben. Da ist schon Einiges zusammengekommen. Trotzdem ist die Regionale als solche nicht im Bewusstsein vieler Bewohner des Bergischen angekommen. Die mit nur drei Kommunen kleinste Regionale hat die größten Mentalitätshindernisse aus dem Weg zu räumen. Solingen, Remscheid, Wuppertal – vielleicht können diese Städte gerade deshalb nicht gut miteinander, weil sie sich so ähnlich sind. Sie machen seit Jahrhunderten dieselbe Entwicklung durch: Werkzeugproduktion, frühe Industrialisierung, Erfindertum. Doch im Kleinen versuchen sich alle voneinander abzugrenzen, zum Beispiel mit dem einzigen Patent auf eine Stadt: „Made in Solingen“. Jetzt sollen ein Brückenforum und neu erschlossene Wanderwege die Städte einander näher bringen – Projekte von hohem Symbolgehalt. „Wir stehen am Anfang der Einübung von Kooperation“, lächelt Pionierin Kolkau.
Von Wuppertal 2006 nach Köln 2010. Annette Göddertz profitiert wenig von der beeindruckenden Architektur des Kölner LVR-Turms, der seit kurzem dem Dom gegenüber steht. Die Sprecherin der Regionale 2010 blickt aus der ersten Etage auf eine mehrspurige Straße und das alte Lufthansa-Hochhaus. Im Regionale-2010-Büro arbeiten wie in Wuppertal sechs feste Mitarbeiter. Hinzu kommen fünf Freie. Die Regionale 2010 will natürlich alles besser machen und aus Fehlern der Vorgänger lernen. „Spätestens 2007“ sollen die Informationen über die zahlreichen Projekte „breiter gestreut werden“, sagt Göddertz. Ein Jahr danach, 2008, sollte die Regionale 2010 weithin bekannt sein.
Sechs Millionen Menschen aus 53 Kommunen umfasst sie, ein Gebiet von der Größe des Saarlands. Köln und Bonn sind ein relativ homogener Raum, mit dem Rhein als verbindendes Element. Aber auch das Oberbergische gehört dazu, Leverkusen, der Rhein-Erft-Kreis, der Rheinisch-Bergische Kreis und der Rhein-Sieg-Kreis. Von Bedburg am Rand des Braunkohletagebaus bis zum Bonner Wachtberg, von Radevormwald bei Wuppertal bis nach Eitorf bei Siegen reicht die Region nach dieser Definition. „Vor zwei Jahren war das noch ein Problem“, sagt Göddertz. Doch gerade im hintersten Eck auf der Landkarte, in Gummersbach, habe die Regionale „wichtige Protagonisten“ gefunden, seit dort mit Hilfe der Agentur die Brache des Industriekonzerns Steinmüller reanimiert werde. Jetzt „identifiziert man sich in Gummersbach mit der Regionale“, freut sich Göddertz. Das sei ein gutes Zeichen auch für andere kleine Gemeinden.
Was ist das Ziel der Regionalen? Kolkau, Gottschalk und Göddertz verwenden fast identische Formulierungen: „Die Leute zusammenbringen“, sagen sie, „Impulse setzen“ und „als Moderator und Katalysator wirken“. Sie wissen, wie abstrakt das klingt, wie unsexy. Deshalb hoffen sie auf die sinnliche Wirkung der Einzelprojekte – und darauf, dass sich später jemand daran erinnert, wo diese Projekte begannen.