: Gespannte Erwartung
IRAN Begegnung mit einer Hochkultur aus vorislamischer Zeit. Eine Reise in eine Gesellschaft auf Identitätssuche
■ Christiane Hoffmann: „Hinter den Schleiern Irans“. Dumont 2009, 14,95 Euro. Der weibliche Blick, Ost und West
■ Jason Elliot: „Persien“. TB Piper 2009, 12,95 Euro. Der britische Reporter und Reiseschriftsteller ist in den Jahren 2002 bis 2005 durch den Iran gereist. Er schildert seine Begegnungen mit Menschen von Kurdistan bis Golestan, seine Streiterein mit Geldwechslern und Taxifahrern. Auch kulturhistorisch Interessierte kommen nicht zu kurz, Vergangenheit und Gegenwart sind stets präsent. Elliots Augenmerk gilt der Achitektur.
■ Andrea Claudia Hoffmann: „Der Iran“. Diederichs 2009, 19,95 Euro. Die Farsi-sprachige Journalistin hat eine flüssig geschriebene Darstellung der Geschichte des Landes von den altpersischen Reichen bis zur Islamischen Republik vorgelegt. Es zeichnet ihr Buch aus, dass sie Vergangenes auf seine Bedeutung für den heutigen Iran bezieht.
■ Mahmud Doulatabadi: „Der Colonel“. Unionsverlag 2009, 19,90 Euro. Der bedeutendste zeitgenössische iranische Schriftsteller schildert den Zerfall einer Familie während der Zeit der Revolution. Sein Werk ist keine gefällige Familiensaga, sondern ein anspruchsvolles, düsteres und fesselndes, kraftvoll geschriebenes Buch. (b.s.)
VON NORA NADA
Die intensive Mittagssonne wirft kurze Schatten. Unter dem hohen Himmel entfaltet sich die altpersische Kultur in der heutigen Provinz Fars wie ein Panorama in Pastell. Die „Stadt der Perser“, im Jahr 330 von Alexander dem Großen zerstört, war das Verwaltungszentrum eines Großreichs, das sich vom Indus-Tal im Osten bis nach Thrakien im Westen erstreckte. Darius I. begann um 515 v. u. Z. mit dem Bau der Stadt, die nach acht Jahrzehnten fertiggestellt wurde. Von den längst abgeholzten Hängen des Sargosgebirges, an denen kein Grün auszumachen ist, über den steinigen Boden mit staubigem, niedrigem Gestrüpp bis zu den riesigen Steinquadern und Säulen von Persepolis, den Ruinen der weitläufigen Palastanlage der Achämeniden-Herrscher, dominiert lichter Ocker bis hin zu hellen oder bräunlichen Siena-Farbtönen. Am Wegrad blüht einsam eine zart blauviolette Herbstzeitlose.
Nur wenige Kilometer von Persepolis entfernt bestaunen Touristen Felsbilder und Grabreliefs. Auf einem Felsbild an der schroffen Bergwand begegnen sich zwei Reiter hoch zu Ross. Der eine, Ardeschir I., empfängt aus der Hand des anderen, des Gottes der Zoroastrier, Ahura Mazda, den Ring, der für den Kreis des Lebens steht und mit den Bändern der Königswürde geschmückt ist. Unter den Hufen der Pferde liegen die besiegten Feinde: unter dem des Gottes der Herr des Bösen, Ahriman, unter dem des Königs der letzte Partherherrscher. Das Grabrelief zeigt ein Bündnis zwischen Gott und Herrscher und steht mit anderen Worten für das Verhältnis zwischen Religion und Staat im 3.Jahrhundert. Es ist auch ein passendes Sinnbild für eine Reise durch den heutigen Iran.
Die Hochkultur vor dem Islam
„Wenn ich iranische Präsidentin wäre, würde ich als Erstes Persepolis restaurieren“, sagt die Studentin Mariam*, die mit Freundinnen hier spazieren geht. Das Tuch sitzt locker auf ihrem Hinterkopf, zu den engen schwarzen Jeans trägt sie einen taillierten dunkelvioletten Mantel aus einem leicht glitzernden Stoff, der ihr bis auf die Mitte der Oberschenkel reicht und hier „Manteau“ genannt wird. Mariam hat bereits einen Bachelor in Englisch und bereitet sich gerade auf die schwierige Aufnahmeprüfung eines Zweitstudiums in Physik vor. Dafür muss sie nicht nur naturwissenschaftliche Fächer büffeln, sondern auch islamische Theologie. Ein Pflichtfach für alle, das sie schon während ihres ersten Studiums gelangweilt hat und in dem es ein Abschlusszeugnis gibt, das die Studierenden als eine „gute Frau“ oder einen „guten Mann“ ausweist. Bei dem Gespräch bleibt das Notizbuch der Berichterstatterin in der Tasche, wie auch bei allen anderen Gesprächen mit Ausnahme derer mit Funktionsträgern.
