: Die Fährnisse der Feldtheorie
KRIMI In Max Bronskis Thriller „Der Tod bin ich“ sucht ein Doppelagent wider Willen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nach der Weltformel
VON CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
Die Schlapphüte des Kalten Kriegs haben abgedankt? Von wegen. Einer dieser Spionage-Rentner radelt zum Auftakt von Max Bronskis Thriller „Der Tod bin ich“ mit Strohhut und in einen feschen Leinenanzug gekleidet durch die Gluthitze des bayrischen Sommers. Nach einem kühlen Dunklen im gut besuchten Biergarten einer Schlossbrauerei steigt er erneut aufs Hollandrad, um wenig später mit zwei gekonnt gesetzten Schüssen einen alten Mitstreiter zu erlegen – nicht ohne sich zuvor mit einem „Bertold?“ der Identität des stark gealterten Opfers zu versichern.
Bronski, der Urheber von vier Münchner Lokalkrimis, dessen Klarname nicht bekannt ist, hat das Genre gewechselt – mit Erfolg. Atmosphäre und Figuren so lebendig werden lassen, dass man umgehend mittendrin ist, das kennt man von ihm. Abgelegt hat der Autor den notorisch galligen Humor, ein Markenzeichen seiner Krimireihe von „Sister Sox“ bis „Nackige Engel“. Aus dem schäbigen Schlachthofviertel heraus ließ er da seinen Ich-Erzähler, den Wortakrobaten und Trödelhändler Gossec, Giftpfeile abschießen: gegen Neonazis und andere Halb- und Unterweltgestalten, lieber noch Richtung Bussi-Kultur.
Faxe kauen und schlucken
Humor ist trotzdem vorhanden. Ihren Viagra-gestützten Lebensabend für eine neue Jagd aufzugeben, ist den alten Spürhunden mehr als eine Überlegung wert. Fred Fridge, Ehemaliger des MI5, hat Wind bekommen vom Tod des Deutschen und will CIA-Rentner Joe Salantino, den er am Pool liegend telefonisch erreicht, auf seiner privaten „Whodunnit“-Mission gern an seiner Seite haben:
„– Deine E-Mail-Adresse?
– Vergiss es! Ich will ein Fax.
Fred röchelte.
– Auswendig lernen, kauen, gut einspeicheln und anschließend runterschlucken?
– Sehen wir uns?
– Ich bin nicht sicher, ob ich in meinem Alter noch einmal auf den Kriegspfad gehen sollte.“
Herrlich, diese Selbstbezüglichkeit der Agenten-Männerspielchen. Nun, was haben die Rosenholz-Dateien, ein Verzeichnis aller im Westen tätigen Informanten des MfS, das nach dem Mauerfall in die Hände des CIA geriet, mit dem Mord zu tun? Im Visier haben die beiden gleich noch den Russen Malikow, der sich in der aufgeheizten Stimmung des Jahres 1957, nachdem die Sputnik ins All geschossen und damit dem Westen eine seiner größten Schlappen beigebracht war, genau wie sie an begabte junge Physiker rangewanzt hat. Namentlich den nun ermordeten Bertold Oftenhain, dem es um die Allgemeine Feldtheorie zu tun war.
Damals hieß das großsprecherisch „Die Weltformel“. Einstein, aber eben auch beide Blöcke waren hinter ihr her, weshalb der Physiker Oftenhain, was zu dieser Zeit freilich keiner wusste, Doppelagent wurde. Freiwillig nicht. Das breitet Bronski in der eigentlichen Handlung aus, die von den Ereignissen in diesem Jahrtausend gerahmt wird: raffiniert und, was die Informationen angeht, von einer geradezu schwäbischen Haushaltspolitik – wie es sich für einen Pageturner gehört.
Wie nebenbei die ein oder andere Figur über die Weltformel schwadroniert oder erklärt wird, was die Suche nach ihr motivierte, wie sie die verschiedenen Ansätze in der Physik vereinheitlichen sollte, ist alles andere als trivial. Das gilt auch für die Überlegungen zu konkurrierenden Erkenntnistheorien – finden wir heraus, was schon Fakt oder Gesetz ist, oder stoßen wir genau auf die Fakten und Gesetzmäßigkeiten, nach denen wir suchen – und vor allem für Bronskis fein um das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Macht gesponnenen Plot. An Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ fühlt man sich spätestens erinnert, wenn Ex-Ossi Oftenhain, ein Unterzeichner der Anti-Atomwaffen-Erklärung der Göttinger Achtzehn, bei einer hier Petri genannten Kapazität im Zürich der frühen 60er ans Forschen geht.
Doch, und hier kommt noch die Musiktheorie ins Spiel, Oftenhain ist beim Versuch, die Mächte zu foppen, um eine Variante reicher als der irre Physiker Dürrenmatts. Dabei spielen sein absolutes Gehör und die Überzeugung von der mathematischen Struktur der Musik eine bedeutende Rolle. All das hat Bronski zügig und elegant zu Papier gebracht und dankenswerterweise ohne melancholische Töne oder jene Romantisierung des Kalten Kriegs, mit der Thriller wie die jüngste John-le-Carré-Verfilmung „Dame König As Spion“ einen so ratlos zurücklassen.
Vorsicht ist auch für Verschwörungstheoretiker geboten sowie für alle, die überall eine Verschwörungstheorie wittern: Allzu viel Spekulation hatte Bronskis Geschichte nicht nötig. Wer Zweifel hat, dies alles könne sich so zugetragen haben, sei daran erinnert, dass die beiden Anfang der 90er an der Übergabe der Rosenholz-Dateien beteiligten KGB-Agenten, Alexander Prinzipalow und Alexander Sjubenko, kurze Zeit später unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen. Vielleicht mampfen ein paar Kalte Krieger noch heute Papier.
■ Max Bronski: „Der Tod bin ich“. Antje Kunstmann, München 2013, 400 Seiten, 16,95 Euro