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Archiv-Artikel

Reich an Schönheit und Seltsamkeit

EXPERIMENTELL Regisseur Shane Carruth erschafft mit seinem sonderbar verworrenen Film „Upstream Color“ (Panorama) eine von Schweinen und Menschen bevölkerte Supermaschine. Nur Zuschauer braucht der Film eigentlich nicht

Wenn einer Regie und Buch, Produktion, Kamera, Musik, Sound-Design, Schnitt und Vertrieb selbst macht und dann noch eine der beiden Hauptrollen im eigenen Film übernimmt, was sagt man da? Kontrollfreak? Shane Carruth jedenfalls hat es schon wieder getan. In seinem Debüt „Primer“ (2004) war seine multiple Präsenz vor und hinter der Kamera noch dadurch begründbar, dass er ein Nobody fast ohne Budget war, ein gelernter Softwareingenieur, der sich ausgerechnet an einer Zeitreisegeschichte versuchte. Deren Details durchdrang zwar niemand wirklich. Indem sie aber in Zeit, Raum und Personal verunsicherte, zog sie einem den Boden unter den Füßen weg.

„Primer“ war – vom Sujet her betrachtet mehr als von der Machart – für Freunde der Schublade vielleicht doch Science Fiction. In „Upstream Color“ ist nun jede Genrezuordnung vollends unmöglich. Wollte man die haarsträubende Geschichte rekonstruieren, die der Film mehr suggeriert als erzählt, kämen darin als Ausgangspunkt eine Seelenübertragung vom Schwein auf den Menschen vor, außerdem Maden und Pillen, Krebs und ein Paar, das sich über das ähnliche Schicksal und vor allem die gemeinsame Lektüre von Henry David Thoreaus Alternativlebensbibel „Walden“ findet. Sie sind sich selbst durch die Seelenübertragung entfremdet, streiten sich in zerhackten eher Mono- als Dialogen, fahren mit ihrem Volvo aufs Land. Ihr Name ist Kris (Amy Seimetz), sein Name ist Jeff (Shane Carruth). Und dann ist da der Mann – namenlos –, der die Schweine manipuliert oder tötet und dabei auch noch mit Hilfe eines recht kleinen Keyboards Sphärenmusik komponiert. Ihn wird Kris am Ende erschießen, in einem leeren Loft und/oder auf der Farm, das ist nicht zu entscheiden: Räume und Zeiten sind in diesem Film sehr fluide.

Richtung Transzendenz

Der Plot ist in „Upstream Color“ nicht Zentrum, er schwimmt und rutscht mit im aufwärts steigenden Farbstrom. Es bleibt einem, wo Halt und Anhalt entgleiten, kaum mehr als das Aussteigen oder das mehr oder minder willige Mitrutschen. Man kann ein wenig Mustererkennung mit wiederkehrenden Motiven betreiben, die match cuts in Sound und Bild genießen, den ausgezirkelten Schnitt, die schwelgerische Musik, die manchmal ganz schön Terrence-Malick-mäßig in Richtung Transzendenz (mit Aszendent Schwein) zielenden Einstellungen, überhaupt die suggestive Kameraarbeit: All das ist superslick und an Schönheit wie Seltsamkeit reich.

Am Ende Wange an Wange Kris und das Ferkel. Der komponierende Menschen-und-Schweine-Experimentator ist tot. Das Haus am Walden Pond scheint gebaut. Zweisamkeit, Land und Glück. Der Film folgt einer kaum anders als ideologisch zu nehmenden Bewegung raus aus der Stadt. Mehr als eine Frage bleibt allerdings offen. Vielleicht am drängendsten die am Anfang erwähnte. Wie verhält sich das bei diesem Film mit Kontrollzwang und Freiheit?

Den Eindruck, dass hier einer ganz genau weiß, was er tut, dass jedes Bild, jeder Ton, jeder Schnitt, jedes Wort in einem großen Schaltplan notiert und wie vorgesehen ausgeführt ist, dieser Eindruck ist stark. Ja, man weiß gar nicht, was einen mehr überwältigt: die Klänge und Bilder oder der Wunsch nach Überwältigung selbst.

Das Irritierende ist nur, dass „Upstream Color“ zwar die Gestalt eines modernistischen, den Zuschauer herausfordernden Kunstwerks besitzt. Die Option, sich in diese Welt lesend, atmend und zweifelnd hineinzubegeben, lässt einem Carruth aber nicht. Eher agiert er als Schöpfergott einer beeindruckenden Supermaschine, in der jedes Detail sich selbst genügt. Zuschauer braucht ein solcher Film bei Licht betrachtet allerdings nicht.

EKKEHARD KNÖRER

■ Heute, CineStar, 20.15 Uhr; 17. 2., Cubix, 20.15 Uhr