Persepolis, das ist leicht zu erraten, steht für die junge Frau Mitte zwanzig, die zurzeit der Revolution von 1979 noch nicht geboren war, für die Hochkultur ihres Landes in der vorislamischen Zeit. Die islamische Welt, deren Leitung nach Revolutionsführer Ajatollah Ruollah Chomeini auch dessen Nachfolger Ali Chamenei beansprucht, ist für sie kein Bezugspunkt. „Wir sind hier im Iran“, sagt sie und fügt hinzu: „Was ist unsere Identität?“ Es ist also nicht nur eine Flucht in die Vergangenheit, die sie umtreibt, sondern die Suche nach einer Verortung ihres Landes und einer Selbstdefinition, die sich vom herrschenden Regime absetzt. Mariam ist es leid: die Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheiten und die politische Kontrolle an den Universitäten. Sie will weg, „nach Europa, Amerika, Kanada, Australien – irgendwohin“. Die Studentin glaubt nicht an eine Abkehr vom Islam. Solche Annahmen hält sie für „reines Wunschdenken“.
Im heutigen Iran ist es ein kleines privates Zeichen, Persepolis zu besuchen, vor allem während des vorislamischen Neujahrsfests Nourus, das am 21. März gefeiert wird. Das gilt auch für das Grab des Nationaldichters Hafes in Schiras. Junge Leute legen zwei Finger an den erhöhten Grabstein aus farbigem Marmor in einem offenen Pavillon und murmeln leise vor sich hin, so als beteten sie zu einem Heiligen. Hafes, der im 14. Jahrhundert lebte, war in der Begriffswelt der islamischen Mystik bewandert. Seine Gedichte sprechen von der Suche nach Gottesnähe im Genuss, in der Lust und beim Wein in Zeiten des Alkoholverbots, nehmen aber auch Machthaber oder Geistliche aufs Korn. „Die Türen der Weinhäuser haben sie geschlossen, lasst sie bitte nicht die Tür der Heuchelei öffnen“, lautet einer seiner Verse.
Die Mullahs wollten alles Unislamische ausmerzen
Es überrascht nicht, dass die Bücher von Hafes nach der Revolution zunächst nicht neu aufgelegt werden durften. Doch auf die Dauer war das ebenso wenig durchzuhalten, wie sich das Ansinnen Chomeinis durchsetzen konnte, das Nourus-Fest abzuschaffen. Auch sein damaliger Mitstreiter, Ajatollah Sadegh Chalchali, scheiterte an den Protesten der Schiraser mit seiner Forderung, die Ruinen von Persepolis sprengen zu lassen.
So wie das Schah-Regime sich auf die altpersischen Könige berief, wollte das Chomeini-Regime in seinen frühen Tagen am liebsten alles Unislamische ausmerzen und anstelle von Nourus nur noch den Geburtstag des Propheten Mohammed feiern. Doch das hatte seinen Preis.
Im heutigen Iran gibt es Menschen – und nicht nur solche mit Hochschulabschluss –, deren Ablehnung „der Mullahs“ so stark ausgeprägt ist, dass sie nicht mehr unterscheiden wollen, ob ein Geistlicher aufseiten der Opposition steht oder Anhänger des Regimes ist.
Der Trend, Kinder nicht mehr Mohammed oder Fatima zu nennen, sondern ihnen altpersische Namen wie Darius oder Wanja zu geben, scheint sich zu verstärken. Diesen gegensätzlichen Bezug auf die altpersische oder islamische Geschichte möchte der Restaurator Maziar Kazemi von der Pasardagae Resaerch Foundation überwinden. „Iran hat den Islam angenommen und mit alten Religionen gemischt, anders, als Mohammed es gesagt hat. Alt und Neu haben fusioniert. Das braucht viel Zeit, eine lange Entwicklung und die Bildung der Bevölkerung, damit sie die Bedeutung davon versteht“, sagt der Restaurator.
Hass auf „die Mullahs“ oder Identitätsfragen fechten die Politikstudentin Massudeh* nicht an. Sie sitzt mit ihrer Schwester auf einer Bank auf dem großen Platz im Zentrum von Isfahan, einer alten Königsstadt zwischen Teheran und Schiras. Hier befindet sich die weltberühmte Imam-Moschee. Massudehs weit geschnittener grauer Mantel, der bis über die halbe Wade reicht, und das Kopftuch, das gerade mal den Haaransatz freilässt, weisen sie als eine gläubige junge Frau aus. Sie möchte, dass die Demokratiedefizite, die mit der Revolution einhergingen, korrigiert werden, wie es der reformorientierte Präsident Mohammed Chatami (1997–2005) versuchte.
