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Archiv-Artikel

Verloren in der Stadt der Oliven

IMMIGRANTEN Der Senegalese Clotaire Malack kam mit einem Traum von Glück nach Europa. Der ist ausgeträumt – was bleibt, ist das Elend

Eine Million Illegale

■  Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosenzahlen in Spanien steigen täglich. Fast 18 Prozent der Bevölkerung ist derzeit ohne Job, mehr als vier Millionen Menschen. Besonders betroffen sind die Zuwanderer. Fast ein Drittel der viereinhalb Millionen gemeldeten Migranten ist ohne Arbeit.

■  Zuwanderung: Die spanische Regierung schätzt, dass es etwa eine Million illegale Einwanderer gibt. Von ihnen finden sehr viele keine Arbeit mehr. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise ist jedoch auch die illegale Einwanderung zurückgegangen. Dieses Jahr sind so wenige Holzboote an den Küsten Spaniens angekommen wie seit zehn Jahren nicht mehr. 4.500 Immigranten reisten 2009 auf diese Weise in Spanien ein. 2008 waren es noch 7.500. Wer kommt, wird von der Küstenwache aufgegriffen. 60 Tage verbringen die Migranten anschließend in Internierungslagern. Wenn in diesem Zeitraum nicht die Abschiebung erfolgt, werden sie freigelassen.

AUS ALMERIA VERONICA FRENZEL

Es ist stockdunkel, als Clotaire Malack aus seinem Schlafsack kriecht, wie jeden Morgen seit Monaten. Einen Wecker braucht der 31-Jährige nicht, auch wenn es erst fünf Uhr ist. Frühmorgens, sagt er, wecken ihn die Gedanken an seine Geschwister, die zu Hause im Senegal auf ein besseres Leben warten. Clotaire steht vorsichtig auf. Neben ihm schlafen zwei Landsleute, auf Karton, zwischen Müllcontainern. Sein Atem bildet in der Dunkelheit Wölkchen. Jetzt ist es kalt in Jaén, in der Nacht sinken die Temperaturen schon mal unter null Grad.

Clotaire ist einer der afrikanischen Glückssucher, die sich in Europa ein bisschen Wohlstand holen wollen. Gerade sucht er ihn in den Olivenhainen der südspanischen Provinz Jaén, in einer Stadt namens Úbeda. Er ist nicht allein, mit ihm suchen tausende Immigranten in Andalusien Arbeit bei der Olivenernte. Nur wenige von ihnen finden einen Schlafplatz, denn in den Obdachlosenherbergen dürfen sie nur drei Nächte bleiben, noch weniger finden Arbeit.

Von Ernte zu Ernte

„Was können wir dafür, dass die Migranten keine Arbeit finden?“, fragt Eduardo Domínguez, Arbeitsvermittler vom Bauernverband Coag in Andalusien. „Wir haben sie nicht gerufen.“ Der Spanier verschränkt hinterm Schreibtisch die Arme. Er kann Fragen nach den illegalen Einwanderern nicht mehr hören. Seit einem Jahr schon machen sie Schlagzeilen, weil sie immer dort, wo gerade geerntet wird, auf der Straße leben.

„Die Migranten ziehen von Ernte zu Ernte, weil sie in den vergangenen Jahren noch bei jeder Kampagne einen Job gefunden haben“, sagt Diego Cañamero, Sprecher der Landarbeitergewerkschaft SOC. „Aber jetzt sind die Spanier zurück auf den Feldern, weil sie ihre Arbeit auf den Baustellen verloren haben. Die Arbeitsämter haben jeden Einzelnen angeschrieben und zur Ernte geladen.“

Die Situation der afrikanischen Migranten wird sich weiter verschlechtern. Dann, wenn die spanischen Bauarbeiter kein Arbeitslosengeld mehr bekommen und zurück auf die Felder müssen, auf denen sie in Zeiten des Baubooms nicht arbeiten wollten. „Die Migranten sind wie Werkzeuge, die nicht mehr gebraucht werden“, sagt Cañamero.

