: Hau weg die Geschichte
Berlin trennt sich von seinem ungeliebten Zentrum: Der Palast der Republik soll abgerissen werden, auch wenn die jahrelange Debatte keinen einzigen vernünftigen Grund dafür abgeworfen hat
von GIUSEPPE PITRONACI
Die DDR? Hat es nie gegeben. Moderne Architektur? Hässlich. Geld? Egal. Das ist sie, die Diskussion um den Palast der Republik. Jedenfalls wenn man denen folgt, die den Palast im Zentrum Berlins so schnell wie möglich abreißen wollen. Das ist 2003 die Mehrheit im Bundestag gewesen, die den Abriss beschloss. Auch eine Alternative hatte man parat: An der Stelle des Palastes wollten die meisten Abgeordneten ein Gebäude haben, das von außen aussieht wie das alte Berliner Schloss. Dieses war im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und 1950 gesprengt worden. Obwohl eine (wenn auch aufwändige) Wiederherstellung möglich gewesen wäre.
Auf der Brache im Zentrum Ostberlins entstand in den 70ern der Palast der Republik. Ein Gebäude, das eine alte Idee aufnahm, die schon Stararchitekten des 19. Jahrhunderts hatten: ein Volkshaus zum Vergnügen und zur Erbauung der Bürger.
Gigantische Stadthalle
Im Palast der Republik konnten die Bürger tanzen, kegeln, essen, ins Theater gehen oder Ausstellungen sehen. Gratis oder für wenig Geld. Im selben Gebäude tagte auch die Volkskammer, das Parlament der DDR, um die Beschlüsse der Regierung abzunicken. Die erste demokratisch gewählte Volkskammer beschloss 1990 hier auch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.
Das, was von dem Gebäude, seiner Geschichte und seinen Widersprüchen noch steht, soll ab Januar Stück für Stück verschwinden: ein gigantisches Stahl- und Betongerüst mit Glasfassade. Das blieb erhalten, nachdem man alle mit Asbest vermischten Elemente entfernt hatte. Dieser Rohbau zeigt auch heute noch, dass der Palast architektonisch so sehr auf der Höhe der Zeit war, dass man ihn mit dem Centre Pompidou in Paris verglich.
Centre Pompidou de Berlin
Den finanziellen Wert dieses Rohbaus schätzt das seriöse Architekturbüro Anderhalten in Berlin auf 110 Millionen Euro. Vom historischen Wert nicht zu sprechen. Firmen unterbieten sich jetzt gegenseitig mit den Abrisskosten, um den Auftrag für den Abriss zu erhalten. Das billigste Angebot: 6 Millionen Euro. Das Büro Anderhalten hält es hingegen für realistisch, dass ein Abriss 60 Millionen Euro kosten würde. Die Gefahr besteht, dass eine Billigfirma mit dem Abriss beginnt und ihn dann mangels Geld unterbricht. Nichts Ungewöhnliches im Baugewerbe.
Will der Bund, dem das Gelände gehört, auch noch das Disneyland-Schloss bauen, müsste er geschätzte 1,2 Milliarden Euro zusammenkratzen. Kosten, die 2002 nicht klar waren, als der Bundestag für das Fassadenschloss stimmte. Auf der Freifläche, wo der Palast jetzt steht, soll deshalb erst mal eine Wiese entstehen. Auf unbestimmte Zeit. Selbst Gegner des Palastes fordern daher, ihn erst mal stehen zu lassen. Solange nicht klar ist, wann man überhaupt mit einem anderen Gebäude beginnen kann.
Seit der Asbestsanierung ist der Palast voller Leben. Ausstellungen, Theaterstücke, Kunstaktionen machten aus dem Rohbau den ungewöhnlichsten Kulturort Berlins. Selbst ein Wirtschaftskongress fand hier schon statt. Das Architekturbüro Anderhalten hat einen Plan vorgelegt, den Rohbau für etwa 60 Millionen Euro umzubauen und instand zu setzen. Mit einfachen Mitteln, aber komplettem Nutzen. Mit 106.000 Quadratmetern hätte er rund doppelt so viel Fläche wie das alte Schloss.
Aber die Schlossbefürworter wollen den Palast weghaben. Sollte das Schloss jemals gebaut werden, dann wahrscheinlich nur mit sehr viel Geld von Privatinvestoren. Dementsprechend ist auch ein Luxushotel und Kongresszentrum hinter der Schlossfassade geplant.
Aber immerhin hat man dann Geschichte rekonstruiert, sagen die Schlossfreunde. Und verweisen auf die Dresdner Frauenkirche. Dabei übersehen sie einen wesentlichen Unterschied. In Dresden lag an Ort und Stelle noch die Ruine. In Berlin steht zwischen dem Schloss und seiner möglichen Rekonstruktion ein Stück Geschichte. Die Geschichte eines deutschen Staates. Reißt man den Rohbau des Palastes ab, wiederholt man den Fehler, den man mit dem Schlossabriss gemacht hat: Geschichte aus dem Stadtbild zu radieren. Sollte irgendwann eine Schlossfassade dort stehen, dann hat man dort nicht nur die Geschichte der DDR aus dem Stadtbild gelöscht, sondern auch das, was zur Gründung von Bundesrepublik und DDR geführt hat: den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg.