: Dreckig ist woanders
ENERGIE In Deutschland schließen die Minen, und Kolumbien wächst zu unserem wichtigsten Kohleimporteur. Die Menschen dort leiden darunter. Und an der Karibikküste färbt sich langsam das Meer schwarz
GEORG OPPERMANN, EON
AUS SANTA MARTA RUTH REICHSTEIN
Wenn Omar Garcia Silva die kolumbianische Karibikküste Santa Martas entlang fährt, wechselt seine Stimmung fast bei jeder Wegbiegung. Der kleine Mittvierziger ist Chef der Tourismusagentur der Region rund um die 400.000-Einwohner-Stadt. „Sehen Sie“, er zeigt auf einen dichten Palmenwald, „dahinter liegen kilometerlange Strände. Echtes Karibik-Feeling“, sagt Silva. Und dann, verbittert: „Wenn nur die Kohlehäfen nicht wären.“
Von der Landstraße sind die Anlagen kaum zu sehen. Erst an einem erhöhten Punkt geben die Palmen den Blick auf riesige Verladestationen frei, die dort im Meer liegen. Kräne heben tonnenweise Kohle von Förderbändern auf Schiffe. Das Wasser unter ihnen ist schwarz gefärbt.
Die Schicht aus Kohlestaub, die den Meeresgrund verdeckt, ist nach Untersuchungen des hiesigen Gewerkschaftsbunds – mehrfach schon hat man Biologen auf Tauchgänge geschickt –, bereits dreißig Zentimeter hoch. Nicht nur an der Küste, auch an den Strecken, entlang derer Züge die Kohle von den Minen zu den Häfen transportieren, liegt eine Staubschicht auf den Feldern. Die internationalen Multikonzerne Drummond, Vale und Glencore-Prodeco exportieren von hier über 60 Millionen Tonnen im Jahr. 70 Prozent davon gehen in die Europäische Union. Kolumbien ist zum wichtigsten Kohlelieferanten Deutschlands geworden, ein Viertel der Importe bezieht es von dort. Vor sieben Jahren waren es 8 Prozent.
„Ich bin fest überzeugt, dass die deutsche Energiewende zum Ausbau der Kohleminen in Kolumbien führt“, sagt Stefan Ofteringer von Misereor, er setzt sich für mehr Menschenrechte im kolumbianischen Bergbau ein. „Die Deutschen geben sich ein Image vom sauberen Land ohne Kohle und Atomkraft. Gleichzeitig importieren sie aus einem Land, in dem kaum Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden.“ Zwischen 2010 und 2011 ist die Produktion in Kolumbien um mehr als 15 Prozent gestiegen. Bei Prodeco, der in Kolumbien ansässigen Tochterfirma des Schweizer Megakonzerns Glencore, geht man davon aus, dass sich die Produktion von 14,6 Tonnen vor zwei Jahren auf 21 Tonnen in diesem Jahr erhöhen wird.
Der Cerrejón-Konzern, ein Zusammenschluss von Firmen aus Australien, Großbritannien und der Schweiz, plant darüber hinaus, die größte Kohlemine Südamerikas weiter auszubauen. In der Provinz La Guajira soll die Abbaufläche um 27.000 Hektar vergrößert werden – das entspricht einem Drittel der Berliner Stadtfläche. Das Konsortium will dafür Tausende Dörfer umsiedeln und den größten Fluss der Region kilometerweit umleiten. Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass Dörfer von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten werden und die landwirtschaftliche Nutzung leidet.
In Deutschland werden währenddessen Minen geschlossen. 1997 wurde im Aachener Steinkohlerevier das letzte Bergwerk stillgelegt. Im Saarland wurde der Abbau 2011 beendet. Eine bequeme Lösung: Vor Ort wird es sauber, dreckig woanders.
