: „Er war ein faszinierender Anwalt“
GEDENKEN Vor 80 Jahren verhafteten die Nazis den linken „Arbeiter-Anwalt“ Hans Litten, er starb 1938 in Dachau. Der Geschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Cord Brügmann, erklärt, warum Litten Ehre gebührt
■ wurde 1970 geboren, er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Der gebürtige Mindener studierte Jura in München und Geschichte in Berlin. Nach dem Abschluss entschied er sich für eine Promotion im Fach Geschichte zum Umgang der Zivilgerichte in der Weimarer Republik mit antisemitischen Boykotts.
INTERVIEW JÖRN WEGNER
taz: Herr Brügmann, der DAV lädt an diesem Mittwoch zu einer Gedenkveranstaltung für Hans Litten. Das ist eher ungewöhnlich: Ein Kommunist wird ja heute in Deutschland nicht mehr oft geehrt.
Cord Brügmann: Es gibt einen ganz naheliegenden Grund: Das Büro des DAV befindet sich seit dem Jahr 2000 in der Littenstraße. Nach dem Umzug haben wir uns mit Hans Litten beschäftigt und festgestellt, dass er ein faszinierender Anwalt war. Von daher ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, an jemanden zu erinnern, der sich für den Rechtsstaat eingesetzt hat, unabhängig davon, woher er kam. Und wenn man sich anschaut, wie Litten Prozesse geführt hat, war er immer zuerst als Rechtsanwalt im Interesse seiner Mandanten tätig.
Es gab also keine ideologisch motivierten Gegenstimmen.
Im Gegenteil: Die Beschäftigung mit Personen wie Hans Litten hat beispielsweise bei örtlichen Anwaltsvereinen Interesse an der Beschäftigung mit der Lokalgeschichte geweckt.
Hans Litten als parteiischer Jurist – widerspricht das nicht dem Grundethos des Anwalts, ein neutraler Bewahrer des Rechtsstaats zu sein?
Das ist eine spannende Frage. Anwälte müssen parteiisch sein, und zwar für ihre Mandanten. Das ist ihre Aufgabe in der Rechtspflege. Anders als ein Richter, der ein gerechtes Urteil zu sprechen hat. Es gibt Rechtsanwälte, die tatsächlich als Strafverteidiger jeden vertreten würden. Hans Litten dagegen hat sich auf Opfer des aufkommenden Nationalsozialismus konzentriert. Aber das widerspricht nicht dem anwaltlichen Ethos. Litten hat mit der Parteilichkeit für seine Mandanten gezeigt, dass er ein hervorragender Anwalt war. Er hat auch nie seine ideologischen Überzeugungen über die Interessen seiner Mandanten gestellt.
Im Edenpalast-Prozess von 1931, bei dem es um den Überfall von Nazis auf ein von Arbeitern besuchtes Lokal ging, brachte Litten Adolf Hitler im Zeugenstand zur Weißglut und entlarvte die NSDAP als kriminelle Organisation. Inwieweit muss auch heute ein Anwalt politisch denken und vielleicht auch handeln?
Wie gesagt, ich glaube, ein Anwalt darf politisch sein, aber wenn es hart auf hart kommt, muss er sein politisches Handeln den Interessen des Mandanten unterordnen. Ich glaube allerdings, dass die Zeit der politischen Ideologie in der Anwaltschaft vorbei ist. Es gab in den 70er Jahren eine Zeit, in der sich auch der DAV nicht mit Ruhm bekleckert hat – indem er sich etwa von kritischen Strafverteidigern distanzierte, die in den Terroristenprozessen ihr Mandat vielleicht zu sehr politisch gesehen haben. Diesen Verteidigern hat er keine Heimat mehr geboten, was ein Fehler war.
Es gab damals Gegengründungen wie den Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV). Der schrieb in seiner Gründungserklärung 1979, dass sich der DAV durch „fehlende oder halbherzige“ Politik zur Sicherung der Bürgerrechte auszeichnete. Ist diese Spaltung heute überwunden?
Ich denke schon. Heute arbeiten wir auf vielen Feldern mit dem RAV zusammen. Im Bereich der Asyl-, Ausländer- und Menschenrechtspolitik zum Beispiel ist die Kooperation sehr eng.
Schattenseiten gab es in der Geschichte des DAV aber schon früher. Zum Beispiel wurde der Verein ohne besonderen Widerstand „gleichgeschaltet“. Neigten Anwälte vielleicht besonders stark zum Nationalsozialismus? Es waren ja meist Menschen aus dem konservativen Bürgertum.
