: Erneuerbare frisch vom Acker
LAND SCHAFFT Kommunen und Bürger gründeten in den vergangenen Jahren über 600 Energiegenossenschaften, mit Gewinn
VON BERNWARD JANZING
Die Energiewende stärkt die Wirtschaft vor allem in ländlichen Regionen: Im Jahr 2012 wurden unter dem Dach des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes 236 Genossenschaftsgründungen registriert, die meisten davon (150 Genossenschaften) entfielen auf den Sektor der erneuerbaren Energien. Führend waren 2012 wie schon in früheren Jahren die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, in denen mehr als die Hälfte aller neuen Genossenschaften Deutschlands zu Hause ist.
Im ganzen Land gibt es inzwischen mehr als 600 Energiegenossenschaften, mit denen Privatpersonen, Landwirte, Unternehmen und Kommunen gemeinsam Solar- oder Windenergieanlagen betreiben oder auch Nahwärme- oder Stromnetze bewirtschaften. Das Thema gewinnt vor allem seit dem Jahr 2007 erhebliche Dynamik. Damals gab es erst rund 100 Energiegenossenschaften in Deutschland.
An der Spitze der genutzten Energiequellen steht bei den Bürgerunternehmen mit 43 Prozent die Sonne. 19 Prozent der Genossenschaften nutzen entweder Biomasse, Wind oder Wasserkraft, 14 Prozent betreiben Kraft-Wärme-Kopplung und 12 Prozent aller Energiegenossenschaften erzielen ihren Ertrag durch den Netzbetrieb.
Die Genossenschaft ist einerseits eine Unternehmensform, anderseits aber repräsentiert sie auch gesellschaftliche Werte. Burghard Flieger ist Vorstand der Leipziger innova eG, die Genossenschaften bei der Gründung berät. Zu den Prinzipien, die eine Genossenschaft auszeichnen, zählt zum einen das Demokratieprinzip: Unabhängig von der Einlage hat in der Mitgliederversammlung jedes Mitglied eine Stimme. Ferner gehört das Solidaritätsprinzip zum Konzept: Zumindest in der Aufbauphase und in Krisenzeiten sind unbezahlte Vorleistungen oder ehrenamtliche Arbeit üblich.
Im Energiesektor, der von starken gesellschaftlichen Debatten und Auseinandersetzungen geprägt ist, kann die Genossenschaft attraktiv sein, weil sie Interessenkonflikte auflöst. „Identitätsprinzip“ nennt Flieger das: „Zwei Gruppen, die sich sonst am Markt gegenüberstehen wie Mieter und Vermieter oder Dienstleistungsanbieter und -nutzer, werden identisch, geben ihre einseitige Rolle auf.“
Die idealtypische Energiegenossenschaft versorgt sich daher selbst. Eine solche Genossenschaft gründete sich zum Beispiel vor drei Jahren in St. Peter im Schwarzwald. Dort begannen die Bürger im Mai 2010 mit dem Bau eines mittlerweile 9,2 Kilometer langen Fernwärmenetzes und versorgen damit heute 170 Abnehmer. Die Wärme liefert ein Hackschnitzelkessel mit einer Leistung von 1,7 Megawatt. Von Anfang an plante die Bürger Energie St. Peter eG, in der Heizzentrale auch Strom zu erzeugen. Seit wenigen Wochen ist nun auch ein Holzpellets-Vergaser mit einer elektrischen Leistung von 180 Kilowatt in Betrieb. In der Genossenschaft taten sich unterschiedliche Akteure aus dem Ort zusammen, die ihr jeweiliges berufliches Wissen einbrachten. Am Ende investierten die Bürger zusammen mehr als 5 Millionen Euro in das Heizwerk und die Wärmeleitungen.
Ein anderes Beispiel für eine Genossenschaft mit einem breiten Spektrum der Wertschöpfung ist die Energiegenossenschaft Odenwald eG (EGO) mit Sitz in Michelstadt in Südhessen. Ihr Geschäftsmodell ist zum einen die Nutzung der erneuerbaren Energien im Odenwaldkreis und zum anderen die Verbesserung der Energieeffizienz sowie die Energieeinsparung. 1.400 Mitglieder hat die Genossenschaft inzwischen, die Höhe der jeweiligen Einlagen liegt zwischen 100 und 5.000 Euro. Auf rund 5 Millionen Euro belaufen sich inzwischen die Einlagen.
Damit wurden bereits 70 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 5 Megawatt im Odenwaldkreis und der näheren Umgebung realisiert, außerdem zwei Windkraftanlagen. Investitionen von 25 Millionen Euro wurden in den letzten vier Jahren in der Region getätigt. 1.000 Aufträge mit einem Auftragsvolumen von 6,5 Millionen Euro wurden an regionale Handwerksbetriebe vergeben. „Odenwälder investieren in den Odenwald“ heißt der Slogan. Die Mitglieder der Genossenschaft erhalten eine Rendite, die zuletzt bei 3,5 Prozent lag.
Seit Jahresbeginn 2013 speist die Genossenschaft außerdem nicht nur Strom ins Netz, sondern beliefert auch die Genossenschaftsmitglieder. Der EGO Naturstrom liege mit 25,2 Cent pro Kilowattstunde unter dem Angebot des regionalen Energieversorgers, heißt es. „Unseren Mitgliedern gewährleisten wir dadurch eine einfache, demokratische und transparente Möglichkeit, sich finanziell und ideell an der Energiewende vor Ort zu beteiligen“, sagt EGO-Vorstandsvorsitzender Christian Breunig.
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