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Archiv-Artikel

WAS BISHER GESCHAH (1) Würdigen, was gefällt

Dieter Kosslick hat bei der Zusammensetzung von Jury und Wettbewerb politische Aspekte den künstlerischen vorgezogen

Ganz ausgebuffte Filmfestival-Experten wollen einen guten Jahrgang ja schon an der Besetzung der Jury erkennen. Sollte die Jury also schon ein erstes Indiz über die Qualität des Wettbewerbs und die Auszeichnungen liefern, ist in diesem Jahr eine außergewöhnliche Berlinale zu erwarten.

Und das nicht nur, wie eine Journalistin auf der gestrigen Pressekonferenz noch einmal das Naheliegende zusammenfasste, weil das erste Mal mehr Frauen als Männer über die Vergabe der Bären entscheiden. Auch die Wahl der Entscheidungsträger ist exzellent. Die Zusammensetzung, sowohl der Jury als auch des Wettbewerbs, spricht dafür, dass Dieter Kosslick den Vorwurf gegenüber der Auswahl in den vergangenen Jahren, politische Aspekte künstlerischen überzuordnen, ernstgenommen hat.

Wong Kar-Wai gab in einer kurzen, emphatischen Ansprache das Motto der 63. Berlinale vor: Er und seine Kollegen – die iranische Künstlerin Shirin Neshat, Tim Robbins, die dänische Filmemacherin Susanne Bier, „Attenberg“-Regisseurin Athina Rachel Tsangari, Andreas Dresen und die Kamerafrau Ellen Kuras – seien nicht nach Berlin gekommen, um „über Filme zu urteilen, sondern Filme zu würdigen“.

Kar-Wai schätzt die Intimität des Festivals und diesen Spirit möchte er auch in den Diskussionen der Jury bewahren. „Wir wollen nur über das sprechen, was uns gefallen hat“, ergänzte Bier. Schließlich konzentriere sich gerade die Berlinale auf Filme, denen nur ein kurzes kommerzielles Leben im Kino beschert sei. Das waren salbungsvolle Worte ohne eine Spur von Prätention. Obwohl Wong Kar-Wai wie immer mit Sonnenbrille auf dem Podium saß.

Wie ernst diese Ankündigungen zu nehmen sind, dürfte sich an Jafar Panahis Wettbewerbsbeitrag „Pardé“ zeigen, der in diesem Jahr Kosslicks großer Coup ist. Ob der Iraner persönlich nach Berlin kommen darf, ist noch nicht sicher, aber Shirin Neshat äußerte vorsichtshalber schon mal den Wunsch, Panahis Film an seinen künstlerischen Werten zu messen, nicht an seiner politischen Brisanz.

Das Künstlerische und das Politische werden in dieser Jury – mit einer iranischen Frauenrechtlerin, einer griechischen Regisseurin und einem amerikanischen Linksliberalen – sicherlich zu der einen oder anderen Diskussion Anlass geben. Mit Neshat und Tsangari sind zwei Filmemacherinnen mit sehr gegensätzlichen künstlerischen Ansätzen vertreten. Tsangari sprach davon, die soziale Idee des Kinos gegen die harte Pragmatik eines politischen Kinos in Schutz zu nehmen. Klingt so, als könnten die internen Diskussionen der Jury ähnlich interessant werden wie der Wettbewerb selbst.

ANDREAS BUSCHE