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Archiv-Artikel

DVDESK Selbstverbesserung und Krise

Steven Soderbergh: „Girlfriend Experience“ (USA 2009, 77 Min., ab rund 12 Euro im Handel erhältlich)

Einer noch, der Thriller „Side Effects“, der läuft im Wettbewerb der Berlinale; außerdem ein Fernsehprojekt, „Behind the Candelabras“, die turbulente Love Story von Liberace und seinem Lebensgefährten (mit Michael Douglas und Matt Damon als Liebespaar) – dann aber ist Schluss. Steven Soderbergh, bei dem man nie weiß, was kommt, hat wissen lassen, er sei jetzt fünfzig und habe genug Filme gedreht. Fleißig war er, wie kaum einer auf seinem Niveau – was nur ging, weil er sich eine einzigartige Arbeits- und Produktionsökonomie für seine Filme erkämpft hat. Und erstaunlich vielseitig war er auch: Blockbuster, kühne Experimente im großen und im kleinen Rahmen, mit Stars und ohne, Dokus und Spielfilme, Biopics und kaum Kategorisierbares, alles war dabei. Und jetzt wird Soderbergh erst einmal Maler.

In deutschen Kinos waren zuletzt „Haywire“ und der irre gute „Magic Mike“ zu sehen, aber der eine oder andere ist auch durchgerutscht. „The Girlfriend Experience“ zum Beispiel, von 2009. Das Jahr ist nicht unwichtig, denn die Geschichte des Nobel-Escorts Chelsea (gespielt von Pornostar Sasha Grey) ist punktgenau auf dem Höhepunkt der Bankenkrise angesiedelt. Und Soderbergh, der wie immer auch die Kamera führt, interessiert sich fürs Milieu – oder die Milieus – der zu Geld Gekommenen und/oder der um ihr Einkommen Fürchtenden. Es geht also nicht nur um die Superreichen, sondern auch um jenen Teil der amerikanischen Mittelschicht, der nach Selbstverbesserung und Aufstieg strebt.

Wie Chelsea, die an ihrem Image arbeiten will und dafür allerlei Maßnahmen ergreift, unter anderem die Professionalisierung ihrer Website. Manches geht nach hinten los, etwa der Versuch, bei einem einflussreichen Escortkritiker (eindrucksvoll widerlich: der Filmkritiker Glenn Kenny) die Bestnote zu bekommen. Sie liest auch merkwürdige Ratgeberbücher, quasi-astrologisches Zeug. Aber auch Chelseas Lebensgefährte Chris, der gegen ihren Escortjob nicht grundsätzlich etwas einzuwenden hat, strebt im Fitnessclub, in dem er als Trainer angestellt ist, nach Höherem. Klingt fast satirisch, aber Soderbergh meint das durchaus ernst und vor allem analytisch.

Ohne große Geste packt er die Sache wie so oft auch in „Girlfriend Experience“ radikal an. Er verzichtet auf jede übliche Dramaturgie, setzt den Film eher wie ein Prisma aus einzelnen, chronologisch ineinandergeschobenen Szenen zusammen, auf die sich dann schon der Zuschauer seinen Reim machen muss. Die Heldin ist nicht dazu da, dass wir sie lieben; sie ist viel eher die Sonde, die Zugang und Einblick zu als Typen gezeichneten Figuren gewährt. Sasha Grey macht das gut, wird aber systematisch in den Bildhintergrund gerückt, wie überhaupt viele Einstellungen quasiabstrakt als Hell-Dunkel- und Schärfe-Unschärfe-Kompositionen gebaut sind.

Man könnte sagen: „Girlfriend Experience“ ist ein Gegenwartsporträt, das mit Fleiß immer ein wenig zu nah rangeht. Den Abstand, der die Illusion einer kritischen Position außerhalb des Gezeigten erlaubte, verweigert der Film. Einmal zoomt Soderbergh elend langsam auf seine beiden Protagonisten, eine insistente Annäherungsbewegung, mit der man ihnen zuletzt aber nicht näher kommt. Es ist dieses Paradox, auf das der Film zielt. EKKEHARD KNÖRER