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Archiv-Artikel

Klage gegen Standard & Poor’s

FEHLURTEILE Die USA verklagen die Ratingagentur – sie habe Mitschuld an der Finanzkrise. Erstmals gehen die Behörden damit gegen eine der großen Bewertungsagenturen vor

„Im Schnitt hat ein Analyst etwa zwei Ratings pro Tag erstellt“

BUCHAUTOR WERNER RÜGEMER

VON HERMANNUS PFEIFFER

HAMBURG taz | Die US-Regierung will noch in dieser Woche Klage gegen die Ratingagentur Standard & Poor’s (S & P) und deren Muttergesellschaft, den amerikanische Medienkonzern McGraw-Hill, erheben. Das Justizministerium beanstandet die Bewertung bestimmter Hypothekenpapiere aus den Jahren 2004 bis 2007. Experten geben der viel zu positiven Bewertung von zweit- und drittklassigen Wertpapieren durch Ratingagenturen die Mitschuld am Ausbruch der Banken- und Finanzkrise im Sommer 2007. S & P weist die Kritik zurück. Die New Yorker Agentur teilte in einer vierseitigen Erklärung mit, geschäftliche Überlegungen hätten die Ratings nicht beeinflusst.

Es ist das erste Mal, dass die US-Administration nach Ausbruch der Finanzkrise gegen eine der großen drei Ratingagenturen vorgeht. Zuvor hatten Justiz und Finanzaufsicht gegen eine Reihe von Großbanken, darunter auch europäische und deutsche, ermittelt. In vielen Fällen einigten sich Behörden und Banken auf Vergleiche und Schadenersatzzahlungen. Auch S & P soll der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Holder laut dem Wall Street Journal einen Deal angeboten haben. Die Offiziellen der Ratingagentur hätten das Angebot jedoch abgelehnt. Nun scheint ein langwieriger Prozess bevorzustehen.

Weltweit gibt es etwa 150 Noten-Agenturen, die Wertpapiere, Länder oder Industriekonzerne bewerten. Aufgrund dieser Noten kaufen Investoren Finanzprodukte oder dürfen Zentralbanken Wertpapiere als Sicherheiten akzeptieren oder nicht. Doch den Kuchen teilen sich weitgehend die angelsächsischen Oberbewerter Moody’s, Fitch und Standard & Poor’s.

Zweifel an der Qualität deren Urteile sind weit verbreitet. „Im Durchschnitt hat ein Analyst in einem Jahr 760 Ratings erstellt, also etwa zwei an jedem Tag“, so Rating-Kritiker und Buchautor Werner Rügemer. Gängige Praxis ist das jedoch nicht, auch wenn eine lange Liste von Skandalen und Fehlurteilen Rügemer recht zu geben scheint. Grundsätzlich zehrt an den Bewertungen ein Interessenkonflikt: Bezahlen lassen sich die Schiedsrichter, deren genaue Spielregeln nur ihnen bekannt sind, ausgerechnet von den Beurteilten, den Emittenten von Wertpapieren.

Nach Ausbruch der Finanzkrise waren die Agenturen massiv in die Kritik geraten, weil sie Ramschpapiere mit Bestnoten versehen hatten. Komplexe Finanzprodukte, erklärt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, gelten als Auslöser und Brandbeschleuniger der Finanzkrise – und Ratingagenturen hatten sie vielfach als zu sicher bewertet. Hellmeyer bewertet daher die Klageerhebung als „interessant und positiv“. Auch ein Ermittlungsausschuss des US-Kongresses sah in den großen Ratingagenturen „den Schlüssel für den finanziellen Kollaps“.

Die lange gänzlich unkontrollierte Branche steht auch in Europa unter Druck. Mittlerweile müssen sich in der EU tätige Ratingagenturen immerhin registrieren lassen und gewisse Informationspflichten erfüllen. An dem grundlegenden Interessenskonflikt – der Bewertete bezahlt selbst – hat das nichts geändert. Und auch der Aufbau einer unabhängigen europäischen Ratingagentur steckt noch in den Kinderschuhen.

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