: Stalin, Hitler, Obama und die Waffenlobby
USA Die Debatte über neue Waffenkontrollgesetze wird schärfer. Kommende Woche will die Regierung ihre Vorschläge vorstellen
AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN
Die Schusswaffenfreunde in den USA haben die Fotos von Hitler und von Stalin wieder aus dem Keller geholt. Mit demselben Zweck wie bereits vor vier Jahren: Um zu behaupten, Präsident Barack Obama sei wie die beiden Diktatoren. Damals ging es um die Gesundheitsreform. Dieses Mal um die geplante Verstärkung der Schusswaffenkontrolle.
Vizepräsident Joe Biden hat in der zurückliegenden Woche alle möglichen Leute, die etwas zum Thema Schusswaffengewalt zu sagen haben, zum Gespräch geladen: Überlebende von Schießereien, Jäger, Filmemacher und – erst ganz zum Schluss – die mächtige Lobbygruppe National Rifle Association.
Biden, der vom Präsidenten mit der Mission gegen Schusswaffengewalt beauftragt worden ist, will schon am kommenden Dienstag einen Plan vorlegen. Unter anderem will er dem Weißen Haus empfehlen, strengere Backgroundchecks für Waffenkäufer einzuführen und den Verkauf von großen Magazinen zu reglementieren, die es möglich machen, sehr viele Schüsse abzugeben, ohne nachladen zu müssen. Auch der Todesschütze, der an der Grundschule Sandy Hook in Newtown 20 Kinder und 6 Erwachsene erschoss, hatte diese benutzt.
Falls der Kongress nicht bereit ist, schärferen Kontrollgesetzen zuzustimmen, befürwortet Biden auch ein Vorgehen mithilfe von Präsidialdekreten. Dagegen schießt die andere Seite scharf. Sie nennt ein solches Vorgehen, wie es auch die Präsidenten George H. W. Bush und Bill Clinton zur Schusswaffenkontrolle benutzt haben, „autoritär“. Und kontert mit Diktatorenvergleichen.
Neben dem Vizepräsidenten gibt es auch in verschiedenen Bundesstaaten neue Initiativen. Im Bundesstaat New York hat der demokratische Gouverneur Andrew Cuomo gerade ein Gesetz vorgelegt, das zu dem bislang weitestgehenden Verbot von Sturmgewehren und Hochleistungsmagazinen führen würde. „Dieser Wahnsinn muss aufhören“, sagte Cuomo. „Niemand geht mit einem Sturmgewehr auf die Jagd. Niemand braucht zehn Kugeln, um ein Reh zu erschießen.“ Cuomo gilt als einer der potenziellen Anwärter für die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2016. Dass sich ein Politiker mit seinen Karriereplänen an das heikle Thema heranwagt, ist selten. Michael Bloomberg, der Bürgermeister von New York, der in seiner Stadt schon lange gegen Schusswaffen aktiv ist, hat ihm dafür gratuliert.
Eine andere Initiative kommt von einer Frau, deren eigenes Leben infolge einer Schießerei am seidenen Faden gehangen hat. Die ehemalige Kongressabgeordnete Gabby Giffords war am 8. Januar 2011 in Tucson, Arizona, durch einen Kopfdurchschuss verletzt worden. Sie besitzt selbst Schusswaffen und verteidigt den zweiten Verfassungszusatz, der den Waffenbesitz seit dem Jahr 1791 zu einem Grundrecht macht. Doch in dieser Woche, zwei Jahre nach dem Attentat, hat Giffords zusammen mit ihrem Mann ein Komitee zur Schusswaffenkontrolle „mit gesundem Menschenverstand“ gegründet.
Gleichzeitig bereitet auch Senatorin Dianne Feinstein ein Gesetz vor, das sämtliche Sturmwaffen verbieten soll.
Die Öffentlichkeit, so zeigen Umfragen, ist gespalten. Einerseits ist die Zustimmung zu der normalerweise sehr populären National Rifle Assaciation (NRA) gegenwärtig auf 42 Prozent gesunken. Andererseits hat die NRA nach eigenen Angaben 100.000 neue Mitglieder geworben. Im selben Zeitrum ist es zu Hamsterkäufen von halbautomatischen Waffen und Munition gekommen und ist die Zahl der Anträge auf Waffenscheine – in den Bundesstaaten, wo diese Formalität überhaupt nötig ist – gestiegen.
Die NRA lehnt die von Biden und anderen Politikern vorgeschlagenen Verschärfungen ab, das Gespräch mit dem Vizepräsidenten blieb ohne Ergebnis. Die NRA unterstellt Biden, er wolle den zweiten Verfassungsgrundsatz kippen. Statt mehr Schusswaffenkontrolle will die NRA mehr Pistolen in den Händen der „good guys“, damit die sich gegen „bad guys“ wehren können. Die Argumente, die sie in die Debatte wirft, sind vor allem Ablenkungsmanöver: Unter anderem verlangt die NRA jetzt eine bessere Versorgung von psychisch Kranken (weil viele Todesschützen psychische Probleme haben), sie will ein stärkeres Augenmerk auf Drogen (weil viele Todesschützen Psychopharmaka einnehmen), sie macht gewalttätige Filme verantwortlich – und sie bemüht ihren uralten Slogan, dass nicht Waffen töten, sondern die Menschen, die sie benutzen.
Kommentar SEITE 1