„Ganz eindeutig gibt es eine Verantwortungskette: Deutsche Unternehmen, die Cerrejón-Kohle kaufen, haben sich einseitig über die Situation informiert. Sie verlassen sich auf das, was die Unternehmen behaupten“, sagt Stefan Ofteringer von Misereor. Zwar habe es Besuche in Minen gegeben, auch von Eon. „Aber die fahren dann in Fahrzeugen der Unternehmen mit Unternehmensvertretern herum.“
Werden 2018 die letzten deutschen Zechen geschlossen, steigen die Importe noch einmal an. Das weiß man auch bei Eon in Düsseldorf. „Kohle aus pazifischen Ländern wird immer stärker von China nachgefragt und ist darum sehr teuer geworden. Wir setzen deshalb auf Kohle aus Kolumbien“, sagt Georg Oppermann, ein Sprecher des deutschen Energieriesen, der 2012 ein Drittel seiner Steinkohle aus kolumbianischen Minen bezogen hat. Man sei sich der Verantwortung bewusst, beteuert Oppermann. Und habe schon vor einigen Jahren Mindeststandards für Arbeitnehmerrechte und Umweltschutz in die Kaufverträge geschrieben. „Wir überprüfen das selbst vor Ort. Aber wir müssen uns auch darauf verlassen können, dass die Behörden dort die Situation entsprechend einschätzen. Wir können nicht von hier aus alles besser wissen.“
Genau das müssen die Unternehmen aber, fordern Nichtregierungsorganisationen. Die Megakonzerne können in vielen Gebieten Kolumbiens tun, was sie wollen. „Sie diktieren Politikern die Gesetze“, sagt Ofteringer von Misereor. Mit allen Mitteln wolle die kolumbianische Regierung die ausländischen Investoren im Land halten, die Konkurrenz mit anderen südamerikanischen Staaten sei groß. Viele Regeln seien darum lückenhaft oder kaum überprüft – auch nicht die Höchstgrenze für Feinstaubbelastung.
Der Tourismusagent Omar Garcia Silva ist in einem Vorort Santa Martas angekommen. Neben einem Luxushotel haben sich Einheimische am Stand versammelt, sie sitzen auf Plastikstühlen und grillen Fisch. Sprechen wollen sie mit ausländischen Journalisten lieber nicht. Das übernimmt Silva. „An der Küste Santa Martas haben die Strände ihre natürliche Farbe verloren. Sie werden schwarz, obwohl die Hotelbesitzer und die Fischer versuchen, die Kohlepartikel abzutragen“, sagt er. „Die Regierung in Bogotá hat vor über zwanzig Jahren beschlossen, diese Konzessionen für die Minen und die Häfen zu vergeben – ohne jede Konsultation der Regionen. Jetzt haben wir diese Dreckschleudern vor den Toren unserer Stadt und sind machtlos.“
In der Kohleabbauregion Cesar, ein paar Kilometer nordöstlich, liegen dem Gesundheitsministerium Studien vor, die belegen, dass 50 Prozent der Bevölkerung des Dorfs, das der Mine am nächsten ist, wegen des Kohlestaubs erkrankt ist – an Haut, Augen und Atemwegen. Mit der Initiative „Better Coal“ bemühe sich der Konzern ja um eine konsequente Überprüfung, sagt Düsseldorfs Eon-Sprecher Oppermann. Er sagt aber auch: „Wir können unsere langfristigen Lieferverpflichtungen nicht von solchen Schreckensmeldungen abhängig machen.“
Also versuchen sich die Kolumbianer in den betroffenen Regionen irgendwie selbst zu helfen. In Santa Marta haben sie einen eigenen Kohlehafen gebaut. Im Vergleich zu den Privathäfen der Konzerne ist der klein, aber die Kohle wird in geschlossenen Behältern transportiert und der Kohlestaub mithilfe einer chemischen Lösung am Davonfliegen gehindert.
Die drei großen Kohlekonzerne sollen diese „Direktverladung“ auch bald einführen, ein neuer Hafen ist außerdem in Planung. Ob das eine Lösung ist? Omar Garcia Silva bleibt skeptisch. Das Meer sei für diese Art der Beladung im Baugebiet nicht tief genug. „Wenn es für die Firmen zu teuer wird, werden sie das nicht tun“, sagt er. „Was die interessiert, ist Profit. Und solange die Europäer da mitmachen, wird sich daran nichts ändern.“