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Archiv-Artikel

Bloß vernarbte Kulissen

Tollkühne Männer in fliegenden Kisten: Der Sat.1-Film „Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei“ ist hübsch anzusehen, lässt einen aber trotz aufwändiger Inszenierung kalt (So. und Mo., 20.15 Uhr)

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Wenn die Gegenwart verschwindet, zieht die Vergangenheit ein. Uniformen werden aus dem Aliiertenmuseum geliehen, die Propellermaschinen hinaus aufs Rollfeld geschoben und mit Schmutz und Öl auf schwer beschäftigt getrimmt. Seit kurzem erst gehört Tempelhof nicht mehr zu den offiziellen Berliner Verkehrsflughäfen. Prompt wird in seinen Mauern ein wahrlich historisches Ereignis aufgeführt. Das – glauben wir es Sat.1 fürs Erste – Event-Movie „Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei“ wurde dort gedreht, wo die Kohlen und der Käse 1948 tatsächlich vom Himmel fielen. Einzig die Wilmersdorfer Nachkriegsstraßenzüge hat Regisseur Dror Zahavi in Breslau, dem heutigen Wroclaw, gefunden. Die dortigen Anwohner, so geht die Legende, hätten sich mit lautem Techno und Blumentöpfen gegen den Dreh gewehrt. Aber muss es nicht auch weh tun, so ein Hinabsteigen in die Geschichte?

Muss es vielleicht schon. Tut es aber nicht. Da können die Wunden noch so echt geschminkt und die Kollisionen knapp über dem Berliner Häusermeer noch so mühevoll animiert sein. Da kann Katharina Wackernackel, eines dieser New Faces des neuen fiktionalen Geschichtsfernsehens, noch so sehr unter Tränen vibrieren, weil ihr Freund, der schneidige Luftbrückenflieger, seinen Einsatz für die freie Welt mit dem Leben bezahlt. Von all dem bleibt man seltsam unberührt. Und das, obwohl bekannt ist, dass sich große Budgets, große Geschichte und große Gefühle prima zu Fernsehereignissen zusammenbacken lassen, eben so wie „Der Tunnel“ und „Das Wunder von Lengede“.

Zweimal anderthalb Stunden dauert die Sat.1-„Luftbrücke“, und sie erzählt nicht nur, wie Berlin aus der Luft mit Lebensnotwendigem versorgt wurde, sondern auch zwei Liebesgeschichten. In der einen entschwebt Wackernagel als Friseuse Leni der Freund, in einer zweiten, zentraleren, muss Bettina Zimmermann sich als junge Mutter zwischen zwei Männern entscheiden. Der eine, Heino Ferch als alerter US-General, ist ein zackiger Macher, mit stählernen Nackenmuskeln. Der andere, Ulrich Noethen, ist ein gebrochener Mediziner, der zu viel Leid gesehen hat, und zugleich der totgeglaubte Vater ihres achtjährigen Sohnes.

Doch diesmal bleibt das Wunder aus, es wollen nicht einmal ein paar empathische Tränen kullern. Nicht wenn Kielberg, der Arzt, nach vier ungewissen Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimschleicht. Nicht wenn Turner, der General, seine Flieger sicher durch die Nebelbänke bringt. Nicht einmal, wenn Mütter sterben, in einem Krankenhaus in Neukölln.

Die Luftbrücke, so heißt es, war eine logistische Meisterleistung. Der Film strengt sich an, das nachzumachen: Von den Häuserzeilen wurden aufwändig alle Indizien der modernen Welt geklopft. Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten wurden am Rechner in die Berliner Luft multipliziert. Und all die Gewänder und Uniformen machen aus dem Zweiteiler einen konsequenten Kostümfilm. Filmemachen als Handwerk, High-Tech und Organisationsaufwand.

Dabei ist der Film nicht immer schlüssig. Wäre der Flugverkehr in den 321 Tagen der Blockade wirklich so dicht gewesen, ganz Berlin hätte wirtschaftswundersatt werden müssen. Davon, dass die DC-4-Maschinen auf dem Werbeplakat zum Film aus dem Ostsektor kommend über das Brandenburger Tor einschweben, gar nicht zu reden. Offenbar hat sich auch kein Air-Force-Flieger ohne seine Ray-Ban in den dichten Nebel eines Nachkriegswinters gewagt. Was kann sie doch sexy und charmant sein, die projizierte Vergangenheit.

Das eigentliche Dilemma der „Luftbrücke“ – produziert von Nico Hofmanns Firma teamworx, die bald auch die Hamburger Sturmflut und Dresdener Bombennächte ins Fernsehen bringt – ist jedoch, dass der Film den Alltag ausblendet, es fehlen alltägliche Helden. Zwischen der Makroebene Weltpolitik (Hansjürgen Hürrig als Josef Stalin) und der Mikroebene der fiktionalen Liebesleiden bleiben Berlin und seine Menschen nur eine vernarbte Kulisse. Und vielleicht ist die naheliegendste Metapher an dieser Stelle gar nicht einmal schlecht gewählt: „Der Tunnel“ und das „Wunder von Lengende“ spielten tief im Erdreich, unter der Berliner Mauer beziehungsweise unter Tage. „Die Luftbrücke“ ist ein Film von oben. Und da darf sich eine ganz normale Berlinerin höchstens in einen US-General verlieben.