: Vielfalt ist normal
Fachleute diskutieren in Köln über die Herausforderung „nicht-ethnisierenden Unterrichts“. Sie wollen daran arbeiten, dass die unterschiedliche Herkunft der Schüler selbstverständlicher wird
VON HENK RAIJER
Wenn Kuno Rinke in der Klasse 8c die Randale französischer Jugendlicher zum Thema macht, fordert er bewusst die unterschiedlichen Sprachkompetenzen seiner Schüler heraus. Deniz etwa legt eine Arbeit vor, die sich auf die Rezeption der Unruhen in der türkischen Zeitung Hürriyet stützt, Katarzyna referiert einen Kommentar aus der polnischen Gazeta Wyborcza. Beide halten ihren Vortrag zum Teil in der Sprache, die sie im Elternhaus sprechen – obwohl beide, wie die meisten jungen Migranten am Troisdorfer Heinrich-Böll-Gymnasium, in Deutschland geboren wurden. Dafür ernten sie durchweg die Anerkennung jener Mitschüler, die „nur“ Deutsch können.
„Nicht-ethnisierender Unterricht ist möglich“, lautet das Credo des Bonner Oberstudienrats, der Mitte der Woche im Rahmen der Kölner Fachtagung „Erinnerung in der Einwanderungsgesellschaft“ einen Workshop zur Geschichts- und Politikvermittlung im Unterricht leitete. Eingeladen hatten die Landeszentrale für Politische Bildung NRW, das Landeszentrum für Zuwanderung sowie das Bildungswerk der Humanistischen Union NRW.
Gerade wenn es im Unterricht um die NS-Zeit geht, so der Tenor bei den Teilnehmern des Workshops, stelle sich die Frage, warum dieses Kapitel deutscher Vergangenheit keine oder eine andere Bedeutung für Jugendliche mit Migrationshintergrund haben sollte als für so genannte Deutsche der dritten Generation. „Genau da knüpft der didaktische Diskurs an, der Orientierung für die zukünftige Arbeit in der Schule geben möchte“, sagt Lehrer Kuno Rinke, der auch als Redakteur für die Zeitschrift Politisches Lernen und im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung tätig ist.
Rinke versucht in seinem Unterricht, die Fehler gängiger Schulbücher und -Broschüren zu vermeiden und nicht seinerseits in die ethnisierende Falle zu tappen. „Bei Gedenkstättenbesuchen etwa sortiere ich die Aufgaben nicht nach ethnischem Hintergrund, frage also nicht, „wo kommst du her“, sondern frage: „Welche Sprache sprichst du noch und was kannst du aus deiner Wahrnehmung zusätzlich zur gemeinsamen Verarbeitung deutscher Geschichte beisteuern?“ Nur eine nicht-ethnisierende, universale Ansprache und eine Perspektive, die nicht zwischen „uns“ und „den anderen“ trennt, könnten dazu beitragen, Schüler nicht in ethnisch-kulturelle Gruppen einzuordnen. Die Vielfalt in der Klasse sei nicht als etwas Besonderes, so Rinke, sondern als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Vor einer Klassenfahrt zur Gedenkstätte Natzweiler-Struthof im Elsaß beispielsweise hatte Rinke vorgeschlagen, dass zwei Schüler durch die Ausstellung führen sollten. „Gemeldet haben sich daraufhin Songül und Elena.“
Wie weit der Diskurs in antirassistischen Organisationen oder Universitäten über interkulturelles Lernen oder politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft auch gediehen sein mag – in Lehrmaterialien und -büchern findet er kaum Niederschlag. „Trotz der Verwendung neuer, politisch korrekter Begriffe sind die Fragestellungen die alten geblieben“, monierte eine Tagungsteilnehmerin. Noch 2002 etwa frage eine Broschüre des Cornelsen Verlags unter der Überschrift „Ausländer raus!“ Schüler („ohne eure Namen zu nennen“): „Empfindet ihr die Anwesenheit von Menschen anderer Religion als störend?“ und fordere sie auf, zu unterscheiden in „gute“ und „schlechte“ Migranten. „Das ist in hohem Maße suggestiv und gehört auf den Index“, meinte die Lehrerin.