Die Geschichte von 1933 war für den DAV kein Ruhmesblatt, weil er im vorauseilenden Gehorsam agierte und etwa seinen jüdischen Vorstandsmitgliedern den Rücktritt nahelegte. Ich glaube aber nicht, dass die Anwälte so konservativ wie etwa die Richterschaft waren. In der Anwaltschaft hat sich auch das kritische Bürgertum gefunden. Aber dass die Juristenausbildung seit dem Kaiserreich konservative, staatstragende Bürger produziert hat, die später der Republik fernstanden, steht völlig außer Zweifel.
Ist der starke Bezug auf Litten vielleicht auch eine Art Wiedergutmachung?
Gute Frage. Mit Sicherheit hat der DAV viel zu spät angefangen mit dem, was man „Aufarbeitung“ nennt. Eigentlich haben wir erst im Jahr 2000 begonnen, uns an die Opfer aus unseren Reihen zu erinnern. Ich bin nicht sicher, ob man das als Wiedergutmachung bezeichnen soll. Ich glaube aber, dass wir gerade in unserer nachideologischen Zeit auch Vorbilder brauchen. Und Hans Litten taugt dafür. Gerade weil er nicht so eine strahlende, typische Widerstandsfigur war, sondern eine Person, an der man sich reiben kann.
Sie wurden im Fach Geschichte promoviert. Wie kamen Sie dann eigentlich auf Jura?
Das war umgekehrt. Ich habe als Student in der KZ-Gedenkstätte Dachau gearbeitet und lernte dort auch Hans Litten und seine Geschichte kennen. Als Jura-Student wollte ich mich nach dem Examen mit einem rechtsgeschichtlichen Thema beschäftigen. Und um das historische Handwerkszeug zu lernen, habe ich nicht in Jura, sondern in Geschichte promoviert.
■ Am frühen Morgen des 28. Februar 1933 – es war die Nacht des Reichstagsbrandes – wurde der Rechtsanwalt Hans Litten in „Schutzhaft“ genommen. Nach mehreren Jahren Haft und Folter wählte Litten im Februar 1938 im KZ Dachau den Freitod.
■ Litten wurde 1903 in Halle/Saale geboren. Seine Mutter entstammte einer schwäbischen Pastoren- und Professorenfamilie, sein Vater war der erzkonservative Jurist Friedrich Litten – später Rektor der Universität Königsberg.
■ Als linker Anwalt wurde Hans Litten schon durch einen seiner ersten Prozesse bekannt: Er vertrat Arbeiter, die im März 1921 wegen Widerstandes gegen den vom preußischen Innenminister Carl Severing (SPD) befohlenen Polizeieinmarsch in die mitteldeutschen Industrieorte zu Zuchthausstrafen verurteilt worden waren.
■ Nach dem „Blutmai“ 1929 verteidigte er Teilnehmer der aufgelösten Erste-Mai-Kundgebung in Berlin, bei der über 30 Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Litten übernahm auch Mandate für die Rote Hilfe, eine kommunistische Selbsthilfeorganisation, die unter anderem politisch angeklagten Arbeitern Rechtsschutz gewährte.
■ Bestattet ist Litten auf dem Friedhof Pankow III. 1951 wurde die Neue Friedrichstraße am Alexanderplatz in Littenstraße umbenannt. Hier ist einer von drei Standorten des Landgerichts. TAZ
Haben Sie aufgrund Ihres persönlichen Interesses die Ehrung für Hans Litten vorangetrieben oder kam das aus der Mitte des DAV?
Ich will mir das nicht anheften. Gute Ideen haben viele Väter und Mütter. Jedenfalls waren im Verband keine Widerstände zu überwinden. Als wir vor einigen Jahren feststellten, dass wir 2013 den 75. Todestag Littens begehen können und dass sich die Machtübertragung an die Nationalsozialisten zum 80. Mal jährt, war uns klar, dass es eine Gedenkveranstaltung geben würde.
Und was folgt für den DAV aus der Beschäftigung mit der Person Litten?
Nur ein Beispiel: Vor rund zehn Jahren haben wir die Stiftung Contra Rechtsextremismus eingerichtet. Die unterstützt Anwälte, die Opfer von rechtsextremer Gewalt vertreten. Diejenigen, die die Stiftung gründeten, taten das nicht nur angesichts der damaligen rechtsextremistischen Morde, sondern weil sie aufgrund ihrer Beschäftigung mit der Vergangenheit, auch angesichts der schwierigen Verbandsgeschichte, eine gute Tradition aufbauen oder weiterführenwollten. Die Tatsache, dass unsere Stiftung zehn Jahre nach ihrer Gründung mehr Gelder denn je ausschütten muss, zeigt, dass sie dringend notwendig ist.
■ Gedenkveranstaltung des Deutschen Anwaltvereins heute um 19 Uhr in der Mendelssohn-Remise, Jägerstraße 51