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Archiv-Artikel

Zu viel Rummel um das Klima?

PRO

IVO BOZIC ist Redakteur der Wochenzeitung „Jungle World“

Im Oberwallis haben die Menschen seit dem 17. Jahrhundert gebetet, dass der Aletschgletscher, der sich damals rasch ausbreitete und ihre Gehöfte bedrohte, abschmelzen möge. Seit diesem Jahr nun beten sie, dass er es nicht tut. So ist das mit den Gletschern: ein Kommen und Gehen.

Und der Mensch – passt sich an. Seit dem Gletscherhochstand von 1850 sind etwa 100 Gletscher in der Schweiz verschwunden. Die Gesamtfläche der Alpengletscher nahm seitdem um 50 Prozent ab. Wir haben es überlebt. Noch vor 10.000 Jahren reichte das ewige Eis bis kurz vor Berlin. Will man auch nicht wiederhaben. Oder Eisberge: Wer braucht denn die? Selbst wenn alle Eisberge der Welt und der gesamte Nordpol wegtauen, steigt der Meeresspiegel dadurch nicht um einen Millimeter. Und die Eisbären? In den letzten 60 Jahren hat sich ihre Population verfünffacht. Jetzt sterben sie vielleicht aus, sollte der Nordpol tatsächlich eisfrei werden. Oder sie passen sich an und werden Braunbären. Das Mammut hat sich nicht angepasst. Schade, aber es kann halt nicht jeder durchkommen. So ist das nun mal. Dafür gibt’s jetzt Pudel. Und uns. Mit unseren Flachbildfernsehern und bunten Skijacken. Und mit Jörg Pilawa, der das Klima rettet. Es hat eben alles Vor- und Nachteile. Vielleicht wird das öde Sibirien bald eine Kornkammer für die stetig wachsende Weltbevölkerung. Vielleicht rettet uns die Erderwärmung so den Arsch. Wer weiß?

Klar, der Meeresspiegel steigt, durch das Abtauen des Festlandeises. Das ist unangenehm für manchen. Doch keine Sorge, irgendwann fällt er auch wieder. So war das immer schon – in den letzten vier Milliarden Jahren. Mag ja sein, dass nun erstmals der Homo sapiens für einen Klimawandel verantwortlich ist, doch zu glauben, das Klima bliebe ohne den Menschen und seine Autos und iPods immer dasselbe, das wäre naiv.

Und das ist das eigentlich Verrückte an diesem Megahype ums Klima: Der Mensch scheint tatsächlich vollkommen überrascht zu sein, dass die Welt da draußen nicht so beständig ist wie sein Weltbild. Mit dieser Einstellung aber wird es ihm ergehen wie dem Mammut.

CONTRA

MANFRED KRIENER ist Chefredakteur des Umweltmagazins „zeozwei“

Erinnern Sie sich noch an die Rinderwahnsinnslawine im Dezember 2000? Oder an den ersten Schub der Hongkong-Vogelgrippe, an die vagabundierenden Dioxinfässer und die Aids-Welle von 1984? Immer dieselbe Stampede mit einem Medienfallout, dass die Kioske wackelten.

Und jetzt also ein neuer Nachrichten-Overkill in Sachen Hopenhagen. Keine Angst: Sie müssen das nicht alles lesen, hören, gucken. Aber die Berichterstattung ist in genau dieser Wucht und Unentrinnbarkeit ein gutes Zeichen. Sie ist das Signal, dass die Botschaft auch beim Ortsvorsitzenden der FDP in Castrop-Rauxel ankommt.

Wichtigste Voraussetzungen, damit der Klimagipfel – und die notwendigen Nachverhandlungen – ein Erfolg werden, sind der Druck der Öffentlichkeit und ein entsprechender Medien-Fokus. Der bemisst sich in Sendeminuten und bedruckten Zeitungsseiten. Mit dem riesigen Medienrummel schlägt eine Gesellschaft die Hacken zusammen und vermittelt: Wir haben verstanden! Und wenn selbst der Textchef der Pinneberger Nachrichten fürs Klima die Seiten freiräumt, dann sollten wir nicht meckern. Es ist wie beim Geburtstag: Zu viel Geschenke, Essen, Alkohol, aber ein Fest, an das wir uns noch lange erinnern. Natürlich wechseln viele den Kanal, wenn schon wieder ein Eisberg kollabiert, doch auf unserer Festplatte im Hinterkopf klettert das Thema in der Bedeutungsskala um zwei Stellen.

Der Medienhype wird auch die neue Volksbewegung in Sachen Klimaschutz befeuern. Inzwischen wird zwar jeder Furz auf seinen Kohlendioxidgehalt berechnet, aber die Dekarbonisierung ganzer Volkswirtschaften braucht eben alle Akteure. Da ist der Kinobetreiber in Strausberg, der seine Besucher den Strom für die Filmvorführung durch Strampeln auf aufgebockten Fahrrädern selbst erzeugen lässt. Da ist das erste klimaneutrale Kondom (ja!) der Kölner Firma Lebenslust. Da gibt es Rockgruppen, die in Zelten leben und mit dem Radl ins Studio fahren, um die erste klimaneutrale CD der Welt aufzunehmen. Sie alle brauchen Bestätigung, Zuspruch, Orientierung – und die volle Klimadröhnung.