piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Krönung ist das Frühstücksei

Jan Feddersens Gastrokritik: Die Gaststätte Götterspeise in der Neuköllner Oper verdient einen Besuch

Dieser Kulturtempel ist ernsthaft ein besonderer; Aufführungen, die sich um E und U nicht scheren – und im Zweifelsfall tun, was ästhetischer Pioniergeist so hergibt. In Neukölln einen alternativen Opernbetrieb zu etablieren ist womöglich so schwer wie die Durchsetzung des Alkoholverbots zu Ramadan. Flankiert an der Straße, wenn man sich recht erinnert, von einer Filiale des McDonald’s-Gastrokonzerns, ist das Café Götterspeise – das abends und nachmittags ein vernünftiges Angebot guter Speisen (und im Übrigen einen akzeptablen Kaffee) bereithält.

Die Frage ist: Kann man dort auch einkehren, wenn sonntags der Kühlschrank gemahnt, nächstes Wochenende vor dem Ladenschluss einzukaufen – denn nun ist alles leer, gefüllt nur mit Ketchup, Weißwein und elf Sorten Marmelade nebst Honig.

Die Götterspeise jedenfalls muss vermisst werden. Der Laden ist mittel gefüllt; die Menschen unterhalten sich unaufdringlich; die eine Ecke der Gaststätte könnte etwas heller gehalten werden – man ist ohnehin benachteiligt in puncto Sonnenlicht durch die Lage im Zwischengang von der Karl-Marx-Straße ins Böhmische Viertel. Aber entschädigt wird man, weil der Service zuvorkommend wirkt. Besteck und Teller müssen selbst geordert werden – und an beidem mangelt es leider zur etwas fortgeschrittenen Vormittagsstunde akut.

Nach zehn Minuten scheint erst die Spülmaschine sauberes Frühstückshandwerkzeug freigegeben zu haben: Das sind, ohne Bosheit, acht zu viel.

Aber dann ist es so weit – und es darf getafelt werden. Absoluter Höhepunkt war ein porreegesottenes Gericht, das vom Fleisch lebt, nämlich vom Kassler. Das als erste Mahlzeit des Tages ist ungewöhnlich – aber außergewöhnlich gut gekocht.

Auch die Salate sind frisch, allesamt – und auch was aussieht, als sei es in Mayonnaise ertrunken, stellt sich beim Speisen als leicht bekömmlich heraus. Nur das Brot muss noch bedacht werden: Aufbackbaguette wie aus jedem x-beliebigen Kaufhaus, zubereitet in Heißluftöfen … nein, das muss in einem Kunsttempel mit Avantgardegelüsten nicht sein. Auch fehlt es an dunklem Brot, körnigem und saftigem: Am Preis kann es nicht liegen, denn man zahlt doch gern ein paar Euro mehr, wenn alles lecker ist.

Krönung aber, unverhofft, unvermutet, ist das Frühstücksei, Vogelgrippe hin, Antihysterie her. Viereinhalb Minuten haben wir angemeldet, möge es köcheln. Mit dem Zusatz, es solle wachsweiß serviert werden. Die Bedienung kam, sagte ein lächelnd untermaltes „vierdreiviertel Minuten“ und ging. Sie hatte Recht: Es war wie erhofft – und schon dies verdient einen Besuch im unterschätztesten Viertel der Stadt.

GÖTTERSPEISE in der Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133, U-Bahn Karl-Marx-Straße, Mo. bis Fr. 12 bis 24 Uhr, Sa. und So. 10 bis 23 Uhr; Frühstück 7 Euro – Kaffee extra; Hauptspeisen ab 4,50 Euro – Getränke die üblichen; Fon (0 30) 68 89 07 77