: Reigen düsterer Schlager
APOKALYPSE NOW Mit Musik geht alles besser, auch der Untergang. Die „Himmelfahrt Radioshow“ übte schon mal live im Hebbel-Theater in Berlin und im FSK Radio Hamburg
VON RENÉ HAMANN
Es sollte langsam zu Ende sein. Die Uhren sind nicht stehen geblieben, die Flugzeuge sind in die Wolkenkratzer geflogen, der Klimawandel ist angekündigt und ausdebattiert. Die neuen Apokalyptiker hatten ihre Saison, das neue Fin de Siècle, das eigentlich schon in den Achtzigerjahren (Atomkrieg! Tschernobyl! Das Waldsterben! Aids!) einsetzte, könnte wirklich langsam mal zu Ende sein.
Es geht aber nicht. Es ist noch nicht vorbei.
Vielleicht muss sich alles einmal kräftig entladen, so wie weiland im Ersten Weltkrieg. Katharsis und Untergang, wenn nicht in den lange schwelenden Glaubenskriegen zwischen Orient und Okzident, dann in den prognostizierten Klimakriegen. Und dann ist aber wirklich gut.
Bis dahin muss man sich noch einiges anhören und ansehen, wie es scheint. Klimakonferenzen, Appelle zur Mäßigung, Aufforderungen zur Aufrüstung des Autos, mit der Apokalypse spielende Theaterstücke. Wie dieses, das am Wochenende Premiere in Berlin hatte, genauer im Hebbel am Ufer (HAU), und gleichzeitig im FSK Radio Hamburg übertragen wurde. Es hieß „The Himmelfahrt Radio Show“, inszeniert vom Kommando Himmelfahrt, Musik Jan Dvorak, Regie Thomas Fiedler. Dvorak und Fiedler haben schon mehrfach zusammengearbeitet, diesmal scharten sie ein großes Ensemble um sich, inklusive Chor, Band, Streichtrio, Posaunenchor, Backgroundsängerinnen, die Schauspielerin Maria Schrader und den etwas älteren Elektrochansonnier Friedrich Liechtenstein.
Gepflegter Wahnsinn
Was aber genau „The Himmelfahrt Radio Show“ darstellen sollte, ist nicht leicht zu sagen. Einerseits handelte es sich um den Versuch, die Apokalypse live im Radio zu übertragen und gleichzeitig als Musikdrama zu inszenieren. Ein bisschen wie Orson Welles und „Krieg der Welten“. Andererseits vielleicht wie Marthaler, nur nicht so wahnsinnig. Was man geboten bekam, waren lustige Kostüme, ein Wahnsinn, der eher gepflegt war, ein solide spielendes und singendes Ensemble und ein Stück, das so etwas war wie eine Revue, nur das der gemischte Chor keine Beine warf.
Für den Fluss sorgte ein musikalischer Reigen eher düster gestimmter Schlager mit apokalyptischen Texten. Dazu gab es etwas Rahmenhandlung, Apokalypse eben, mit Versatzstücken aus Klimadebatte, Unfähigkeit der Politik, Quantenphysik. Und mittendrin steht die seltsame Figur des exzentrischen Wissenschaftlers, der die Weltformel gefunden hat, eine Formel, mit der sich Raum und Zeit überwinden ließe. Das kann dann aber wegen der allgemeinen Unfähigkeit der Menschheit nicht klappen.
Am Ende gab es dann doch ein Happy End, warum auch immer, die Menschheit muss halt wieder auferstehen. Draußen wartete nach dem Schlussapplaus das Taxi zur Bar.
Klingt insgesamt etwas abstrus, war es auch. Einen richtigen Handlungsbogen hat das Kommando Himmelfahrt nicht hinbekommen. Die Stücklogik schien brüchig, der Sex fehlte, alles hätte geiler, dunkler, martialischer, pointierter, auch sprachmächtiger sein sollen. Die Musik war nicht ganz schlecht; gut wurde sie besonders in den Momenten, in denen der Chor für die tragischen wie futuristischen Momente Sorge trug; auch das Streichertrio, die drei Damen vorne, spielte gut. Insgesamt waren die Schlager, man muss die Musikstücke so nennen, allerdings immer schwer am Rande zur Unerträglichkeit – die Musik wirkte so wie falsch verstandene Hamburger Schule, wie die späten, düsteren Platten von Kante und Tocotronic eben nicht adäquat in Theater umgesetzt.
Musik kann uns retten
Die zugrunde liegende Idee war ja gut: Das live inszenierte Hörspiel, das dank der Präsenz der insgesamt guten Truppe auch optisch funktioniert, und durch natürliche Radioelemente gebrochen wurde wie das gute Radiogespräch, die Liveschaltung zum Geschehen. Vielleicht hätte die Ironie des Ganzen, so sie intendiert war, auch besser durchscheinen sollen: Die Grenze zwischen Ernst und Widerernst verlief einfach zu fließend.
Besonders merkbar in der Schlusskrise, dem eigentlichen Untergang, der natürlich wo stattfand? Richtig, zwischen Unter den Linden und Alexanderplatz. Berlin-Mitte. Die sehr deutsche Sehnsucht nach dem Untergang. Als ob es 1945 nicht bereits so geschehen wäre, irgendwie. Aber das muss nicht der Schlusssatz sein.
Musik kann uns retten, sollte der letzte Satz eigentlich lauten. Dem ist unbedingt beizupflichten. Es gibt, wie man hört, so eine neue Musikrichtung, die den Punkt treffen könnte. Drone Doom heißt die, eine Spielart des Doom Metal. Apokalyptischer geht es kaum.