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Archiv-Artikel

Der Geist von Kästners Emil und Christiane F.

Jan Feddersens Gastro-Kritik: Das ICE-Restaurant im Bahnhof Zoo ist das letzte Refugium des alten Westberlin. Es gibt Salami-Brötchen mit Liebe

Emil kam hier an, der Held aus Erich Kästners Roman. Die Trümmerfrauen warteten hier auf ihre Männer, Christiane F., das Drogenmädchen; auf Kunden. Überhaupt kamen alle an, denen Westdeutschland zu klein und die Frontstadt gerade recht war, um ein neues Leben zu beginnen. Berlin – sein Geburtskanal hieß Bahnhof Zoo. Und mittendrin, seit langem und stets betrieben von der einst DDR-eigenen Restaurationskette Mitropa, das ICE-Restaurant.

Man übersieht es leicht. Auf halber Strecke zwischen den vier Bahnsteigen liegt es und dem Catwalk der Reisenden, Wartenden und Suchenden. In dunklen Monaten sieht es etwas verschattet, eher wie eine Eckkneipe, in der nur Stammgäste weilen. Aber es lohnt sich, hat man sich getraut.

Drinnen eröffnet sich das alte Westberlin der besten Art. Nicht von modischer Art das Interieur; zu gering der Platz hier, um alle Facetten, Farben und Akzente zu nennen. Sagen wir: Man sieht die Zeit an sich vorbeiwehen. Etwas orangene Siebziger, leicht zu erkennen der Geist der Achtziger, auch die Neunziger sind nicht fern, schaut man sich die Bezahltoiletten an – denn damals mussten man in Bahnhöfen für dieses Geschäft bezahlen. Aber, das ICE-Restaurant übt sich hier im Preisdumping, untypisch für das sonstige Angebot: Aufs Klo kostet es nur 30 Cent, nicht wie im offiziellen Bahnhofsabort einen halben Euro.

Zwei exzellent kundige Frauen aus Gott sei Dank noch nicht in Frühpension geschickten Jahrgängen bedienen, was die Speisekarte hergibt. Kein Schickimicki, der Kaffee ein wenig zu bitter und nur im Becher, kein Kännchen mehr, leider; der Tee im Becher, der Beutel im heißen Wasser, die Zitrone im reißfesten Alutütchen. Das halbe Brötchen mit Salami tüchtig mit Liebe zubereitet, als Garnitur eine halbe Tomate und ein Scheibchen Salatgurke, dazu Pfeffer und Salz auf dem Tisch. Akkurat, kein Ornament zu viel, kein Lifestyleversprechen wie in Coffeeshops.

Die Hauptspeisen … Hackbraten, Bauernfrühstück …gut und satt machend, in der einsehbaren Küche unter Warmhalte-Rotlichtern appetitlich gehalten. Die Tische zur Fensterfront sauber, der Blick auf den Zoo-Vorplatz, wo all die Busse uns durch die Straßenkapillare in die Metropole schuckeln, luxuriös, ein einziges Versprechen.

Man soll über dieses Restaurant, alles in allem, nichts Schlechtes sagen. Die Leute sind freundlich, das Essen nicht fies, allein die Preise könnten als grotesk wahrgenommen werden. Aber Reisen ist eben teuer.

Der Bahnhof Zoo wird vereinsamen, Hauptbahnhof ist bald der Lehrter Bahnhof. Doch das ICE-Restaurant lädt weiter zum Verweilen ein: als Zwischenreich zwischen zu Hause und neuer Heimat.

ICE-RESTAURANT IM BAHNHOF ZOO, Mo. bis So. 9 bis 22 Uhr; Kaffee und Tee zu normalen Preisen, die Hauptspeisen zwischen 6 und 15 €