Vor wenig mehr als einem Jahr kündigte Clotaire seine Stelle als Berufssoldat in Dakar, dann stieg er in ein Flugzeug nach Lissabon. Er hatte sich bei einem Vermittler ein Schengen-Visum besorgt, 3.000 Euro für drei Monate bezahlt und 800 Euro fürs Flugticket. Er wollte nicht in einem Holzkahn sein Leben riskieren. Das Geld für das Visum musste er sich leihen, doch er würde es schnell zurückbezahlen, daran hatte er keine Zweifel. Er war ja auf dem Weg nach Europa, wo das Geld auf der Straße liegt. Seinen kleinen Geschwistern würde er ein eigenes Haus kaufen, sich selbst die Angst vor der Zukunft nehmen, die auf ihm lastet, seit seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind und er, der Älteste, die Verantwortung für seine acht Geschwister übernahm.

Doch seit Clotaire in Europa angekommen ist, gleitet sein Ziel in immer weitere Ferne. Heute weiß er nicht einmal mehr, mit welchem Geld er morgen sein Essen kaufen soll. Er sagt, er habe einen Fehler gemacht.

Von Lissabon fuhr er direkt nach El Ejido, der Stadt mit der höchsten Gewächshausdichte Spaniens, wo fast das ganze Jahr lang Saison ist, zur Zucchini- und Auberginenernte. Ein Freund aus dem Senegal, ein erfahrener Erntehelfer, hatte ihm gesagt, dort gebe es immer Arbeit. Die Stadt am Mittelmeer ist die erste Anlaufstelle für einen Großteil der Einwanderer ohne Papiere. Sechs Monate stand er an einer Kreuzung, bot seine Arbeitskraft feil. Niemand wollte sie.

Um es zur Erdbeerernte in Huelva zu schaffen, musste er seine Digitalkamera verkaufen, mit der er Europa seinen Geschwister zeigen wollte. Dort lebte er vier Monate in einer Hütte aus Plaste und Pappkarton, Erdbeeren pflückte er nur an zwei Tagen. Im Sommer war er in Katalonien, er schlief zwischen den Apfelplantagen, einen Job fand er nicht. Ein Mitarbeiter vom Roten Kreuz gab ihm schließlich das Geld für ein Busticket. Clotaire fuhr nach Úbeda, der „Olivenstadt“, wie er sie nennt.

Gemüse billig, Arbeit auch

„Mit dem Lohn für die Arbeiter ist es wie mit dem Preis für das Gemüse: Je größer das Angebot, desto weniger wird bezahlt.“ Manuel Sabio Perez, Landwirt in El Ejido, der Gewächshausstadt, wischt sich den Schweiß von der Stirn und grinst. Der kleine Mann steht in seinem Gewächshaus, die Sonne scheint und die Temperaturen liegen unter dem Kunststoffdach weit über 30 Grad, draußen sind es 15. Neben ihm reihen sich zehntausende Tomatenpflanzen. Unter der schmutzigen Plane brechen gerade drei Afrikaner, einer davon aus Marokko, kleine Blüten von den Stielen der Auberginenpflanzen, nur die Dicksten lassen sie stehen. In ein paar Monaten wird das Gemüse in Deutschland, Frankreich und Holland in den Regalen liegen.

Ob die Arbeitserlaubnis der Erntehelfer echt ist? Dafür würde Sabio seine Hand nicht ins Feuer legen. Bis zu 60.000 Euro muss zahlen, wer Arbeiter ohne Papiere beschäftigt. „Seit Beginn der Wirtschaftskrise schauen die Behörden besonders genau“, sagt der Landwirt. „Jeden Tag fragen mich Migranten nach Arbeit, ich schreibe ihren Namen und ihre Telefonnummer auf, aber ich kann sie nicht beschäftigen“, sagt er. Die Liste von Manuel Sabio aus El Ejido ist lang, mehr als hundert Namen stehen dort. Jeden Tag werden es mehr.

