: Der unerschütterliche Humanist
JAPAN Das Arsenal zeigt vor und während der Berlinale Filme des international wenig beachteten Regisseurs Keisuke Kinoshita
VON LUKAS FOERSTER
Eine schöne Tradition: Jahr für Jahr präsentiert die Forumssektion der Berlinale einen Werkausschnitt eines Regisseurs des klassischen japanischen Kinos. Diesmal ist Keisuke Kinoshita, ein Zeitgenosse Akira Kurosawas, an der Reihe. Und weil es in dessen Filmografie besonders viel zu entdecken gibt, erweitert das Kino Arsenal die fünf Festivalscreenings um sechs weitere Filme, die teilweise bereits vor Beginn der Berlinale, ab dem 2. Februar zu sehen sind.
Kinoshita war ein produktiver, vielseitiger und technisch äußerst versierter Studioregisseur, dem die formale Strenge und die dezenten dramaturgischen Bögen eines Yasujiro Ozu genauso wenig lagen wie der literarisch inspirierte Schwermut Kurosawas. Beides mag dazu beigetragen haben, dass der Regisseur zwar in der Heimat bei Kritik wie Publikum stets äußerst beliebt war und bis heute ist, international jedoch nie in ähnlicher Weise Aufmerksamkeit erregte wie seine leichter mit bestimmten Themen oder einer „Handschrift“ identifizierbaren Kollegen. Kinoshitas Filme sehen großartig aus, allerdings nicht auf eine altmeisterliche, sondern auf eine verspielte und auf den ersten Blick gelegentlich inkonsequente Art; sie sind getragen von einem unerschütterlichen Humanismus, der sich stets auf die Seite des von der Gesellschaft in die Zange genommenen Individuums stellt, haben aber auch einen Hang zum Melodramatischen und schämen sich nicht dafür. Kurz: populäres Kino im besten Sinne.
Vor allem seine Filme aus den fünfziger Jahren sind in seinem Heimatland zu Evergreens geworden. Das Musical „Carmen Comes Home“ etwa, Japans erster in Farbe gedrehter Spielfilm, erzählt eine bezaubernde Geschichte über eine Tänzerin, die sich in Tokio ins moderne Leben eingeübt hat und nun mit einer Freundin ihre Familie in einem konservativen Provinzdorf besucht. Die kulturellen Missverständnisse, die dabei entstehen, bleiben bis zum Schluss unaufgelöst, und doch hat man den Eindruck, dass die knallbunten Varieténummern, die die beiden Großstädterinnen zwischen Kuhwiesen und Traktoren aufführen, eine Form von Vermittlung darstellen, etwas auslösen – in der ländlichen Idylle, aber auch im Leben der Tänzerinnen. Der Nachfolgefilm „Carmen’s Pure Love“ folgt den beiden in die Hauptstadt.
Von besonderem Interesse sind einige bislang weitgehend unsichtbare Filme aus dem Frühwerk, die die Filmografie um ganz andere, weniger geschliffen wirkende Facetten erweitern. „Jubilation Street“ entstand 1944, in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs, und stellt dar, wie einige Familien auf die Herausforderungen der fortschreitenden Mobilisierung reagieren: ein Durchhaltefilm für die Heimatfront vorderhand, doch die patriotischen Drehbuchmanöver lassen sich leicht ablösen von einer existenziellen Verzweiflung, die fast jedes Bild durchdringt und sich implizit gegen ebenjene Opferideologie wendet, die Kinoshita eigentlich zu bewerben hat.
Die vielleicht größte Entdeckung ist „Woman“ (1948), ein kleiner, gerade einmal eine gute Stunde langer, komplett vergessener B-Film aus der unmittelbaren Nachkriegszeit und damit aus einem, das legt der Film zumindest nahe, nach der bedingungslosen Kapitulation und dem Zusammenbruch der alten Hierarchien noch weitgehend ungeordneten Land, in dem plötzlich wieder alles möglich scheint. Ehe man es sich versieht – und ohne dass man es hinterher so recht rekonstruieren kann – wird aus dem harmlosen und ziellosen Landausflug eines notorischen Gangsters mit seiner immer weniger willigen Geliebten ein entfesseltes, mit einer geheimnisvollen Form von Erotik aufgeladenes Psychodrama, in dem eine Strumpfhose bald keine Strumpfhose mehr ist. Nur: Was ist sie dann? Statt in seinem Gefühlshaushalt Ordnung zu schaffen, steuert der Film lieber auf eine grandiose, finale Feuerekstase zu. „Woman“ ist einer jener Filme, nach denen man ein klein wenig anders auf die Welt und die sonderbaren Wesen schaut, die sich um einen herum bewegen.
■ Keisuke Kinoshita: 2.–28. 2. im Arsenal. Programm unter: www.arsenal-berlin.de