: Zu welchem Behufe auch immer
Schillert aufreizend in seinem großen Irritationspotenzial: Martin Mosebachs neuer Roman „Das Beben“
Martin Mosebach macht es niemandem leicht. Zwei Lesergruppen lässt er an seinem neuen Roman „Das Beben“ auflaufen: solche, die sich von der Hochliteratur ein Mindestmaß an Innovationswillen erwarten; und solche, die sich gern in konventionell erzählten Geschichten verlieren. Beide müssen enttäuscht sein oder doch nachhaltig irritiert von diesem Text, der weder das eine noch das andere bedient.
Geradezu dreist ist die Selbstverständlichkeit, mit der Mosebach sprachlich altertümelt: Es wimmelt von „gleichsam“ und vorangestelltem „nun“; der Erzähler vermerkt Dinge „in Parenthese“ und ahnt, „zu welchem Behuf“ etwas geschieht. Jede neu auftretende Figur wird stur gründlich beschrieben und dabei durchaus von der Nase auf den vorandrängenden Geist geschlossen. Viel Raum gibt Mosebach dem Essayistischen und allzu vielen bildungsbürgerlichen Einwürfen, und nirgends ist etwas ironisch überspitzt oder gebrochen. Auch hat diese Sprache hier keine Beglaubigung durch ein historisches Sujet wie in „Der Nebelfürst“ (2001).
Die Handlung: Ein junger Architekt, spezialisiert auf die „Hotelisierung“ historischer Gebäude, verliebt sich schwer. Die junge, göttinnengleiche Frau hintergeht ihn vermutlich. Er flieht vor ihr nach Indien, wo er einen Königspalast auf Hoteltauglichkeit prüfen soll. Der letzte Teil führt alles unvermutet neu zusammen und auch wieder dramatisch auseinander. Trotz der Dramatik und Exotik fehlt aber eine wirkliche Figurenpsychologie, obwohl der Erzähler ständig kommentiert und psychologisiert. Die Dialoge sind gekünstelt essayistisch oder in indirekter Rede gehalten. Und der zweite, der Indien-Teil, ist lang und ereignisarm.
Die interessanten Brüche aber entstehen durch subtile Widersprüche. Der so beflissen mit westlich aufgeklärtem Bildungsgut hantierende Erzähler stößt damit im indischen Fürstentum auf Desinteresse – und auf seine eigenen Verständnisgrenzen. Allem Erklären und Psychologisieren zum Trotz: Den König versteht er so wenig wie Manon, die Frau; so wenig, wie man die Blicke der heiligen Kühe begreift – hier fährt sich der Text selbst in die Parade oder der Autor dem Erzähler. Manon und der König sind ihm ein „offenes“ Geheimnis, undurchschaubar. Sie faszinieren durch ihre Oberfläche, ihre königlich-göttliche Haltung.
Der ursprüngliche Zweck der Reise verflüchtigt sich, ständig wird aufgeschoben und abgeschweift. Der Erzähler lässt sich treiben. Er beobachtet nur und bekommt doch das Entscheidende nicht mit, sodass die finale Katastrophe ihn kalt erwischt.
Dann also doch eine Abstrafung des Helden, per dramaturgische Ironie, poetische Grausamkeit? Ist nicht die einzige Selbstbeschreibung die, wie er im Turban eine lächerliche Figur abgibt? Zwitterhaft schief liegt dieser Roman zwischen den Traditionen. Und schillert aufreizend in seinem großen Irritationspotenzial. MAJA RETTIG
Martin Mosebach: „Das Beben“. Hanser, München 2005. 414 S., 24,90 €