Was bedeuten ihr heute die Ereignisse von 1979, die sie nicht erlebt hat? Sie sieht einen durchaus positiven Prozess: „Die Bewegung hat die Generationen wieder zusammengeführt,“ sagt sie. „Unsere Eltern haben gegen das Schah-Regime demonstriert, und wir demonstrieren heute gegen das jetzige Regime.“ In den Familien sei nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 6. Juni viel darüber diskutiert worden, wie man sich dazu verhalten und ob man auf die Straße gehen soll. Viele Familien hätten sogar gemeinsam demonstriert, sagt Massudeh. Die Eltern seien machmal auch deswegen mitgegangen, sagt sie, um auf ihre Kinder aufzupassen.
■ Unsere „taz-Reisen in die Zivilgesellschaft“ führen auch in den Iran. Wir bereisen die alten Königsstädte Isfahan und Schiras, Persepolis und die von Lehmbauten und Kuppeldächern geprägte Stadt Jasd am Rande der Wüste, um nur die wichtigsten Stationen zu nennen. Wir besichtigen Altertümer, Gärten und Städte. ■ Vor allem aber treffen wir Menschen vor Ort: Umweltexperten, Denkmalschützer, liberale Ajatollahs, Hafes-Kenner, Regisseure oder SchauspielerInnen. Möglichkeiten der individuellen Erkundung bei Kneipenbesuchen, Spaziergängen in den Basaren oder beim Entspannen in der Natur und natürlich die persische Küche runden das taz-Reise-Programm ab.■ Die nächsten taz-Reisen in den Iran finden vom 24. 4. bis 7. 5. und vom 9. bis 22. 10. 2010 statt www.taz.de/reise
An Kreuzungen stehen Polizeicontainer
Eine merkwürdige Zwischenzeit herrscht derzeit im Iran. Das Regime und seine Anhänger sind noch da, aber auch die vielen Menschen, die immer wieder demonstrieren und überrascht festgestellt haben, „wie viele wir sind“. Auf den Universitätsgeländen kommt es immer wieder zu Kundgebungen, etwa anlässlich offizieller Aufmärsche wie dem Jerusalem-Tag, dem Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft in Teheran oder wie jetzt am höchsten schiitischern Trauertag Aschura. Dann demonstriert die Opposition mit Forderungen wie „Nieder mit der Diktatur“. Im Straßenbild erinnert kaum etwas an die Massenbewegung. Doch eine Hauptverkehrsader rund um das Gebäude des staatlichen Fernsehens ist weiträumig abgesperrt. Das verstärkt die allgegenwärtigen Staus. An großen Kreuzungen stehen die üblichen weiß-blauen Polizeicontainer, in denen auch Sittenwächter sitzen. Ab und zu guckt ein grünes Bändchen unter einem Ärmel hervor. Niemand weiß, wie es weitergeht.
Dindscha Schahsadi, ein zoroastrischer Priester, gerade zu Besuch in Teheran, schwärmt vom Interesse an der alten monotheistischen Religion, die vor der arabischen Eroberung in der ganzen Region weit verbreitet war. „Ja, viele kommen“, antwortet er auf eine entsprechende Frage, „aber sie dürfen sich nicht zu uns bekennen. Unsere Religion übt auch keinen Druck aus.“ Die Zahl der Zoroastrier im Iran schätzt Schahsadi auf 25.000. Akbar* gehört zu denjenen, die im Sommer mitdemonstriert haben. Der etwa 60-jährige Selbständige sitzt bei einem Tee in einem Café-Restaurant in der Teheraner Innenstadt. Junge Männer und Frauen an den Tischen drum herum sind in einem lebhaften Gespräch. Auf einer Bank ist ein Pärchen heftig am Schmusen, halb sitzend, halb liegend. Wandgemälde und Friese zeigen Figuren aus archämenidischer Zeit. Klar, dass die Frauen mit Kopftuch hier ganz hinten sitzen. Rauchen darf man hier auch.
„Wenn man den Islam ohne Todesstrafe verlassen könnte, wären morgen 90 Prozent der Iraner Zoroastrier“, behauptet Akbar in dem ihm eigenen Überschwang, gibt aber auf Nachfrage freimütig zu, dass das reichlich übertrieben ist.
Akbar blickt optimistisch in die Zukunft. Die Demokratiebewegung, meint er wie viele andere auch, sei nicht umkehrbar. Eine neue Revolution oder Gewalt, auch da gibt es Übereinstimmung, lehnt er ab. Die Entwicklung zum Regimwechsel müsse schrittweise erfolgen, betont Akbar. Bis das Regime weg ist, werde es vielleicht noch ein oder andertalb Jahre dauern: „Unser Land ist schwanger mit der Demokratie. Dieses Kind muss kommen. Wir warten drauf.“
*Alle Namen geändert