Als Clotaire den Bordstein im morgendlichen Dunkel hinter sich lässt, ist sein Gang aufrecht, seine Schultern sind gestreckt. Knapp 200 Meter läuft er entlang der Landstraße zum Arbeitsmarkt; dort, wo die Bauern frühstücken. An der Bar schaut er keinem in die Augen. Er spricht keinen Bauern an. „Ich will niemanden belästigen“, sagt Clotaire. „Sie wissen ja, wieso ich hier bin.“ Er hofft, dass sein Soldatenkörper ihm dabei hilft, einen Job zu bekommen.

In der Bar sitzt auch Paco. Er ist ein großer Mann, ein Familienvater, Mitte 40 mit breiten Schultern. Er hat viel Erfahrung bei der Ernte. Im Sommer verlor er seine Arbeit als Fliesenleger bei einer Baufirma, deshalb ist er dem Aufruf des Arbeitsamts, Oliven zu ernten, gefolgt. In ein paar Minuten holt in ein Bauer ab und sie fahren aufs Feld. „Ich brauchte dringend eine Arbeit. Meine Frau und ich wussten nicht mehr, wie wir unsere Rechnungen bezahlen sollen“, sagt er, während er seine Hände an einer Tasse Kaffee wärmt.

Im Osten taucht ein heller Streifen am Horizont auf. Manchmal hält ein Wagen, ein paar Afrikaner steigen ein. Wenigstens sie haben ein wenig Glück. Doch auch die Guardia Civil fährt vorbei. Clotaire schaut weg, als er sie sieht. Zweimal haben die Polizisten ihre Hütten in der Erdbeerstadt Huelva bereits mit Traktoren zerdrückt, gerade so als wären es Streichholzschachteln.

Die Morgensonne taucht die Straßenkreuzung in ein weiches Licht. Clotaire streckt sein Gesicht zur Sonne, um sich zu wärmen. Es ist jetzt neun Uhr, die Bar fast leer, kein Bauer mehr da. Erst als die Kreuzung ganz im Sonnenlicht liegt, gibt Clotaire sich geschlagen. Er hat seine Mission wieder nicht erfüllt.

Clotaires mächtige Schultern sind eingefallen, die Füße zieht er über den Asphalt, der Blick ist auf den Boden gerichtet. Je näher die Mülltonnen rücken, um so schlurfender wird sein Gang. Die anderen Senegalesen kauern um ein Feuer, wärmen sich die Hände. In einer verkohlten Pfanne schwimmen ein paar Eier in Öl, die irgendeiner ergattert hat. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals so leben muss“, sagt Clotaire und geht vor dem Feuer in die Hocke. Der schlimmste Moment in seinem Leben? „Ich weiß nicht, was noch kommt.“

Warum kehrt er nicht um?

Warum fährt er nicht nicht nach Hause zurück? Clotaire blickt auf den Boden. Er hat alles aufgegeben, er hat sich verschuldet und er hat in seiner Familie Hoffnung entfacht auf ein besseres Leben.

Auch morgen wird Clotaire wie seit mehr als 300 Tagen vor dem Morgengrauen aufstehen und Arbeit suchen. Er kann nicht glauben, dass er es in Europa nicht schaffen sollte, wie so viele andere vor ihm, die sich im Senegal ein eigenes Haus bauten, einen schicken Wagen fahren und ihre Kinder auf die Schule schicken. Dass er seine Beamtenstelle als Soldat auf Lebenszeit aufgegeben hat für einen Traum, der sich nicht erfüllen will. Keiner der zurückgekehrten Auswanderer hatte ihm von Bordsteinen, zerfetzten Hütten und Mülltonnen erzählt.

Aus dem Handy von einem der Jungs, die am Feuer sitzen, tönt scheppernd eine Melodie. Es ist ein Lied aus Afrika, „Le chemin de l’espoir“ – Weg der Hoffnung. Es geht um einen jungen Mann, der nach Europa aufbricht, um dort sein Glück zu suchen. Im Senegal hätte Clotaire dazu getanzt.